Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 06.12.2001, Seite 11

Afghanistan-Konferenz in Bonn

Anspruch und Realität klaffen weit auseinander

Die seit dem 27.November tagende Konferenz für eine neue Machtordnung in Afghanistan war von an Anfang von nahezu unvereinbaren Widersprüchen geprägt.
Dabei waren die Ziele hoch gesteckt. Es sollte eine Regierung gefunden werden, die das Regime der Taliban aufhebt und überdies dem seit über zwei Jahrzehnten währenden Kriegszustand ein Ende setzt. Ein 15-köpfiger Exekutivrat sollte als Übergangsregierung eingesetzt werden, für die der derzeitige afghanische Präsident Rabbani sich sogar bereit erklärte, sein Präsidentenamt zu räumen. Obwohl die Konferenz von den westlichen Staaten initiiert und organisiert wurde, wurde allüberall beschworen, dass es sich dabei um eine alleinige Angelegenheit der Afghanen handelte.
So setzte sich die Versammlung aus 28 ausschließlich afghanischen Repräsentanten der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen des Landes zusammen. Die beiden stärksten Gruppen bildeten die je elf Vertreter der Nordallianz und der Rom-Gruppe um den Ex-König Zaher Shah.
Die Zypern-Gruppe (afghanische Intellektuelle jeglicher Richtung, die in Zypern Zuflucht gefunden haben) wird vom Iran unterstützt und entsandte drei Delegierte. Zudem gilt sie als Sprachrohr des islamistischen Paschtunenführers Hekmatyar, der momentan im Teheraner Exil lebt und dem der Ruf des brutalsten Kriegsherrn vorauseilt. Die Verhandlungen mit dieser Gruppe galten als besonders kompliziert.
Ebenfalls drei Delegierte kamen von der sog. Peschawar-Gruppe nach Bonn. Sie besteht überwiegend aus paschtunischen Flüchtlingen in Pakistan, die vom pakistanischen Diktator Musharraf protegiert werden. Eine dominierende Position hatte der Ex-König Zaher Shah inne, da er den westlichen Vorstellungen von Demokratie nahe steht.
In der Tat könnte er zumindest in einer Übergangsregierung als Integrationsfigur wirken, da er der größten Bevölkerungsgruppe, den Paschtunen, entstammt. Bislang wurden die Paschtunen überwiegend von den Taliban repräsentiert. Bei einer Regierungsbildung können sie nicht übergangen werden.
Auch die feministische Untergrundorganisation RAWA, die bei der Konferenz vollkommen außen vor gelassen wurde, zieht ihn den Warlords der Nordallianz vor. Für Afghanen ist er nur als gewöhnliches Mitglied einer verfassunggebenden Stammesversammlung vorstellbar.
Alle diese Parteien und Volksgruppen auf eine Linie zu bringen erscheint unmöglich. Das Land ist ethnisch und religiös zutiefst zersplittert und es war daher illusionär, von dieser Konferenz einen allgemeinen Konsens zu erwarten.
Noch existieren rivalisierende Banden im ganzen Land, von denen weitere blutige Konflikte ausgehen können. Die nun mit Hilfe der USA als dominierende Gruppierung auftretende Nordallianz hat das Land im Kampf um die Vorherrschaft nach dem Abzug der Sowjetunion schon einmal ins Chaos gestürzt. Aber auch die verschiedenen Regionalmächte, insbesondere der Iran und Pakistan, verfolgen ihre je eigenen Interessen in dem Konflikt.
Bei all dem sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich hier um eine Konferenz unter Aufsicht der imperialistischen Länder handelte. Für die USA etwa bildet Afghanistan eine Machtbasis gegen den Iran und China. Die amerikanische Öffentlichkeit sollte zudem versichert werden, dass man eine imperialistische Macht nicht ungestraft attackiert. Insofern handelte es sich auch um eine Machtdemonstration gegenüber anderen armen Ländern.
Ob die gemeldeten Kriegserfolge der Amerikaner immer mit der Realität übereinstimmten, ist dabei fraglich. Handelte es sich nicht auch bei der Konferenz darum, der Öffentlichkeit vorzuspiegeln, die Fortschritte würden schneller erzielt, als dies in Wirklichkeit der Fall war?
Für die westliche Anti-Terror-Allianz galt es zu beweisen, dass sie in der Lage ist, das Taliban-Regime durch ein anderes, egal welches, zu ersetzen. So scheint man bei der Auswahl der neuen Regierung nicht davor zurück zu schrecken, erneut islamistische Warlords an die Macht zu lassen, darunter einige Kriegsherrn, die sich schnell noch von den Taliban losgesagt haben.
Die Rechte der Frauen scheinen bei den Tagungsordnungspunkten hingegen kaum eine Rolle gespielt zu haben.
Trotz der Konferenz bleiben noch viele Unbekannte, was die Zukunft des Landes betrifft. So herrscht weitgehend Ungewissheit über die Pläne der zahlreichen lokalen Kriegsherrn, die ihre je eigenen Ziele verfolgen.
Der Machtkampf zwischen den beiden "historischen" Führern aus den 70er Jahren, Rabbani, dem Sprecher der Nordallianz, und Hekmatyar, der hinter der Zypern-Gruppe steht, könnte wieder aufflammen. Zudem bleibt fraglich, welch einen Einfluss ein seit 28 Jahren exilierter König gegenüber einer Nordallianz haben kann, die als alleinige Macht im Lande über ein bedeutendes militärisches Arsenal verfügt.
Dazu kommt die Uneinigkeit der Nordallianz selbst, die sich aus sieben verschiedenen Organisationen und Gruppierungen nahezu aller Ethnien zusammensetzt. Bisher wurden sie nur durch das militärische Zweckbündnis gegen die Taliban zusammen gehalten.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass ganze Bevölkerungsgruppen bei der Konferenz nicht repräsentiert waren. Das gilt vor allem für die Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und unter dem radikal-islamistischen Regime am meisten zu leiden hatten, aber auch für kleinere Volksgruppen.
So erfuhren die Hasara sowohl von den Taliban als auch von der Nordallianz schwerste Massaker. Obwohl sie einen Anteil von 20% an der Bevölkerung bilden, konnten sie nur einen Delegierten entsenden. Ähnliches gilt für die Usbeken. Die Paschtunen und Tadschiken waren dagegen beherrschend.
Somit bleibt fraglich, ob Afghanistan derzeit wirklich einer besseren Zukunft entgegen sehen kann.

Monika Piendl

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