SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 10

Im Würgegriff

Wie der Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim der Garaus gemacht werden soll

Am Anfang, im Herbst 1979, stand eine Besetzungsaktion als Feuertaufe der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM), später gab es die Legalisierung und einen Mietvertrag mit der Stadt. Doch der wirkliche Anfang der SSM e.V. war schon einige Jahre vorher, als der Verein — noch unter anderem Namen — mit Unterstützungsarbeit für obdachlose Jugendliche begann. Laut Reinhard Kippe, einem "Urgestein" des SSM, führte die Erfahrung der Gefahr, von den städtischen Behörden abhängig zu werden, zur Orientierung auf wirtschaftliche Selbstständigkeit. Vor Jahren berichtete die SoZ über die Arbeit dieses linken Selbsthilfeprojekts (siehe SoZ 23/97). Jetzt greift die Stadt Köln (Ratsmehrheit von CDU und FDP) die SSM an.
Ausgangspunkt ist ein Stadtratsbeschluss vom 5.April 2001, den allerdings der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Kölner Stadtrat Rolf Biethmann besorgten, mit der SSM sympathisierenden Bürgerinnen und Bürgern, in einem Brief vom 26.April wie folgt verkaufte: "Ich freue mich Ihnen mitteilen zu können, dass der Rat der Stadt Köln in seiner Sitzung vom 5.4.01 eine Regelung getroffen hat, die es der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim e.V. ermöglicht, ihre Projekte wie bisher fortzuführen." Die Versammlung der Bürgerdienste Mülheim vom 23.April führte dagegen in einer Solidaritätserklärung mit der SSM u.a. aus: "Die Mülheimer Bürgerdienste fordern den Rat der Stadt auf, die Voraussetzungen dafür wiederherzustellen, dass die 'Sozialistische Selbsthilfe Mülheim‘ jetzt und in Zukunft ihre Arbeit in Mülheim fortsetzen kann." Wie reimt sich das?

Mit Haken und Ösen.

Der Beschluss des Stadtrats hat einige Haken und Ösen. Um dies richtig einordnen zu können, müssen einige Informationen zur Entwicklung der Sachlage und zur Umsetzung des Stadtratsbeschlusses durch die Verwaltung hinzugezogen werden. 1987 handelte die Stadt mit der SSM einen Mietvertrag aus. Eine alte Fabrik, die eigentlich abgerissen werden sollte, wurde "großzügiger" Weise für eine um 50% herab gesetzte ortsübliche Miete überlassen, wobei die Gebäude durch die Eigenarbeit der Mitglieder der SSM instand gesetzt wurden. Normalerweise zahlen aber förderungswürdige Vereinigungen (z.B. Sportvereine) nur 20% der ortsüblichen Miete. Die Grundsteuer hatte die Stadt dabei auf 1000 DM angesetzt. Die Stadt Köln erhöhte die Grundsteuer zunächst nachträglich auf 2573,46 DM. Die SSM brachte diese zusätzlichen Kosten unter großen Schwierigkeiten auf. Doch dann kam eine zweite rückwirkende Erhöhung auf 8729 DM jährlich, die auch rückwirkend bis 1994 zu bezahlen seien. Man errechnete eine Nachforderung von über 41000 Mark.
Da die Stadt berechtigt ist, die Grundsteuer festzulegen, und sich als Eigentümerin des Grundstücks nicht gegen ihre eigene Festlegung "auflehnen" wird, hat die Mieterin das Nachsehen. Eine wunderbar "rechtsstaatliche" Konstruktion!
Der Rat hatte eine für die SSM viel günstigere Beschlussvorlage aus der Verwaltung ausdrücklich abgelehnt. Demnach sollte es bei 2573,46 DM bleiben und die über 41000 Mark "Schulden" der SSM erlassen werden. Neben einer Würdigung der sozial engagierten Arbeit der SSM heißt es in dieser Vorlage ausdrücklich: "Die SSM ist nicht in der Lage, der Stadt diesen Betrag zu erstatten." Der Stadtratsbeschluss vom 5.April übernimmt zwar den Betrag von 2573,46 DM und betont, dass keine Verrechnung mit der Miete möglich ist. Die etwa 41000 Mark "sowie künftig eventuelle Erhöhungsbeiträge der Grundsteuer" aber sollen der SSM mit den eigenen Bau- und Sanierungsinvestitionen verrechnet werden. Der SSM "stockt" hierbei "der Atem", wie sie in einem Faltblatt zur Entwicklung des Konflikts Anfang Dezember erklärte: "Die Nachforderung ... ist zu zahlen. Unsere früheren Leistungen an den Gebäudeinvestitionen, wo uns vertraglich garantiert wurde, sie mit der Miete verrechnen zu können und auf die wir in der Existenzsicherung angewiesen sind, sollen dafür herhalten."
Der nächste Hammer verbirgt sich in Punkt 3 des Ratsbeschlusses: "Die Vertragslaufzeit beträgt 10 Jahre mit zusätzlicher einmaliger Verlängerungsoption um 5 Jahre. Nach Auslaufen des Vertrages werden die Parteien darüber verhandeln, ob das Mietverhältnis fortgesetzt wird." Zuvor bestand eine 30-jährige Mietlaufzeit. Der Punkt 3 des Ratsbeschlusses bedeutet demgegenüber eine Kürzung um 20 Jahre.
Die SSM mag angesichts all dessen auch an die fünfjährige "Galgenfrist" nicht recht glauben: "Wenn wir Punkt 3 akzeptieren, ständen wir in Kürze, genau am 30.6.2003 vor dem Aus." So befindet sich die SSM unter erheblichem Erpressungsdruck, regelrecht im Würgegriff des CDU/FDP-geführten Stadtrats.
Schlimmer noch: Die drei Punkte des Ratsbeschlusses sind miteinander gekoppelt. Akzeptiert die SSM nicht das ganze Paket einschließlich der Kürzung der Vertragslaufzeit, dann gilt auch die nachträglich wieder reduzierte Grundsteuer nicht, und die über 6500 DM Differenz zu den direkt zu zahlenden 2500 DM werden der SSM auch vom Investitionsguthaben abgezogen. Dies geht ausdrücklich aus einem Schreiben des Amts für Stadtsanierung und Baukoordination an die SSM vom 12.September hervor, in der die Amtsleiterin Frau Kröger den Ratsbeschluss genau so interpretiert. Dort heißt es auch: "Bis zum Abschluss eines geänderten Mietvertrags ist der bisherige Mietvertrag gültig. Das bedeutet insbesondere, dass die restliche Grundsteuer aus 1994—2000 sowie vierteljährlich zu erstattende Grundbesitzabgaben in voller Höhe auf mein Konto bei der Stadtsparkasse zu überweisen sind."
Am 18.Oktober drohte die Amtsleiterin unverhohlen mit der Kündigung: "Ich weise ausdrücklich daraufhin, dass Sie sich bei der Nichteinhaltung der oben genannten Zahlungsfristen in Verzug befinden und ich von meinen Kündigungsmöglichkeiten des Mietvertrags Gebrauch machen werde."
Von des Christdemokraten Biethmanns Behauptung, der Ratsbeschluss ermögliche der SSM weiter zu machen "wie bisher" bleibt so wenig übrig, dass es schwer fällt, hierzu eine Formulierung zu finden, die auch vor Gericht Bestand hätte.

...gegen gesellschaftliche Nischen

Die Mitglieder der SSM weigern sich, den ungerechten und unerfüllbaren Forderungen nachzukommen und warten sozusagen stündlich, dass ihnen die Kündigung ins Haus flattert. Bis jetzt (Anfang Januar) ist dies noch nicht geschehen. Die SSM will sich wehren, nicht nur vor Gericht, sondern auch, indem sie Öffentlichkeit herstellt und Solidarität mobilisiert. Hierfür hat sie die Gründung eines Solidaritätskreises "Pro SSM" initiiert. SSM-Mitglieder sagen im Gespräch, dass sie sich nicht von ihrem Zuhause in der Düsseldorfer Str.74 in Köln-Mülheim wegdrängen lassen werden, in das sie soviel Arbeit hineingesteckt haben und das eine menschenwürdige Existenz ermöglicht.
20 Menschen, darunter Ex-Alkoholiker, Ex-Fixer und Ex-Obdachlose leben und arbeiten hier, verdienen sich durch Wohnungsauflösungen und einen Second-Hand-Laden ihr Auskommen, proben dauerhaft eine solidarische Lebensweise, die natürlich den bürgerlichen Politikern ein Dorn im Auge ist.
Wenn die Stadt es zum Äußersten kommen lässt, wird es darauf ankommen, einen Schutzwall um die Düsseldorfer Str.74 aufzubauen, der den politischen Preis für ein "Durchgreifen" der Staatsgewalt in unberechenbare Höhen treibt!
Der Konfrontationskurs der konservativ-liberalen Kölner Stadtratsmehrheit mag — neben dem Wunsch, späte Rache gegen eine erfolgreiche Aneignungsaktion von unten zu üben — auch darauf abzielen, sich ein lukratives "Filetstück" an Grund und Boden unter den Nagel zu reißen. Jedenfalls liegt dieser Kurs in der Logik der Gesamtpolitik dieser Mehrheit, einer Politik der Radikalausdehnung der kapitalistischen Profitlogik in alle gesellschaftlichen Bereiche, die bisher noch relativ verschont geblieben waren ("Privatisierungen"). Gegen dieses Vorhaben, massenhaft städtische Wohnungen zu verscherbeln, sind in den letzten Monaten über 70000 Kölner Unterschriften gesammelt worden.
Eine Zusammenführung dieser Bewegung mit der Bewegung zur Solidarität mit der SSM könnte das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Stadtratsmehrheit verschieben.

Manuel Kellner

Weitere Informationen und Kontakt über SSM und Institut für Neue Arbeit (INA), Fon (0221) 6403152, Fax (0221) 6403198, E-Mail: h-weinhausen@foni.net.



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