SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 9

Wenn man zusammen steht

Erinnerung an den Fordstreik von 1973

Aus Anlass der vierzigjährigen Wiederkehr der Anwerbung ausländischer Arbeiter, fand in Köln eine größere Veranstaltung zum wilden Streik bei Ford 1973 statt. Die SoZ sprach mit Reiner Schmidt, damals als revolutionärer Student im Betrieb.

Was war der Auslöser des Streiks?
In der ersten Jahreshälfte von 1973 gab es in der Metallbranche Tarifabschlüsse, die in der Realität einen Lohnabbau darstellten. Bei der anschließenden Urabstimmung im NRW-Metallbereich stimmten deswegen über 50% mit Nein. Etwa einen Monat später gingen die Belegschaften bei Hoesch, unter Führung der Vertrauensleute, in den Streik, um die ursprüngliche Forderung von 11% durchzusetzen und den Lohnabbau zu verhindern. Diesem Beispiel folgten dann zuerst die Arbeiter von Mannesmann, dann die bei Rheinstahl, Opel, Philips, Küppersbusch-AEG und auch Ford.

Was ist dir prägend in Erinnerung geblieben?
Vor allem die Streikkultur im Hauptwerk. Die Besetzungen nachts, die Feiern, die Märchenstunden - alles, bis auf ein paar organisierte Linke, war sehr stark türkisch geprägt. Nachts wurden z.B. Märchen erzählt, es wurde getanzt und Musik gemacht, das kannte ich nicht.
Ich gehörte zwar zum Streikkomitee vom Gesamtwerk Ford, arbeitete selbst aber im Teilwerk Merkenich. Was mich hier sehr beeindruckte, war, dass die deutschen und die türkischen Arbeiter fast bis zum Ende zusammen gestreikt haben, also ganz anders als im Hauptwerk. Das hatte etwas zu tun mit einer intensiven, gewerkschaftlichen Vorarbeit und vier organisierten Linken aus verschiedenen Organisationen. Vier organisierte Linke auf 1000 Arbeiter können schon eine bestimmte politische Kultur innerhalb der widerständischen Arbeiter beeinflussen.

Während der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung um mehr Lohn verhandelte, kam aus der Betriebsversammlung massive Kritik an der Betriebsrathaltung. Von Seiten der Geschäftsleitung kamen die Angriffe gegen die türkischen Arbeiter wegen verspäteter Rückkehr aus dem Urlaub. Es war von 300 Entlassungen die Rede.
Der Werksurlaub betrug damals vier Wochen und für viele war das nicht zu schaffen, bis Anatolien und zurück. Deshalb sind viele zu spät zurück gekommen und entlassen worden. Daraufhin brach der Streik aus.

Da kam dann ja auch die Forderung auf: Rücknahme der Entlassungen und eine Mark mehr für alle, was über die Forderung von 60 Pfennig mehr hinaus ging.
Das war eine Festgeldforderung, hinter die sich alle stellen konnten. Wobei man dazu sagen muss, dass die deutschen Kollegen im Hauptwerk weniger mit Taten solidarisch waren, als mehr durch eine inaktive Teilnahme.
Die Presse reagierte auf den Streik mit verbalen Angriffen und sprach von "Türkenterror" und "Ford in Türkenhand". Die IGM hetzte vor den Betriebstoren mit Lautsprechern gegen den Streik. Sie gab durch, dass sie 200 DM rausgeholt hätte und griff gleichzeitig die Organisatoren des Streiks, als Chaoten und Kommunisten. Doch die Streikenden machten immer wieder Umzüge durch das Werk.
Am Anfang des Streikausbruchs sollten die Leute von der Weiterarbeit abgehalten werden und Kollegen einsammeln für die Streikfront. Statt verstreut irgendwo rumzusitzen, zeigte man sich gegenseitig, wie viele dabei waren. Das wurde immer mehr zum Ritual, man war beschäftigt und saß nicht einfach verstreut in der Halle herum.
Maschinen wurden gelegentlich auch rabiat abgestellt, denn es sollte verhindert werden, dass weiter gearbeitet wurde. Die ganze Zeit über waren jedoch die Aktionen der Streikenden äußerst friedfertig.

Doch dann kam es zu gewalttätigen Angriffen auf die Streikenden. Die Polizei schritt ein. Ja, der Hauptzug der Streikenden wurde gespalten von einer Gegendemonstration von hauptsächlich deutschen Meistern und Vorarbeitern und einigen deutschen Rechten, die man an ihren Sprüchen gegenüber den Türken erkannte. Dann wurden die Tore heruntergelassen und plötzlich war die Streikleitung mit wenigen, etwa 200 Kollegen, allein. Man versuchte die Streikenden zu isolieren, damit sie sich nicht wehren konnten.
Die Streikleitung wurde jedenfalls ganz gezielt herausgepickt, festgenommen und abgeführt. Die Polizei wurde dabei vom Werkschutz unterstützt. Ungefähr 20 Kollegen wurden verhaftet. Entlassen wurden hinterher 90, also unter hundert. Die Geschäftsleitung war gut informiert, sie wussten genau, wen sie da entlassen haben. Später kamen dann die Ausschlussverfahren der IG Metall.

Wie bewertest du im Nachhinein den Streik?
So wie der Streik endete, war er eine Niederlage. Aber für die Leute, die an diesen fünf Streiktagen teilgenommen haben, war es irgendwie wie ein Befreiungsschlag.
Die Erfahrung, die die Kollegen dabei gemacht haben, macht man selten. Sie hatten eine progressive Wirkung, trotz der Niederlage. Die Kollegen haben gemerkt, was man erreichen kann, wenn man sich auch über Interessengegensätze hinweg zusammenrauft. Sie haben erfahren, dass eine Menge zu bewegen ist, wenn man es schafft, zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen zu vermitteln und die politischen und kulturellen Unterschiede zu überwinden. Das man dann z.B. ein so ein riesiges Werk besetzen kann, das ist eine positive Erfahrung.
Die Erfahrung, was möglich ist, wenn man als Arbeitnehmer zusammen steht, wenn man etwas erreichen will, hat auch mir persönlich die Kraft gegeben, politisch weiter zu arbeiten und etwas gegen ungerechte Verhältnisse zu machen in diesem Land. Die Erfahrung mit den ausländischen Kollegen, die Angriffe, denen sie ausgesetzt waren und die Freundschaften mit ihnen, haben mich bestärkt, mich auch im antirassistischen Kampf zu betätigen.

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