Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 06.12.2001, Seite 3

Wie die USA vorsätzlich die Wasserversorgung des Irak zerstörten

Wie Dokumente des US-Außengeheimdienstes (Defense Intelligence Agency — DIA) enthüllen, hat die Regierung der USA bewusst Sanktionen dazu genutzt, um die irakischen Wasserversorgung zu schädigen. Diese während und noch lange nach dem Golfkrieg von 1991 verfolgte Politik stellt eine Verletzung der Genfer Konvention dar.

Thomas Nagy, der die betreffenden Dokumente im Zuge zweijähriger Recherchen entdeckte, erklärt in der Septemberausgabe des US-Magazins The Progressive: "Die USA kannten den Preis, den die irakische Zivilbevölkerung, insbesondere Kinder, zahlen würden, und dennoch setzten sie auf diese politische Strategie."
Das erste Dokument mit dem Titel "Verwundbarkeiten der irakischen Wasseraufbereitung" stammt vom 22.Januar 1991 und schlüsselt auf, wie der Irak durch Sanktionen daran gehindert wird, seine Bevölkerung mit sauberem Wasser zu versorgen.
Im Text wird festgestellt, dass "der Irak angewiesen ist auf den Import von Spezialausrüstung und bestimmten Chemikalien, um seine Wasservorräte zu reinigen, da diese zum größten Teil stark mineralhaltig und häufig salzig sind."
"Da er keine inländische Bezugsquellen für Ersatzteile zur Wasseraufbereitung sowie für einige wesentliche Chemikalien besitzt, wird der Irak in seinen Bemühungen fortfahren, die Sanktionen der UNO zu umgehen, um so diese lebenswichtigen Produkte importieren zu können. Wenn dies nicht gelingt, wird die Folge ein Mangel an sauberem Trinkwasser für den größten Teil der Bevölkerung sein. Dies könnte zu einer Zunahme von Krankheiten, wenn nicht sogar Epidemien führen."
Im weiteren Verlauf setzt sich das Dokument laut Nagy ausführlich mit den technischen Details der Herkunft und der Qualität der irakischen Wasservorräte auseinander.

Schlag gegen die Wasseraufbereitung

Die Qualität der natürlichen Wasservorkommen im Irak ist "allgemein sehr schlecht", und das Trinken unbehandelten Wassers "könnte zu Durchfallerkrankungen führen". Weiter erklärt das Dokument, dass die irakischen Flüsse "biologische Bestandteile sowie Schadstoffe enthalten und voller Bakterien sind. Wenn das Wasser nicht mit Chlor gereinigt wird, können Epidemien von Cholera, Hepatitis und Typhus auftreten."
Der Text stellt fest, dass der Import von Chlor durch die Sanktionen "unter Embargo gestellt" ist. "Aktuellen Berichten zu Folge haben die Chlorvorräte einen kritischen Stand erreicht."
Auch Nahrung und Medikamente werden davon betroffen sein, wie im Dokument dargelegt wird: "Die Verarbeitung von Nahrungsmitteln, die Herstellung von elektronischen und insbesondere auch pharmazeutischen Produkten erfordert außerordentlich sauberes, von biologischen Verunreinigungen vollkommen freies Wasser."
In kalter Technokratensprache schlüsselt das Dokument auf was bevorsteht: "Der Irak wird aufgrund des Mangels an benötigten Chemikalien und Entsalzungsmembranen unter zunehmender Knappheit an sauberem Wasser leiden. Wenn die Bevölkerung das Wasser nicht sorgfältig abkocht, werden Krankheitsfälle inkl. möglicher Epidemien wahrscheinlich."
In dem Papier ist ein Zeitplan für die Zerstörung der irakischen Wasservorräte aufgeführt: "Die gesamten Wasseraufbereitungskapazitäten des Irak werden wohl eher langsam abnehmen, als zu einem jähen Stillstand zu kommen. Auch wenn der Irak schon jetzt eine Reduzierung seiner Wasseraufbereitungskapazitäten erlebt, wird es wahrscheinlich sechs Monate dauern (also bis Juni1991) bis das System vollkommen funktionsuntüchtig ist."
Nagy konnte noch weitere, unveröffentlichte DIA-Dokumente ausfindig machen, die bestätigen, wie genau die USA die fortschreitende Qualitätsminderung der irakischen Wasservorräte beobachten.
Das erste Dokument mit "Krankheitsinformationen" vom 22.Januar 1991 gibt als Inhalt an: "Auswirkungen der Bombardierungen auf das Auftreten von Krankheiten in Bagdad".
Die unbarmherzige Analyse lautet: "Die erhöhte Anzahl von Krankheitsfällen wird auf die Beeinträchtigung der normalen Vorsorgemedizin, der Abfallbeseitigung, der Wasserreinigung und Wasserversorgung, der Elektrizitätsversorgung und auf die verminderte Fähigkeit, den Ausbruch von Krankheiten zu kontrollieren, zurückzuführen sein. Alle städtisch geprägten Regionen des Irak, die ähnliche Schäden der Infrastruktur erlitten haben, werden von denselben Problemen betroffen sein."
Im Text werden weiterhin die einzelnen Krankheiten aufgeführt, deren Ausbruch wahrscheinlich sei. Da wird von "akuten Durchfallserkrankungen" auf Grund von Bakterien wie E.coli oder Salmonellen geredet, oder auch solche die durch Protozoen wie z.B. Giardia oder den Rotavirus hervorgerufen werden und "besonders Kinder" betreffen. Außerdem wird die Möglichkeit von Typhus- und Choleraausbrüchen erwähnt. Gewarnt wird davor, dass die irakische Regierung "die USA für die durch den militärischen Konflikt geschaffenen Gesundheitsprobleme verantwortlich machen könnte".
Ein weiteres, die "Krankheitsausbrüche im Irak" betreffendes DIA-Dokument fügt hinzu, dass "die Verbreitung von Infektionskrankheiten in den größeren urbanen Zentren des Irak, die Ziel der Bombenangriffe der Koalition sind, seit dem Beginn der Operation Desert Storm zweifellos zugenommen hat."
Auch hier werden wieder die wohl "am ehesten in den nächsten 69 Tagen auftretenden Krankheiten" in absteigender Reihenfolge aufgezählt: "Durchfallerkrankungen (vor allem Kinder), akute Erkrankungen der Atemwege (Erkältungen und Grippe), Typhus, Hepatitis A (besonders Kinder); Masern, Diphtherie und Keuchhusten (besonders Kinder); Hirnhautentzündung inklusive Meningokokkeninfektionen (besonders Kinder); Cholera (möglich aber eher unwahrscheinlich)."
Auch dieses Dokument warnt wieder davor, dass die Regierung des Irak "die Zunahme von endemischen Krankheiten als Propagandamittel einsetzen werde."

Krankheiten im Überfluss

Auch im dritten, auf den 15.März 1991 datierten Dokument der Serie wird auf die ungewöhnlich hohe Anzahl von Krankheiten aufgrund schlechter sanitärer Bedingungen hingewiesen, die wiederum auf die verseuchten Wasservorräte und die unzulängliche Abwasserentfernung während des Krieges zurückzuführen seien.
Zitiert wird aus dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation, laut dem "die Menge trinkbaren Wassers im Vergleich zum Vorkriegsstand auf weniger als 5% reduziert ist und keinerlei einsatzfähige Wasseraufbereitungsanlagen und Klärwerke vorhanden sind".
Im vierten von Nagy angeführten Dokument wird von Ausbrüchen von Cholera und Masern in Flüchtlingslagern berichtet und eine weitere Verbreitung von Infektionskrankheiten aufgrund der unzureichenden Wasseraufbereitung und der schlechten Gesundheitspflege vorausgesagt. "Von diesen Krankheiten sind in erster Linie ältere und jüngere Kinder betroffen", erklärt der Text unumwunden.
Auch das fünfte, nach wie vor stark zensierten Dokument galt der Einschätzung "der Gesundheitsbedingungen und kritischsten medizinischen Bedürfnisse des Irak. Unser Beobachter konnte feststellen, dass das Gesundheitssystem des Irak erhebliche gestört, medizinische Anlagen mehrheitlich ausgeplündert und sich die Vorräte an so gut wie allen Medikamenten auf einem kritisch niedrigen Level befanden." Neben der Aufzählung der bereits oben erwähnten Krankheiten in Flüchtlingscamps stellte das Dokument fest, dass die durch Proteinmangel hervorgerufenen Krankheit Kwashiorkor zum ersten Mal im Irak ausgebrochen sei. Außerdem heißt es: "Kinder sterben an Gastroenteritis (Magen-Darm-Schleimhautentzündung) ... Im Süden betreffen 80% der Todesfälle Kinder."
Das letzte Dokument vom 15.November 1991 mit dem Titel "Irak: Einschätzung der derzeitigen Gesundheitsbedrohungen und Kapazitäten" tendiert laut Nagy "deutlich in Richtung Schadensbegrenzung".
Es beginnt mit dem Satz: "Die Wiederherstellung der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Irak und die Behebung der Mängel an wichtigen medizinischen Materialien bleiben die wichtigsten internationalen Anliegen."
Das Ausmaß der Schäden wird heruntergespielt und der Fokus hauptsächlich auf die irakische Regierung gesetzt, da diese "darin fortfahren wird das Auftreten von Krankheiten für ihre eigenen politischen Ziele auszunutzen".
In diesem letzten Dokument wird die Schuld direkt Saddam Hussein zugewiesen. "Die Engpässe in der Versorgung mit medizinischen Mitteln sind das Ergebnis der Vorratshaltung der irakischen Zentralregierung, der selektive Verteilung und der Ausbeutung der medizinischen Vorräte nationaler und internationaler Hilfswerke."
Es wird hinzugefügt, dass die "die Wiederaufnahme der Programme zur öffentlichen Gesundheitsversorgung alleinig von der irakischen Regierung abhängen."
Nagy kommentiert die Dokumente folgendermaßen: "Die USA wussten, dass Sanktionen verheerende Auswirkungen auf das Wasseraufbereitungssystem des Irak haben würden. Ihnen war klar, was die Konsequenzen sein würden, nämlich die Zunahme von Krankheiten und hohe Kindersterblichkeit. Allerdings galt ihr Augenmerk dabei mehr dem Albtraum, der Washington in Sachen Public Relations drohte, als dem akuten Albtraum den die Sanktionen der irakischen Zivilbevölkerung bereiteten."
Das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte schreibt in Art.54, der dem Schutz der für die Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekte gilt, folgendes vor: "Es ist verboten, für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte wie Nahrungsmittel, zur Erzeugung von Nahrungsmitteln genutzte landwirtschaftliche Gebiete, Ernte- und Viehbestände, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungsanlagen anzugreifen, zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen, um sie wegen ihrer Bedeutung für den Lebensunterhalt der Zivilbevölkerung oder der gegnerischen Partei vorzuenthalten, gleichviel ob Zivilpersonen ausgehungert oder zum Fortziehen veranlasst werden sollen oder ob andere Gründe maßgebend sind."
Doch dies ist genau das, was die USA laut Nagy vorsätzlich getan haben: "Die Sanktionen stellen eine Verletzung der Genfer Konvention dar. Sie laufen in ihren systematischen Bemühungen darauf hinaus, die Qualität der irakischen Wasserreserven möglichst schwer zu schädigen, wie der DIA selbst sagt.
Innerhalb des letzten Jahrzehnts haben die USA den Druck verstärkt, indem sie ihre Zustimmung dazu, dass der Irak bestimmte Chemikalien und für die Reinigung der Wasserressourcen notwendige Ausrüstungsgegenstände importieren darf, weiterhin zurückgehalten haben.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass als Folge der Sanktionen 500000 irakische Kinder gestorben sind und dass weiterhin pro Monat 5000 Kinder aus denselben Gründen sterben.
Nagy zufolge kann niemand behaupten, dass die USA nicht wüssten, was sie tun.

Sean Healy; Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.471, 14.11.2001.

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