SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 3

Aldi und seine Kassiererinnen - oder:

Die neue Währung ist da

Die Hauptschwierigkeit in der Analyse des Geldes ist überwunden, sobald sein Ursprung aus der Ware selbst begriffen ist. Unter dieser Voraussetzung handelt es sich nur noch darum, seine eigentümlichen Formbestimmtheiten rein aufzufassen, was einigermaßen erschwert wird, weil alle bürgerlichen Verhältnisse vergoldet oder versilbert, als Geldverhältnisse erscheinen, und die Geldform daher einen unendlich mannigfaltigen Inhalt zu besitzen scheint, der ihr selbst fremd ist.

Karl Marx, 1859

Ja, alle Verhältnisse werden vergoldet und versilbert: mit neuen Münzen in Europa! Am 2.Januar waren alle Zeitungen voll mit neuen Prospekten der Kaufhäuser und Artikeln über die Einführung des Euro. Während im Lokalteil über volle Banken und Sparkassen berichtet wurde und wie problemlos die Schlangen an den Schaltern und Automaten verdaut worden wären, erschienen zweiseitige Anzeigen von Aldi und Lidl und wie sie alle heißen: Preissenkungen auf der ganzen Linie! So begann das neue Jahr mit einem Propagandarummel ohne gleichen. Statt zu rechnen sollten die Menschen glauben. Mini-Währungsrechner wurden unters Volk gebracht, aber sie zu bedienen fehlt die Zeit.
In Wirklichkeit sind die Preiserhöhungen längst gelaufen: In den Monaten vor der Einführung der neuen Währung registrierten die Verbraucherberatungen bei mehr als einem Viertel der Produkte des alltäglichen Bedarfs Preiserhöhungen. Wenn der Ölpreis nicht so stark gefallen wäre, hätte die durchschnittliche Preissteigerungsrate einen neuen Höhepunkt erreicht.

Abschiedstränen

Europas Währung ist gar nicht Europas Währung. Die Europäische Union umfasst 15 Länder, die Währungsunion oder Eurozone nur 12 Länder. Gleichzeitig wird der Euro auch in Ländern außerhalb der EU eingeführt, die bisher als heimliche oder offene Währung die DM hatten: Kosovo und Mazedonien etwa. Die Türkei kennt inzwischen fast größere logistische Probleme bei dem Ersatz der DM durch den Euro als Deutschland selber. Aus dem Kosovo wird Ähnliches gemeldet.
Damit ist der Euro aber noch nicht am Ende. Die drei bisher nicht zur Eurozone gehörenden EU-Staaten — Großbritannien, Schweden und Dänemark — werden wohl in nicht allzu ferner Zeit ebenfalls zum Verbund stoßen, denn ihrem ökonomischen Druck werden sie kaum entgehen können. Und für die Beitrittskandidaten aus dem Osten werden die Hürden beim Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion durch die Blockwährung bestimmt nicht kleiner.
Die Währungsunion ist ein Geschäft für die Banken und Sparkassen, die sich durch den Währungstausch als Hüter der (Währungs-)Ordnung, als Anbieter von Moneten und Konten, Online und am Schalter, automatisch oder mit menschlicher "Zuwendung" an der Kasse ins Gespräch bringen können. Verdient haben die Banken auch an der Ausgabe der sogenannten "Starter-Kits" — tagelang gaben die Kunden Zwanzig-Mark-Kredite an die notleidenden Geldinstitute und verzichteten auf Zinsen für die Euro-Münzen, die sie erstmal nicht ausgeben durften. Bei den vielen Millionen Geldpäckchen, die da gekauft wurden, ein nicht unbeträchtlicher Ertrag für das Geldgewerbe. Ein Geschäft war die Währungsumstellung auch für die Sicherheitsunternehmen, die Unmengen von Münzen und Scheinen unter unheimlich viel Bewachung innerhalb Europas von einem Ort zum andern zu transportieren hatten; sie mußte ihr Personal aufstocken.
Die Umstellungskosten sind in den Preisen schon lange eingerechnet. Und zu den heimlichen Umstellungsgewinnern zählen auch die, die am 2.Januar schon wieder die 99-Cent- oder 99-Euro-Beträge entdeckt haben, nachdem sie vorher genauso in Mark auszeichneten.
Die technischen Probleme der Umstellung hatten hingegen hauptsächlich die KassiererInnen der Supermärkte, Kleingewerbetreibende und das Personal bei öffentlichen Schalterdiensten zu bewältigen.
Die vorher beschworenen Abschiedstränen für die "starke Mark" dürften bei Beschäftigten und Verbrauchern kaum geflossen sein — wenn konservative Gegner des Euro-Projekts damit noch einmal die nationalistische Stimmung anheizen wollten, fuhr dieser Zug nur noch Richtung Prellbock.
Dass man nun ohne Geldumtausch nach Frankreich, Italien oder Spanien in den Urlaub fahren kann, ist angesichts der in den Urlaubsländern verbreiteten Geldautomaten keine große Umstellung mehr. Sicher entfällt das Umrechnen der Preise im Kopf — dafür muss man jetzt jeden Tag zwischen altem Mark-Preis und neuem Euro-Preis hin- und herrechnen, um den Händlern auf die Finger zu schauen.
Aber die Preise in Europa werden jetzt vergleichbarer — und die Löhne auch. Die realen Ungleichheiten, die es zwischen Porto und Kopenhagen gibt, springen deutlicher ins Auge. Vielleicht versetzt das solchen Touristen einen Dämpfer, die sich mit der Mark in der Hand überall im Vorteil glaubten. Vielleicht stärkt das das Bewusstsein, daß man nicht ins Ausland, sondern ins Euro-Inland fährt, wenn man seinen Urlaub in Mallorca oder auf den Kanaren verbringt.

Und die Kritiker haben doch Recht

Dass Aldi die Preise auf der ganzen Linie angeblich senken kann, seine Kassiererinnen dabei die Arbeit und die Sorgen von vorher behalten, liegt ja nicht am Münzgeld, wie immer es heißt, sondern an der Kapitalfunktion des Geldes.
Die Konzentration des Kapitals im Einzelhandel nimmt stetig zu (und nicht nur dort). Selbst aus niedrigeren Preisen werden noch genug Profite gezogen. Die Beschäftigten arbeiten zu Tariflöhnen weit unterhalb des Durchschnittslohns. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Beschäftigten im Einzelhandel Teilzeitbeschäftigte. Von einem Bruttoeinkommen etwas oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 630 DM kann keiner allein oder gar mit Kindern leben. Dass Computerkassen bei der Umrechnung keine Fehler machen, ist allen klar. Dass die Umstellung aber preisneutral über die Bühne gegangen sein sollte, glauben höchstens noch Kommentatoren, die allein an die Anzeigenkunden ihres Blatts denken. Alle Beschäftigten mussten die heimlich oder offen gestiegenen Preise schon vorab bezahlen. Beispiele gibt es genug: von Schwartau-Marmelade-Gläsern bis zur Herbstkollektion oder auch die Einführung von krummen DM-Beträgen schon Wochen vorher, damit hinterher die bekannten 9,90 Euro auf dem Preisschild stehen — das hat es überall genug gegeben.
Aber das ist nicht die einzige Kritik an der neuen Währung. Viele weisen zu Recht darauf hin, dass eine gemeinsame Währung geschaffen wird, bevor eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik möglich ist. Erstens stimmt die Währungsunion nicht mit der politischen Union überein. Zweitens ist die EU nicht in der Lage oder nicht bereit, eine gemeinsame Steuer-, Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, die eine wichtige Grundlage gemeinsamer Währung ist — das hat sie zur Länderhoheit erklärt.
Linke Kritiker weisen zusätzlich darauf hin, dass ohne eine Verwirklichung von gleichen sozialen und demokratischen Standards, ohne Schutzmaßnahmen gegenüber wirtschaftlich schwachen Regionen die gemeinsame Währung zu einer zusätzlichen Verarmung führen wird. Dies ist allerdings eine Kritik, die sich nicht allein gegen den Euro, sondern insgesamt gegen die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa wendet, der — wie gerade die Erwerbslosen mit ihren Protesten immer wieder verdeutlicht haben — die soziale Dimension bewußt und vorsätzlich fehlt. Denn die Schutzfunktion freier Wechselkurse gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr — seit sie in der "Währungsschlange" festgelegt wurden. Später gaben die nationalen Notenbanken ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung der Geldmengen- und Zinspolitik an die Europäische Zentralbank ab. Diese aber erklärt sich — abgehoben von allen sozialen Sorgen, die auf gewählte Politiker drücken können — allein der Geldwertstabilität verpflichtet und trägt damit dazu bei, daß sich die sozialen Ungleichgewichte in der EU verschärfen. Das ist in Deutschland schon zu erkennen.

Ein Projekt der Banken und der Multis

Die Währungsunion ist natürlich nicht geschaffen worden, um bei Urlaubsfahrten den Geldumtausch an den Grenzen zu vermeiden. Multinational agierende europäische Konzerne, die fast immer auf Dollarbasis abrechnen mussten, sind die ersten Nutznießer. Denn die meisten Im- und Exportgeschäfte werden innerhalb der EU getätigt, und da entfallen nun Währungsverluste. Auch für die Banken, Versicherungen und großen Handelsketten mit ihren Filialen in verschiedenen Ländern spart eine gemeinsame Währung Kosten.
Außerdem können die wirtschaftlichen Stärken innerhalb Europas besser miteinander verglichen und gegeneinander ausgespielt werden. Schon seit einiger Zeit werden Automobilarbeiter in Deutschland oder Frankreich mit den Löhnen ihrer Kollegen in Belgien oder Spanien konfrontiert. Der Wettbewerbsdruck wird auf die Löhne und Sozialleistungen abgewälzt — und hier wird uns nur versprochen, daß er noch intensiver werden soll. Freizügigkeit des Kapitals, Freiheit der Märkte: auf diesen Schlachtruf lässt sich die Philosophie hinter dem Euro zurückführen. Die Konsequenzen müssen in jedem Fall wir bezahlen.
Die bessere Vergleichbarkeit von Löhnen und Preisen in Europa könnte vielleicht aber auch zu mehr Solidarität und damit zu einem Aufschwung der Bewegung der abhängig Beschäftigten gegen Ausbeutung und Ausgrenzung führen — diese Chance bietet die gemeinsame Währung und wir sollten sie offensiv nutzen.
Die SoZ weint der D-Mark keine müde Träne nach. Ob wir in D-Mark oder Euro übers Ohr gehauen werden, bleibt sich ziemlich gleich. Aber mit der Einführung des Euro hat sich das Koordinatensystem für den sozialen Widerstand definitiv verschoben. Höhere Löhne, Anpassung der Löhne und Arbeitszeiten, Anpassung der Niveaus sozialer Leistungen usw. dürfen nicht mehr auf die nationale Ebene beschränkt werden. Zur gemeinsamen Währung gehört auch ein gemeinsames "Wehrt euch" der Benachteiligten.

Rolf Euler

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