Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 15

Helmut Schauer (1937—2001)

Die Überzeugungskraft, die von Helmut Schauer ausging, der kein guter Redner war, ist schwer zu begreifen, wenn man seinen ungewöhnlichen Lebenslauf nicht kennt. Zu Recht wird ihm, der fast 20 Jahre in der Tarifabteilung der IG Metall — mit dem Schwerpunkt Koordinierung der europäischen Tarifpolitik — gearbeitet hat, vom Vorstand nachgesagt: sein Anliegen war es, "abseits der ausgetretenen Wege gängiger Diskussionen unerforschte Pfade des Denkens auszumachen und neue Ziele am Horizont aufzuzeigen".
Als Sohn der Textilwirkerin Gertrud und des Flaschners Eugen Schauer am 23.November 1937 in Stuttgart geboren, besuchte Helmut 1943—1951 die Volksschule. Wegen Lehrstellenmangels machte er ein Praktikum bei der Werk- und Strickwarenfabrik Schober, um danach bis 1956 seine Lehre als Mechaniker in einer Textilmaschinenfabrik zu beenden, was ihm den Facharbeiterbrief der Industrie- und Handelskammer Stuttgart einbrachte.
Nach Mechanikertätigkeiten bei verschiedenen Firmen studierte er als Stipendiat der Stiftung Mitbestimmung 1961—1963 an der Akademie für Wirtschaft und Politik mit Abschlussexamen als graduierter Volkswirt. Von 1963 bis 1965 konnte er sein Studium an der Universität Hamburg fortsetzen.
Er war 1964—1966 Bundesvorsitzender des SDS in Frankfurt, Mitbegründer des Verbands der Kriegsdienstverweigerer, Sekretär des Kuratoriums "Notstand der Demokratie" mit Sitz beim Vorstand der IG Metall bis zu dessen Auflösung. Aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschlusses des SPD-Vorstands zwischen SPD und SDS wurde 1963 seine Mitgliedschaft in der SPD in beiderseitigem Einvernehmen mit dem Landesverband Hamburg beendet. Es dürfte kaum bekannt sein, dass Helmut Schauer nicht nur Lektor beim SDS-Verlag Neue Kritik, sondern auch Dramaturg des Theaters am Turm in Frankfurt war und in seiner Urlaubszeit bei der Inszenierung des Kaukasischen Kreidekreises von Bertolt Brecht während der Ruhrfestspiele in Recklinghausen mitwirkte.
Sein Studium an der Technischen Universität Hannover (1975—1977) beendete er mit einer Magisterarbeit über die "Bedeutung der Arbeitsbedingungen im Arbeiterbewusstsein". Es gibt kaum ein Gebiet seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit, das er nicht durch wissenschaftliche Forschung zu untermauern versuchte. Die freundschaftliche Wärme, die er ausstrahlte und seinen analytischen Verstand, der uns in all seinen Schriften fasziniert, werden wir schmerzlich vermissen.

Jakob Moneta

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