SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 16

Krieg zwischen Indien und Pakistan?

Washingtons "Krieg gegen den Terrorismus" hat es bisher nicht vermocht, auch nur einen zentralen Führer der Taliban festzunehmen — stattdessen wurden nationalistisch-religiöse islamische Kräfte dadurch angestachelt und ein Krieg zwischen den Atommächten Indien und Pakistan neu auf die Tagesordnung gesetzt.

George W. Bush sitzt in der Tinte. Zwar mussten die Taliban aus Kabul abziehen, aber einer Eindämmung des Terrorismus ist er deswegen nicht eine Spur weitergekommen. Im Gegenteil, seine Philosophie, den Krieg als Mittel der Friedensstiftung zu verkaufen, hat in anderen Teilen der Welt Jünger gefunden und schwelende Konflikte bedrohlich angestachelt. Als erstes meinte Israel, die Palästinenser rundheraus zu Terroristen erklären zu können und erklärte ihnen den ultimativen Krieg.
Nun ist auch Indien auf den Geschmack gekommen; es fordert von den USA, den Antiterrorkrieg in Pakistan fortzusetzen, und droht, zur "Selbsthilfe" zu greifen. Bezeichnenderweise bedienen sich die Regierungschefs beider Länder desselben Arguments: "Es kann nicht zweierlei Maßstäbe geben — für die USA andere als für uns." Die Gelegenheit scheint günstig, sowohl Pakistans Einfluss in Kaschmir als auch seine Rolle als Hauptverbündeter der USA in der Region zu brechen.
Die indische wie auch die US-amerikanische Regierung halten es für erwiesen, dass das bewaffnete Attentat auf das indische Parlament am 13.Dezember, bei dem 14 Menschen starben, von Angehörigen zweier radikal-muslimischer Gruppen aus Kaschmir verübt wurde: Lashkar-i-Tayyaba (Heilige Armee) und Jaish-i-Mohammed (Prophet Mohammed). Zumindest die zweite Gruppe ist (ebenso wie die Taliban) ein Produkt des pakistanischen Geheimdienstes ISI; sie hat ihre terroristischen Aktivitäten nach dem 11.September verstärkt hat: mit einem Anschlag in Srinagar, dem 40 Menschen zum Opfer fielen, und der Ermordung mehrerer Christen in der pakistanischen Stadt Bahawalpur. Zur Vergeltung bombardierte Indien einige Ziele auf pakistanischem Gebiet — noch vor dem 13.Dezember. Pakistans Regierungschef Musharraf fordert Beweise und beschuldigt im Gegenzug den indischen Geheimdienst RAW, ein Komplott gegen Pakistan eingestielt zu haben, damit die "internationale Völkergemeinschaft" Pakistan zu einem Staat erklärt, der "Terroristen beherbergt".
Pakistanische Zeitungen berichteten am 23.Dezember, die indische Regierung betreibe die Kündigung des Indus- Abkommens und die Verweigerung von Überfliegerrechten für pakistanische Zivilflugzeuge. Das 1960 geschlossene Indus-Abkommen regelt die Verteilung des Wassers dieses größten Flusses in der Region. Sein Quellgebiet liegt in Indien; aber in Pakistan wie auch Afghanistan hängt die Nahrungsmittelproduktion fast vollständig von dem Bewässerungssystem ab, das seine Wasser speisen.

Eine Friedensbewegung für den indischen Subkontinent

Der Vorsitzende der Labour Party Pakistan, Farooq Tariq, kommentierte Ende Dezember die neue Zuspitzung wie folgt:
"Beide, die indische wie die pakistanischen Regierung, sind auf einem Weg in die Katastrophe ... Sie wollen den amerikanischen Weg gehen, um Punkte zu machen. Krieg ist die einzige Lösung — das ist die Schlussfolgerung, die diese Wahnsinnigen nach den Ereignissen der letzten drei Monate ziehen. Amerikas Krieg gegen Afghanistan hat aber keinen Frieden und keine Befreiung von sog. Terroristen gebracht. Im Gegenteil, es hat den Weltfrieden massiv gefährdet. Die Welt steht heute näher am Rand eines Atomkriegs als jemals zuvor in der Geschichte.
Die Drohung eines neuen Kriegs zwischen Indien und Pakistan straft die Behauptungen des US-Imperialismus Lügen. Die US-Regierung behauptete, durch die Bombardierung Afghanistans und die Entmachtung der Taliban werde die terroristische Bedrohung abgewendet. Der Angriff auf das indische Parlament, das gescheiterte Selbstmordattentat vom 23.Dezember, die Ermordung des Bruders des pakistanischen Innenministers einen Tag vorher in Karachi und die Fortsetzung des bewaffneten Konflikts in Palästina beweisen aber, dass Terrorismus sich nicht durch Staatsterrorismus stoppen lässt.
Die USA mögen den Krieg gegen die Taliban gewonnen haben, aber sie haben die Saat des Krieges gestreut. Die Niederlage der Taliban bedeutet mitnichten ein Ende des religiösen Fanatismus, im Gegenteil. Meinungsumfragen belegen, dass die Taliban immer noch Unterstützung unter 43% der pakistanischen Bevölkerung genießen, obwohl sie nicht bis zum Schluss gekämpft haben. Religiös-fundamentalistische Gruppen organisieren ihre Aktivitäten in Pakistan in aller Öffentlichkeit. Keines ihrer Lager ist geschlossen worden. Sie fahren ungestört fort, arbeitslose Jugendliche aus den Unterschichten zu rekrutieren.
Die andere bittere Wahrheit ist, dass kein zentraler Führer der Taliban bisher verhaftet oder getötet wurde, trotz des Bombenregens, der auf ihre Lager herunterprasselte. Es ist nun durchgesickert, dass die Taliban sich im vollständigen Einvernehmen mit der Regierung Karazai, die von den USA gestützt wird, zurückgezogen und der Übergangsregierung noch das Versprechen abgerungen haben, dass niemand aus ihrem Führungskreis verhaftet oder getötet werde. Eine Ursache dafür können die bestehenden ethnischen Konflikte in Afghanistan sein; Hamid Karazai will sich die Unterstützung der pashtunischen Taliban sichern, um ein Gegengewicht gegen usbekische, tadschikische u.a. Nationalistenführer zu haben.
Die religiös-fundamentalistischen Gruppen wollen den totalen Krieg mit Indien. Die indische Regierung wird von der fundamentalistischen Hindupartei Bharatiya Janata Party (BJP) gestellt, deren soziale Basis der Hindu-Chauvinismus ist. In den indischen Massenmedien gibt es hysterische Aufrufe zu Vergeltungsschlägen gegen Pakistan.
Das Volk von Kaschmir will die Unabhängigkeit. Die religiösen Fundamentalisten versuchen, den Kampf um die nationale Befreiung in einen religiösen Kreuzzug umzuwandeln. Ein Teil des pakistanischen Geheimdienstes hilft ihnen dabei.
Die arbeitende Bevölkerung in Pakistan und Indien muss sich dem Kriegskurs ihrer Herrscher widersetzen. Nein zum Krieg, ja zum Frieden! Die Notwendigkeit einer Friedensbewegung auf dem indischen Subkontinent ist heute größer denn je. Die eigentlichen Verlierer in einem Krieg zwischen Indien und Pakistan werden die einfachen Bürgerinnen und Bürger beider Länder sein.
Die indische und die pakistanische Ökonomie erwirtschaften nicht mehr als 400 US-Dollar pro Kopf und Jahr. Beide Länder zusammen zählen fast ein Fünftel der Weltbevölkerung, aber auch 70% ihrer Armen. In beiden Ländern sind die Militärausgaben enorm hoch, in Pakistan betragen sie 45% des Bruttosozialprodukts.
In beiden Ländern sind die religiösen Fundamentalisten sehr stark. Wenn sie je in den Besitz von Atomwaffen gelangen, entsteht eine völlig neue und sehr gefährliche Situation. Die wirtschaftlichen Folgen eines Krieges wären katastrophal. Der Krieg gegen Afghanistan hat die pakistanische Wirtschaft schon an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
Ein Krieg zwischen Indien und Pakistan ist eine reale Möglichkeit geworden. Die USA mögen nicht dafür sein. Aber die Umstände können ihnen außer Kontrolle geraten. Mit dem Angriff auf Afghanistan haben sie die Büchse der Pandora geöffnet."

Quelle: www.labourpakistan.org.

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