SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 4

Terrorismus, Globalisierungskritik und Widerstand

Kommentar von Winfried Wolf

Wer auch immer die Hintermänner, was auch immer die Ziele des Anschlags vom 11.September 2001 gewesen sein mögen — der schwedische Schriftsteller Henning Mankell hat Recht: "Der innerste Kern des Terrorismus ist es, Schrecken zu verbreiten … Menschen in Panik können dazu gebracht werden, in jede Richtung zu laufen. Der Terrorismus benutzt die Panik als Instrument … was die terroristische Philosophie reaktionär macht." Vor knapp 100 Jahren wurde ähnlich argumentiert: "Wer den Glauben an die revolutionären Möglichkeiten verloren [hat]", der "verneint … die einschüchternde Rolle des Terrorismus völlig" und "rückt … die aufrüttelnde Bedeutung des Terrorismus in den Vordergrund". Wobei W.I.Lenin mit diesen Worten die Taten von anarchistischen Terroristen verurteilte, deren Terrorakte — u.a. Zarenmorde — im Gegensatz zu den heute zur Debatte stehenden Terrorakten durchaus auf eine breite Zustimmung der Massen stießen.
Mit oder ohne Bezug auf Mankell oder Lenin wird nach den Erfahrungen mit dem 11.September 2001 erneut deutlich: Terroristische Akte nutzen in erster Linie der politischen Reaktion. Nur vier Monate nach den Ereignissen in New York ist eine weltweite Rechtsentwicklung und eine Schwächung der linken — antiimperialistischen, gewerkschaftlichen, demokratischen und umweltpolitischen — Kräfte festzustellen: Flächendeckend werden in den USA und in Europa demokratische Rechte abgebaut, Menschen islamischen Glaubens und "ausländischen" Aussehens unterliegen einem Generalverdacht, das völkerrechtswidrige Bombardement Afghanistans fand in den Parlamenten der USA und Europas Mehrheiten, die teilweise über 95% (BRD) oder gar bei 99,9% (USA) lagen. Krieg in Form eines Racheakts wurde zum Bestandteil der "westlichen Zivilisation" — womit das Rad der Geschichte zurückgedreht wurde.
Die Anschläge vom 11.September haben vor allem in unserem Land den Trend zur Militarisierung der Politik beschleunigt. Verteidigungsminister Rudolf Scharping schien vor dem 11.September 2001 vor seinem Sturz zu stehen. Ursache dafür war nicht primär seine Swimming-Pool-Foto- Session, die er immerhin auf Anraten einer PR-Agentur hatte fabrizieren lassen. Vielmehr hatte es vor dem Anschlag in New York die beeindruckenden Mobilisierungen gegen die "Globalisierung" gegeben. Und es gab eine ernsthafte öffentliche Aufarbeitung des NATO-Kriegs in Jugoslawien: Der "Hufeisenplan", den Kriegsminister Scharping im April 1999 präsentiert hatte, wurde öffentlich als das dargestellt, was er war: ein Produkt westlicher Geheimdienste zur Rechtfertigung dieses Angriffskriegs. In den Regierungsparteien SPD und Grünen verstärkten sich kriegs- und interventionskritische Positionen. Auf der Sondersitzung des Deutschen Bundestags vom 29.August 2001, auf der der Bundeswehreinsatz in Makedonien beschlossen wurde, verfügten SPD und Grüne über keine "eigene" Mehrheit mehr.
Mit dem Terrorakt in New York wurde diese Entwicklung gestoppt und umgekehrt. Beim zweiten Makedonien-Beschluss am 27.September 2001 gab es bereits wieder eine "eigene Mehrheit" von SPD und Grünen. Am 16.November 2001, beim ersten Beschluss zu einem Bundeswehreinsatz im Rahmen der "Allianz gegen den Terrorismus", konnten Schröder und Fischer diese Mehrheit ausbauen und sogar — wenn auch über das Erpressungsmittel "Vertrauensfrage" — eine "Kanzlermehrheit" erzwingen. Schließlich vergrößerte sich am 20.Dezember 2001, beim Beschluss über einen weiteren Bundeswehreinsatz im Rahmen der "Allianz", nunmehr direkt in Afghanistan selbst, die Zustimmung von SPD und Grünen für einen deutschen Kriegsbeitrag nochmals. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung konsolidierte sich auch die Position von Rudolf Scharping, obgleich dieser auch in diesen Wochen kaum eine Gelegenheit ausließ, seine mediengeile Schwatzhaftigkeit — u.a. mit der (offenherzigen) Ankündigung eines nächsten Krieges in Somalia — unter Beweis zu stellen.
Die Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Krieg und die neue Militarisierung der Politik erschienen angesichts der ersten Kriegsdrohungen und am Beginn der Angriffe auf Afghanistan durchaus erfolgversprechend. Inzwischen ist jedoch die Krise der Antikriegsbewegung weltweit und insbesondere in der BRD offensichtlich. Obgleich wir in Bälde eine Ausweitung des "Krieges gegen den Terror" erleben dürften, obgleich die Lunte für einen Flächenbrand an mehrere Brennpunkte (Kaschmir, Israel/Palästina, Somalia, Irak) angelegt ist und obgleich der "deutsche Beitrag" zu diesem neuen imperialistischen Krieg erst aussteht und die Bundesmarine gerade erst vor Weihnachten Richtung Horn von Afrika ausgelaufen ist, erweist sich die Linke als viel zu passiv und allzu oft als ratlos.
Jetzt rächt sich, dass die "Globalisierungskritik" einen unzureichenden zentralen Ansatzpunkt hat (die Kritik an der Macht der Konzerne) und dass die Mehrheit in der Attac-Strömung eine verengte Perspektive weist (Tobin-Steuer, gegen Privatisierungen und WTO-Freihandel). Vor allem aber gilt für die gesamte aktuelle Linke, gleich ob diese bei Attac, in den Euromärschen, in der PDS oder in anderen Kollektiven aktiv ist: Die Kritik an der Militarisierung der Politik und am Krieg darf nicht als Suffix zur sonstigen Kapitalismuskritik gesehen werden. Es geht nicht darum, dass es "im Übrigen auch…" diese Kriegsgefahr gibt. Diese ist vielmehr die größte Gefahr für unsere Gesellschaft und für die Linke. In ihr bündelte sich das Wesen des Kapitalismus vor 100 Jahren — weswegen der Krieg Hauptthema für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war —, und es konzentriert sich in ihr das Wesen des heutigen Kapitals (das im Übrigen weniger von einer "Globalisierung" als von der "Renationalisierung" geprägt ist).
Vor allem gilt: Das Thema Krieg und Frieden bietet aufgrund dieser Aktualität (immerhin lehnten im Oktober mehr als 50% der Deutschen die Bombenangriffe auf Afghanistan ab!) die beste Möglichkeit zu breiten Bündnissen und zu Aufklärungsarbeit über die Natur von Kapital und Konkurrenz.
Gerade die neue Bewegung gegen die Globalisierung, die natürlich begeistert und die in ihrem Kern ohne Zweifel antikapitalistisch ist, und die soziale Zusammensetzung dieser neuen Bewegung, böte eine ideale Chance, zusammen mit dem, was von der klassischen Friedensbewegung übrig ist, eine solche breite, überzeugende und nichtsdestoweniger radikale, also an die Wurzeln des Systems gehende Gegenwehr zu entwickeln.

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