Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 06.12.2001, Seite 12

Herzlichen Glückwunsch!

Willi Scherer zum 80sten

Die längste Zeit seines Lebens widmete Willi Scherer der sozialistischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Seit über einem Jahrzehnt engagiert sich der rüstige Rentner auch in der Redaktionsarbeit der SoZ, für die er seitdem viele Berichte und Artikel verfasst hat. Am kommenden Mittwoch, den 13.12., wird Willi achtzig Jahre. Wir gratulieren unserem Redakteur, Genossen, Freund und Förderer.
SoZ-Redaktion


Erzählte Geschichte

Kleiner Rückblick auf ein langes Leben

Wenn man mit der Bahn vom Süden Köln ins nördliche Ruhrgebiet will, bleibt noch Zeit für eine Bratwurst auf dem Bahnsteig im Kölner Hauptbahnhof. Die haben Willi und ich uns dann genehmigt, nach so mancher Redaktionssitzung der SoZ. Seitdem Willi nun immer eine Mitfahrgelegenheit hat und ich nur noch selten zur Redaktion kommen kann, vermisse ich die Geschichten aus der Arbeiterbewegung der letzten fünfzig Jahre, die ich auf dem Bahnsteig und im Zug exklusiv erzählt bekam. Bei den vielen gemeinsamen Sitzungen, den Bahnfahrten, besonders aber eben in dieser Situation des Wartens, habe ich einen unschätzbaren Freund gewonnen, dem ich auch auf diesem Wege alles Gute zum Geburtstag wünschen möchte und noch viele kämpferische und glückliche Jahre.
Viele haben sicherlich seine Unbestechlichkeit und seinen Willen, die Gesellschaft von der Basis her zum besseren zu verändern, länger kennen lernen dürfen als ich. Doch auch ich will gerne noch eine Menge von Willi lernen in dieser persönlichen Art, wie sie nur jemand vermitteln kann, der so wie er mit Herz und Verstand bei der Sache ist.
Auch hat er mir natürlich noch lange nicht alle Geschichten erzählt, etwa die von der Volksschule in Dortmund oder jene von der Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Und doch weiß ich natürlich, dass er immer wieder dorthin in Urlaub gefahren ist. Und wer hat schon eine Ahnung, wo er Klavier spielen gelernt hat?
Es gibt so viele Stationen im bisherigen Leben von Willi, die wahrscheinlich keiner spannender erzählen kann, als er selber. Ich erinnere mich gut an die Geschichte, wie er als Kreisleiter der KPD Wilhelmshaven heimlich über die Zonengrenze zu Parteischulungen in die "Sowjetisch besetzte Zone" gereist ist. Eine Reise, die aufgrund ihrer Konspiration jeden Autonomen vor Neid erblassen ließe. Wegen genau dieser Parteitätigkeit flog er damals allerdings aus der Gießerei Sande bei Wilhelmshaven.
Es wird keinen, der ihn kennt, wundern, dass Willi dort bereits 1948 einen Streik für Lohnerhöhungen organisiert hat. Klar auch, dass ihn die Kolleginnen und Kollegen dort bereits im gleichen Jahr zum Betriebsrat wählten. Bald nach seiner Rückkehr aus Frankreich war er in die FDJ, die Freie Deutsche Jugend eingetreten und später dann in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Von April 1950 bis zum Dezember 1953 war er Kreisvorsitzender der KPD in Wilhelmshaven. Auch die Schulungen konnten die aufbrechenden Differenzen mit der Politik der KPD nicht kitten. Ende 1953 trat er aus der Partei aus. Allerdings hatte sein kämpferischer Einsatz dazu geführt, dass er in Wilhelmshaven keine Arbeit mehr fand.
Auch wenn er ausgebildet war zum Handformer, seine eigentliche Profession ist die des Betriebsrats geblieben, bis er in Rente ging. Das bedeutete: immer für die Kolleginnen und Kollegen da zu sein, sie auch zu vertreten, aber nie abzuheben und Pöstchen irgendwo in der Gewerkschaftsbürokratie oder als sozialdemokratischer Abgeordneter anzunehmen. Es ist auch bezeichnend, dass Willi nie darüber spricht, wo und wann ihm solche Posten angeboten wurden. Dass es Angebote gab, dessen bin ich mir sicher.
Eher spricht er darüber, wie die Aufsichtsratssitzungen bei der AEG waren, an denen er als Betriebsratsvorsitzender der vom AEG-Konzern geschluckten Küppersbusch AG teilnahm.
Als er 1958 bei der Küppersbusch AG anfing, waren dort 2500 Menschen beschäftigt. Willi konnte sich beim Antritt seiner dortigen Arbeit sicher nicht vorstellen, dass ihn 22 Jahre mit dieser Firma verbinden sollten.
22 Jahre, in denen er sich als Arbeiter, Gewerkschafter, Betriebsratsvorsitzender bis hin zur Position des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, unermüdlich für die Belange seiner Kolleginnen und Kollegen einsetzte. Eine Zeit, in der sich die Höhen und Tiefen der Nachkriegswirtschaft in diesem Unternehmen widerspiegelten, und in denen er maßgeblich an der Organisation zweier größerer Streiks beteiligt war — wobei sich der zweite erfolgreich gegen die Schließung des Gelsenkirchener Werks richtete.
Dem Aufsichtsrat der Küppersbusch AG gehörte Willi Scherer zwölf Jahre als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender an. Und als der AEG-Konzern die Küppersbusch AG als Tochtergesellschaft erwarb, wurde er 1972 von den Tochtergesellschaften des Konzerns in den Aufsichtsrat gewählt.
Viel lieber als von diesen Aufsichtsratssitzungen erzählt er allerdings von den Arbeiterbildungszirkeln, die er mit Intellektuellen in den 60er Jahren im Ruhrgebiet aufgebaut hat und was er von den Intellektuellen aus dem Umfeld des Sozialistischen Büros damals gelernt hat. Im gleichen Jahr, in dem er nämlich in den AEG-Aufsichtsrat kam, wurde er Mitglied des Sozialistischen Büros. Er war dort eines der wenigen aktiven Mitglieder, die aus der betrieblichen Arbeit kamen. Die respektvolle Unterscheidung zwischen denjenigen, bei denen es Mode war links zu sein, und denjenigen, die wirklich für die emanzipatorische Sache der Arbeiterbewegung standen und stehen, macht mir immer wieder deutlich, wie nahe Aufrichtigkeit und persönliche Sympathie miteinander zusammenhängen.
Für Leute wie mich ist Gelsenkirchen ja eigentlich nur Schalke. Doch dass es dort auch einen linken Buchladen gibt, in den — so Willi — hauptsächlich nur Lehrer gehen und eine Gewerkschaftsseniorengruppe der IG Metall, die kämpferischer ist als Schalke 04, seit sie im neuen Stadion spielen, weiß ich natürlich von ihm.
Vergessen habe ich allerdings, wann und wo genau ich Willi Scherer kennengelernt habe. Eigentlich kenne ich ihn ja auch schon viel länger, als seitdem wir uns persönlich und politisch über den Weg liefen.
Viel wichtiger ist dann ja auch, dass Willi auch noch als Rentner in der IG Metall aktiv ist, auch hier seiner Basis treu bleibt und weiterhin gegen den Abbau sozialer Errungenschaften der Arbeiterbewegung, insbesondere bei der Rentengesetzgebung und der Veränderung der Sozialversicherungen, streitet. Auf das dies noch lange so bleiben wird.
Tommy Schroedter



Arbeiter, Kämpfer, Vorbild

Für Willi Scherer

Als ich 1974 als Redakteur der Zeitung was tun die Arbeit aufnahm, legte unsere junge Redaktion großen Wert auf die Zusammenarbeit mit Genossen, die über eine größere Erfahrung in der Auseinandersetzung zwischen Lohnarbeit und Kapital, sprich im Klassenkampf, verfügten. In der Redaktion gab es keinen, der diese Vorzüge aufwies. Um so wichtiger waren unsere Kontakte zu den wenigen Arbeitern und Gewerkschaftern, die uns außerhalb der eigentlichen Redaktion unterstützten. Sie schärften unseren Blick und hatten dadurch oft Anteil am Zustandekommen von Artikeln, die weniger dogmatisch-abstrakt oder gar sektierisch und mehr von der gesellschaftlichen Wirklichkeit geprägt waren. Georg Jungclas kam bis zu seinem Tod 1975 diesbezüglich eine wichtige Rolle zu; Jakob Moneta spielt diese Rolle bis heute.
Als 1986 das Nachfolgeblatt von was tun, die Sozialistische Zeitung/SoZ, gegründet wurde, hatten wir in Willi Scherer sehr bald einen Arbeitergenossen, der selbst in der Redaktion mitarbeitete. In den ersten Jahren hatte die engere Redaktion ihren Sitz in Köln; die Gesamtredaktion traf sich jedoch alle 14 Tage bewusst in Bochum-Langendreer, unter anderem um die Integration von Willi Scherer und einigen anderen neuen "proletarischen" Redaktionsmenschen — darunter nun erstmals auch Genossinnen — zu ermöglichen. Später konnten die Treffen — mit Willi, der seither regelmäßig aus Gelsenkirchen anreist — in Köln stattfinden.
Die Vorteile einer solchen redaktionellen Zusammenarbeit erwiesen sich erneut als unbezahlbar. Wieder ist das Wichtigste dabei die Erfahrung, die ein Arbeitergenosse wie Willi einbringt: Die sozialistische Zeitungsarbeit wird befruchtet; es entsteht ein Gegengewicht, das die Existenz von "abgehobenen" und realitätsfernen Debatten und Artikeln zumindest reduziert. Willi — und inzwischen eine Reiher Redaktionsmenschen mit Betriebserfahrung steuerten dabei gelegentlich wichtige Artikel für die Zeitung bei. Weit öfters allerdings bereicherten sie durch die Diskussionen und durch ihre Berichte aus dem betrieblichen und gewerkschaftlichen Alltag unsere Erfahrungen.
Die Themen, die dabei Willi immer besonders am Herzen lagen und für die er sich in der Redaktionsarbeit engagierte, waren und sind immer Themen wie Tarifrunden, Streiks, Sozialabbau, Rentenprivatisierung oder die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Und gelegentlich, wenn wir richtig in Willi eindrangen, steuerte er wertvolles Material bei zu einem Artikel über einen wichtigen historischen Arbeitskampf, mitunter einen solchen, an dem er selbst aktiv beteiligt war.
Ich habe in den Jahren 1987—1996, in denen ich verantwortlicher Redakteur der SoZ war, viel von Willi gelernt; und die SoZ-Redaktion profitiert offensichtlich weiter von dieser Zusammenarbeit. Und ich gestehe: Oft mangelte es an ausreichender Zeit, um sich den Erfahrungsschatz, den Willi Scherer verkörpert, zu vergegenwärtigen und nutzbar zu machen. "Schuld" daran trägt auch die bewunderswerte Bescheidenheit, die Willi auszeichnet. Kaum ein anderer, heute noch aktiver Genosse kann auf eine derart fruchtbare Erfahrung im betrieblichen Kampf, im gewerkschaftlichen Engagement und in einer konsequenten sozialistischen Parteilichkeit zurückblicken: als KPD-Genosse, als Bergarbeiter, als Betriebsrat und als Streikführer. Doch diese Erkenntnis drängt sich einem nicht auf — und Willi wäre der letzte, der ich selbst aufdringen würde. Geradezu en passant erfuhr ich irgendwann in den 90er Jahren, nachdem Gretchen Dutschke das Buch über ihren Mann veröffentlicht hatte, von einer Korrespondenz, die Rudi Dutschke mit Willi Scherer hatte.
Übrigens: Wenn ich in einer Arbeiterbiografie lese, da sei einer viele Jahre lang als Arbeitnehmervertreter Aufsichtsrat und dabei zeitweilig sogar stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender eines nicht unwichtigen Unternehmens gewesen, dann kommen mir gewöhnlich die Assoziationen "Korruption" und "das Lager gewechselt". Bei Willi, der über eine solche Biografie verfügt, kommen solche Gedanken erst gar nicht auf.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Willi!
Winfried Wolf


"Dem Morgen ROT entgegen"

Willi Scherer zum Achtzigsten

Lieber Willi,
älter werden wir alle. Wir erleben das an uns selbst und natürlich haben wir auch erlebt, wie du älter geworden bist. Doch bei deinem Älter-Werden ist eine Veränderung ausgeblieben, die wir leider oft bei anderen beobachten. Ihre Leidenschaft lässt nach, ihr Zorn auf die Verhältnisse ist verraucht, sie sind müde geworden, abgekühlt und abgeklärt. Nein, so wolltest du auf deine älteren Tage nicht sein und nicht werden. Die reichere Erfahrung des Älteren, die Erfahrung deines bewegten Lebens war für dich keine Einladung, nur noch die Welt kritisch zu betrachten und dir von ihr bestätigen zu lassen, dass alle Versuche sie zu verändern, vergeblich seien. Du hast dir dein heißes Herz bewahrt, deinen scharfen Blick auf diesen Kapitalismus, dir sind die Menschen nahe geblieben, die deine Kolleginnen und Kollegen waren, im Bergbau, bei Küppersbusch, in der Gewerkschaft, in deiner politischen Arbeit.
Du hast die Ziele nicht aus den Augen verloren, die dein Leben und dich geprägt haben: diese Gesellschaft zu verändern, die Herrschaft des Kapitals über den Menschen abzuschaffen, das Zusammenleben der Menschen so zu gestalten, dass "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist", wie es im Kommunistischen Manifest heißt. Dieser Satz sei hier bewusst zitiert, denn in deiner ungebrochen kommunistischen Haltung stand der Gedanke der Freiheit und der Solidarität, die aus freier Entscheidung erwächst, in einem umfassenden Sinne im Mittelpunkt: Der Mensch soll befreit werden von Herrschaft und Unterdrückung, die uneingeschränkte Sicherung seiner materiellen Existenz blieb für dich eine notwendige Voraussetzung für die freie Entfaltung des Individuums, diesem Freiheitsanspruch hat jede auf Veränderung gerichtete Politik zu folgen.
Deine Heimat ist die "Arbeitswelt". Humanität und Solidarität hat hier seinen Ausgang und bleibenden Ort zu finden. An deiner Biografie können die "Lehrstücke" für den gewerkschaftlichen und politischen Kampf abgelesen werden: an den Streiks, die du mit organisiert hast, an den Tarifverhandlungen, an denen du beteiligt warst, an den innerbetriebliche Auseinandersetzungen, die du durchstehen musstest, an den innergewerkschaftlichen Konflikten, die an deiner Kraft zehrten, an den politischen Auseinandersetzungen, die du nicht nur mit politischen Gegnern zu führen hattest.
Dein Leben war und ist noch immer ein aktives politisches Leben. Deine politische Heimat hast du dort gesucht, wo sich für dich Sozialisten und Kommunisten zusammengefunden haben, der Ausbeutung und Unterdrückung in dieser Gesellschaft den Kampf anzusagen: Früher einmal in der alten Kommunistischen Partei, im Sozialistischen Büro, in den politischen Bewegungen, die diese Gesellschaft aus ihren eigenen Widersprüchen hervorgebracht hat. Ruhelos hast du ungezählte Reden gehalten, Artikel geschrieben, Veranstaltungen organisiert, Menschen zusammengebracht und zusammengehalten. Du warst und bist ein politisches Gravitationszentrum der Linken.
Du hast auch gelitten: unter dem Niedergang der Industrie im Ruhrgebiet, unter der die Menschen und das menschliche Zusammenleben zerstörenden Arbeitslosigkeit, unter der erbärmlichen Politik der Sozialdemokratie und unter der Rat- und Ziellosigkeit der Gewerkschaften. Du hast auch gelitten unter den Linken, die sich mehr mit ihrer gegeneinander gerichteten Profilierung beschäftigt haben als mit dem Kampf, der auf ihren programmatischen Fahnen stand.
Was bleibt von allem, wenn die Kräfte nachlassen und der Blick schärfer auf die entscheidenden Fragen gerichtet wird? War vergeblich der Kampf, war vergeblich alle Mühe? Gibt es nach allen Niederlagen noch eine begründete Hoffnung, dass der Gang der Geschichte seine Richtung ändert und ein rotes Morgen sichtbar wird? Diese Frage ist kaum zu beantworten, doch beantwortet werden kann die Frage: Hättest du anders leben wollen?
Wir haben zwar Abschied genommen von der Erwartung, dass die bessere Welt einmal in einem gradlinigen Entwicklungsprozess aus diesem Kapitalismus hervorgehen wird, getragen und befördert von der Entfaltung der Produktivkräfte und vom technischen Fortschritt und hervorgebracht in weltweiten Klassenkämpfen und Befreiungskämpfen. Aber deswegen gehört unsere Utopie noch lange nicht auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Die Widersprüche sind geblieben, sie haben viele Bereiche der Gesellschaft erfasst und verschärfen sich nicht mehr nur am Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital. So ist die Arbeit an der großen Alternative, die aufklärende und politische Arbeit, schwieriger geworden, auch unübersichtlich — wie oft gerne gesagt wird — aber auch ebenso unübersehbar.
Es gibt keine andere Chance, als auf dem Sprung zu bleiben. Die begründete Hoffnung muss gelebt werden, wenn es sie geben soll. Willi, du alter Freund und Genosse, bleibe der, der du bist, so wie wir dich seit Jahrzehnten kennen — halte dich gesund, erhalte dir deinen scharfen Verstand und dein gutes Herz — und bleibe unter uns!
Edgar Weick, auch im Namen deiner dir vertrauten Freundinnen und Freunde

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