SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 10

Selbstaktivität, Selbstorganisation, Selbstbefreiung

Als wir von der Köln-Mülheimer Gruppe der Internationalen Sozialistischen Linken (ISL) im Herbst letzten Jahres eine öffentliche Veranstaltung zum Thema "Erwerbslosigkeit und soziale Not in Mülheim" organisierten, war es für uns eine Selbstverständlichkeit, die SSM einzuladen, damit sie ihre Arbeit und ihren Konflikt mit der Kölner Stadtratsmehrheit darstellten kann. Einer unserer Genossen, der bis vor kurzem noch SPD-Mitglied war (inzwischen ist er mit einer politischen Erklärung gegen die Kriegspolitik der Schröder-Regierung ausgetreten), war davon allerdings nicht begeistert: "Alles schön und gut mit der SSM", meinte er, "aber der Pferdefuß dabei ist doch, dass sie in einigen Fragen den Konservativen und Liberalen in die Hände spielt. Selbsthilfe und Eigeninitiative der Bürger haben die Bürgerlichen doch auf ihre Fahnen geschrieben, und das ist nur ein Vorwand für weiteren Sozialabbau. Natürlich sind die bestehenden Solidarsysteme und sozialen Errungenschaften unzureichend, verknöchert und zum Kotzen, alles geschenkt. Aber immerhin betreffen sie Millionen und nicht nur ein paar Dutzend Leute." Wir anderen knurrten: "Erst solidarisieren, dann diskutieren!"
Damit war der Genosse dann auch einverstanden. Gleichwohl ist sein Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen. Sicher ist es legitim, dass die SSM gerade die CDU immer wieder auf den Widerspruch hinweist zwischen ihrer Rhetorik und ihrem Handeln, und auch zwischen ihrer Politik und der katholischen Soziallehre, auf die sie sich beruft. Einerseits wird die Selbsthilfe als "Subsidiarität" und Überwindung des Bauens auf öffentliche Unterstützung gepriesen, andererseits gegen ein wirkliches Selbsthilfeprojekt wie die SSM vorgegangen. Tatsächlich erspart die SSM der Stadt Köln Jahr für Jahr über 250000 DM im Sozialbudget. Darüber hinaus hilft sie schwer bezifferbare öffentliche Gelder für Heim- und Therapieplätze einzusparen. Und doch ist die Berufung darauf zumindest zweischneidig. Viele der Menschen, die bei der SSM leben und arbeiten, würden in der "offiziellen Arbeitsgesellschaft" wohl keinen Erwerbsarbeitsplatz finden. Doch mit dem Eintritt in die SSM verzichten sie auch auf jegliche Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung. Das ist bei der SSM satzungsmäßig so geregelt.
Das der SSM nahestehende Institut für Neue Arbeit (INA) macht eine Strategie daraus. "Neue Arbeit" bedeute, nur noch mit einem Teil der Arbeitskraft am Markt tätig zu sein. Der andere Teil der Arbeitskraft diene der Erwirtschaftung des gemeinschaftlichen Auskommens durch Eigenarbeit in solidarischen Formen, wobei jede nützliche Tätigkeit als Arbeit zählt und — zumindest im Prinzip — "alle alles" machen: Kinderbetreuung und kochen, musizieren, Buchführen, reparieren oder Flugblätter schreiben.
Das ist ein interessanter Ansatz und entspricht dem kommunistischen Ideal. Aber kann das wirklich als gesellschaftsveränderndes Konzept auf Millionen von abhängig Beschäftigte und Besitzlose in der kapitalistischen Industriegesellschaft verallgemeinert werden? Diese Frage wurde auch auf unserer Veranstaltung aufgeworfen. Eine endgültige Antwort darauf gab es natürlich nicht.
Wir haben aber einen Traum; und die SSM gehört zu den Teilchen der Realität, aus denen sich dieser Traum zusammensetzt. Die alte Arbeiterbewegung war eine regelrechte "Gegengesellschaft" im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft. Sie war vielfältig, sie bestand aus politischen Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, Sport- und Kulturvereinen (sowie aus Organisationen, die ich hier aus Bammel vor dem Verfassungsschutz verschweige). In der alten Form kann das nicht wieder erstehen. Aber wir wollen nicht nur eine radikale rote politische Alternative. Wir wollen auch die Gewerkschaften von innen radikal erneuern, damit sie bspw. aufhören, die Ausgegrenzten von Mülheim links liegen zu lassen. Wir wollen auch eine neue Vielfalt von Selbstaktivität, solidarischer Selbstorganisation von unten, die Keim einer neuen solidarischen Gesellschaft ist. Was die SSM tut und was das INA propagiert, ist ein Teil davon, eine moderne und auf Emanzipation abzielende Wiederaufnahme des alten Genossenschaftsgedankens. Und es gerät in Konflikt mit dem Bestehenden und ist schon deshalb politisch. Darum: Solidarisieren und diskutieren!

Manuel Kellner

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