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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 2

Ideologischer Primitivismus?

Betr.: ATTAC und radikale Linke, SoZ 25/01

Werner Rätz, ehemals KB und jetzt Mitglied der Koordinierungskreises von ATTAC hat sein Bekenntnis als "radikaler Linker" abgelegt. So oder so spiegeln seine Darlegungen, insbesondere der praktisch unkritische Bezug auf die Position, die einem "jungen ATTAC-Mitglied" zugeschrieben wird, m.E. mehr die Niederlage der "Linken" wieder als den Aufbruch, über den allenthalben zu hören ist.
Rätz fasst vermutlich durchaus zutreffend die Gemütsverfassung des Gros der ATTAC-Mitglieder und mit ihnen der jungen Generation von Aktivisten der sozialen Bewegung zusammen, wenn er diese dahingehend zitiert, dass man etwas tun sollte, "ohne dass daraus Ansprüche abgeleitet werden könnten nach dem Motto, wer A sage, müsse auch B sagen." Und weiter, das schon erwähnte "junge ATTAC-Mitglied" zitierend, dass dessen Generation "kein Richtigkeits-, sondern ein Nützlichkeitsverhältnis zur Politik hätten". Rätz scheint das alles sehr erfrischend neu und dynamisch zu finden. Mir kommt es angesichts der Situation als wohl unvermeidlicher ideologischer Primitivismus und Rückschritt gegenüber den in der Vergangenheit längst erreichten Höhen vor. Man muss natürlich nicht B nach A sagen, aber man sollte sich dann nicht beschweren, wenn man nicht ernst genommen wird und folglich erfolglos bleibt.
Rätz schießt am Problem vorbei, wenn er den für den Marxismus zentralen Gegensatz zwischen Revolution und Reformismus offenbar für ein Problem aus der "Mottenkiste politischer Begriffe hält". Der Reformismus ist nicht einfach der Kampf für Reformen, sondern die Vorstellung, es bedürfe zur Erreichung des auch von linken Reformisten als solches definierten Endziels (bei der reformistischen Sozialdemokratie seinerzeit der "Sozialismus") keines politischen und sozialen Sturzes der herrschenden Klasse und ihrer Gesellschaftsordnung, sondern nur der Anhäufung systemimmanenter Veränderungen. Damit steht er zum revolutionären Marxismus — und einen anderen gibt es nicht —, der natürlich auch für Reformen kämpft, über deren inhaltliche und zeitliche Begrenztheit aber nie Zweifel aufkommen lässt, im Gegensatz. Da es eine Hauptaufgabe von Marxisten ist, in der potenziell revolutionären Klasse (der der Lohnabhängigen) das Bewusstsein über ihre von allen übrigen Klassen getrennten Interessen zu schaffen, mit anderen Worten, sie von einer Klasse an sich zu einer Klasse an und für sich zu machen, ist der Reformismus nicht nur eine in diesem Sinn ungenügende Ideologie, sondern konterrevolutionär. Für einen revolutionären Sozialisten oder Kommunisten dient der Kampf für Reformen in erster Linie zur Bewusstseinsmachung.
Rätz ist aber offenbar der Meinung, dass es möglich sei, mit einer von ihm selbst als reformistisch eingeschätzten Bewegung den Kapitalismus auf die Zeit von vor 25 Jahren zurück zu drehen. Eine revolutionäre Bewegung gibt es heute offensichtlich nicht. Das einfach zu akzeptieren und stattdessen der amorphen Bewegung derartige Ziele aufzuschwatzen, bedeutet jedoch, an der Verhinderung einer revolutionären (Klassen-)Bewegung mitzuarbeiten und schon dadurch das anvisierte Reformziel vollends zu einem illusorischen zu machen. Rätz schreibt, dass er als radikaler Linker das Ziel von ATTAC, die Politik der Umverteilung von unten nach oben umzukehren, teile. Richtig so! Falsch wird es allerdings, wenn er fortfährt: "bis dahin haben wir einen gemeinsamen Weg. Danach wird man sehen." Hier ist von einem gemeinsamen Ziel und keineswegs von einem gemeinsamen Weg die Rede. Mindestens seit den Zeiten von Marx und Engels hat sich die Linke nie über dieses Ziel gestritten, wohl aber darüber, wie es zu erreichen sei. Das von Rätz zitierte und nicht kritisierte "junge ATTAC-Mitglied" und dessen Generation scheint diese Diskussion nicht zu interessieren, fragt sie doch ausdrücklich nicht, was notwendig und richtig ist (und entzieht nebenbei gesagt der Frage nach der Nützlichkeit völlig den Boden). Die von Rätz an anderer Stelle in Aussicht gestellte weitere Perspektive nach der Reformphase ist auf dieser Basis denn auch nicht wesentlich verschieden von den Sozialismus-Versprechen der alten Sozialdemokratie — Sonntagsreden. Wenn der Gedanke an eine revolutionäre Aufhebung des Kapitalismus abwegig sein sollte, dann ist es der, ihn mit Hilfe einer kleinbürgerlichen Bewegung à la ATTAC zu zähmen, allemal. Vor Lafontaine als ATTAC-Mitglied zu warnen, ist unter diesen Umständen durchaus unangebracht. Er unterscheidet sich von Rätz offensichtlich nicht grundsätzlich.

Anton Holberg, Bonn

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