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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 20

Eine Alternative ist greifbar

Neville Alexander über die Afrikanische Allianz, die neoliberale Politik des ANC und die neue außerparlamentarische Opposition

Der Germanist und Historiker Neville Alexander, Jahrgang 1936, war wegen seines Engagements gegen das Apartheid-Regime elf Jahre als politischer Häftling auf der Gefängnisinsel Robben Island interniert. Heute ist der marxistische Wissenschaftler und Gründungsmitglied der Workers Organisation for Socialist Action (WOSA) Direktor des Studienprogramms "Alternative Erziehung" an der Universität Kapstadt. Im Herbst 2001 ist im C.H.Beck Verlag sein Buch Südafrika erschienen, das die Geschichte seines Landes auch im internationalen Kontext kritisch aufarbeitet. Das Interview für die SoZ führte Gerhard Klas.

Südafrika hat eine internationale Schlüssel- und Vermittlerrolle für die gesamte Region des südlichen Afrika. Wer profitiert von der Außenpolitik der südafrikanische Regierung?
Südafrika wird vor allem von Europa und den USA als wichtiger Partner zur Erschließung des südlichen Afrika angesehen. In der Regierungsallianz, bestehend aus dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC), der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU, erfüllt vor allem der ANC diese Erwartungen geradezu enthusiastisch. Thabo Mbeki, der amtierende Präsident, hat mit dem Konzept der Afrikanischen Renaissance einen Überbau dafür geliefert. Einerseits fasst die Afrikanische Renaissance programmatisch eine Wiederbelebung der afrikanischen Kultur, der Wirtschaft, des politischen und sozialen Lebens zusammen. Andererseits schafft sie einen Ermächtigungsrahmen, mit dem vor allem die dominierenden Staaten südlich der Sahara zahlreiche politische und wirtschaftliche Initiativen ergreifen können.
Mbeki und andere behaupten, dass dieses Programm allen Menschen Afrikas, vor allem den Armen, zu Gute kommen soll. Aber weil es innerhalb eines kapitalistischen und neoliberalen Gesellschaftsmodells umgesetzt werden soll und dieses nicht in Frage stellt, wird es in erster Linie — wenn nicht ausschließlich — der schwarzen bzw. afrikanischen Mittelschicht zu Gute kommen. Das Konzept der Afrikanischen Rennaissance ist mit dem "Black Empowerment" in Südafrika vergleichbar, das de facto eine Ermächtigung des schwarzen Mittelstands bedeutet. Mit der Verbesserung der Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung haben diese Programme so gut wie nichts mehr zu tun. Bis heute wird auch von Linken innerhalb des ANC behauptet, dass vom Black Empowerment eigentlich Arbeitslose, Arbeiter und die ländliche Bevölkerung profitieren. Aber selbst sie fügen dann hinzu, dass es natürlich sehr lange dauern wird, bis alle etwas von den neuen Errungenschaften haben.

Warum war die südafrikanische Regierung die einzige im südlichen Afrika, die auf der jüngsten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation von Anfang an eine neue Verhandlungsrunde durchsetzen wollte — gegen die Interessen ihrer Nachbarn?
Das hängt mit den relativen Vorteilen der südafrikanischen Wirtschaft gegenüber ihren Nachbarn zusammen. Die Kapitalistenklasse Südafrikas braucht diese Handelsfreiheit, die von der WTO angestrebt wird. Nicht nur, um in den Ländern der Wirtschaftsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), sondern um überhaupt den afrikanischen Kontinent zu penetrieren. Das wird der Regierung in Pretoria vom Norden aber nur dann zugestanden, wenn sie ihrerseits die Märkte Südafrikas öffnet. Die ökonomische Situation der übrigen Länder des südlichen Afrika räumt anderen Regierungen und Volkswirtschaften eine solche Position nicht ein. Die meisten von ihnen stehen im Gegensatz zu Südafrika am Ende der globalen Wirtschaftsskala.

Auch innenpolitisch stößt die Politik des ANC auf Widerspruch. Hat sich dadurch auch das Verhältnis des ANC zu den Allianzpartnern in der Regierung, dem Gewerkschaftsdachverband COSATU und der SACP, geändert?
Der Druck von unten ist so stark geworden, dass die Gewerkschaftsführung, zum Teil auch die Führung der SACP, ganz öffentlich die Politik des ANC angreifen muss. Sie können nicht anders, denn die politischen Aktivisten in ihren eigenen Organisationen sind hochgradig unzufrieden, weil die Versprechen der Postapartheidära nicht eingehalten wurden. Immer mehr Jobs gehen verloren, für einen großen Teil der schwarzen Bevölkerung wird die soziale Lage immer prekärer. Die Führung der Allianzpartner muss also gegen die ANC-Politik vorgehen, lässt sich andererseits aber Hintertüren für einen erneuten Kurswechsel offen. Doch es gibt gerade auch bei den Gewerkschaften einige Ausnahmen, bei denen der Bruch mit dem ANC tiefer ist: Teile der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, der Metallbranche, der Erziehungsgewerkschaft und der Chemiearbeiter. Nur in einigen Fällen sind es die profiliertesten Führer, die sich gegen die Allianz aussprechen. Die meisten tun das privat und finden in der Öffentlichkeit kein kritisches Wort.

Ende der 90er Jahre ging es in erster Linie gegen Massenarbeitslosigkeit — die Gründe dafür wurden ausgeblendet. Heute stehen die Privatisierungspläne der Regierung an erster Stelle der Gewerkschaftsmobilisierungen. Ist das ein Ausdruck des Wandels?
Vor allem die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ist hier eine treibende Kraft. Auch die Beschäftigten der großen Dienstleistungsbranchen wie der Telekommunikation und der Stromversorgung sind von den Privatisierungsplänen der Regierung betroffen. Vielen tausend Beschäftigten drohen Entlassung und Arbeitslosigkeit. COSATU hat keine andere Wahl, als den Schwerpunkt auf Privatisierung zu setzen. Andererseits muss man auch ganz genau hinsehen, denn die Führung spricht sich nicht gegen Privatisierungen als solche aus. Sie sind nicht dagegen, dass diese Branchen als "Unternehmen" betrachtet und nach betriebswirtschaftlichen Kriterien verwaltet werden. Sie sind lediglich gegen einen Verkauf an private Unternehmen und wollen, dass der südafrikanische Staat zumindest mehr als die Hälfte der Eigentumsrechte behält.

Gibt es eine außerparlamentarische Opposition, die über die Gewerkschaften hinaus reicht?
Ständig entstehen neue außerparlamentarische Initiativen. In erster Linie sind es Gruppen und Organisationen auf regionaler Ebene, hauptsächlich arbeitende und arbeitslose Menschen auf dem Land und in der Stadt, die sich zusammenschließen und gegen Arbeitslosigkeit, aber auch gegen Defizite im Dienstleistungsbereich aktiv werden, z.B. gegen hohe Gebühren für Strom- und Wasserversorgung, die bei Nichtzahlung einfach abgestellt werden. Andere demonstrieren gegen Obdachlosigkeit und entwickeln Modelle der direkten Aktion, denn viele werden aus der Wohnung rausgeworfen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können.
In Südafrika gibt es keine allgemeine Sozialhilfe, sondern nur Altersrente und finanzielle Unterstützung für Mütter. Es ist fast genauso wie während der Apartheid. Die Folgen der ANC-Politik sind für die Mehrheit der Bevölkerung ähnlich und ihnen bleibt nur, sich für ihre eigenen Interessen zu organisieren. Das überschneidet sich zum Teil mit den Kampagnen der Gewerkschaft gegen die Privatisierungspläne der Regierung.
Dadurch gibt es nun die Möglichkeit, eine breit angelegte Widerstandsbewegung gegen die Auswirkungen der neoliberalen Politik der ANC-Regierung zu starten und passiert auch schon: in Johannesburg, Kapstadt, Durban, am Nordkap, seit kurzem auch am Eastern Cape. Dort sind überall sog. "Antiprivatisierungsforen" (APF) entstanden, die zum Teil von der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes angeführt werden, z.B. in Kapstadt. Aber auch eigenständige Kampagnen zur Sicherstellung der Stromversorgung in Soweto spielen eine tragende Rolle. Die ganze Struktur der widerständigen Organisationen und Gruppen erinnert sehr an diejenigen während des Kampfes gegen die Apartheid.

Trevor Ngwane, der Vorsitzende des Antiprivatisierungsforums in Johannesburg, wird von einigen als der "Subcomandante Marcos" Südafrikas bezeichnet. Andere behaupten, er sei ein "falscher Anwalt der Armen". Was stimmt nun?
(Lachen.) Er ist eine wichtige Persönlichkeit. Gerade auch weil er aus dem ANC kommt. Er kennt den ANC von innen und hat dessen Politik daraufhin kritisiert, und zwar als eine, die für die Kapitalistenklasse und gegen die Interessen der Lohnabhängigen gerichtet ist. Auf einfache, fast naive Art stellt er seine Analysen dar, die vor allen Dingen auf Massenkundgebungen sehr wirkungsvoll sind. Er verfügt außerdem über eine diplomatische Fertigkeit, die es ihm ermöglicht, sich auf IWF- und Weltbank-Treffen auch mit dem südafrikanischen Finanzminister Trevor Manuel auseinander zu setzen. Doch bisher spielt er vor allem in Johannesburg eine wichtige Rolle, er ist noch keine nationale Figur. Bei der Vernetzung der sozialen Bewegungen ist Johannesburg ein wegweisendes Beispiel, auch dank Trevor Ngwane.

Die lokale Organisation der SACP beteiligt sich ebenfalls an den regionalen Treffen der APF. Andererseits stellt die SACP auch führende Minister wie den Handelsminister Alec Erwin, die die neoliberale Politik der Regierung entscheidend mitbestimmen. Hält die SACP diese Spannung aus?
Einige Mitglieder werden die Partei über kurz oder lang verlassen. Natürlich ist ihre Treue gegenüber der Partei auch aus historischen Gründen tief verwurzelt. Deswegen ist es schwer zu sagen, wann genau es zu einem Bruch kommen wird. Andererseits gibt es auch ganz banale und materielle Gründe, weiterhin Parteimitglied zu sein, z.B. den eigenen Broterwerb. Viele derjenigen, die wirklich verstehen, wo diese Politik hinführt, sehen zurzeit zwar noch keine Alternative. Aber es ist durchaus möglich, dass sie sich an die Spitze einer neuen Arbeiterpartei stellen, zusammen mit anderen Linken. Dies ist nicht nur eine Notwendigkeit für die südafrikanische Politik. Ich halte sogar jetzt den Zeitpunkt für gekommen, wo wir diese Möglichkeit erproben müssen.

In einigen Townships, in Durban und Kapstadt, sind aus den APF schon Wahllisten auf regionaler Ebene entstanden, die in einigen Bezirken die ANC-Kandidaten weit überholt haben. Sind das die ersten Fundamente einer neuen Arbeiterpartei?
Ich bin dieser Meinung, denn es sind keine kleinen, isolierten Strömungen, die diese Wahllisten aufstellen. Viele dieser regionalen Zusammenschlüsse spielen eine wegweisende Rolle und konsolidieren die vorhandenen Vernetzungen von sozialen Bewegungen und politischen Organisationen. In Johannesburg wird nun überlegt, wie diese Kämpfe auf die nationale Ebene auszuweiten sind. Die dortigen Aktivisten haben zwar selbst bisher noch nicht explizit formuliert, eine neue Partei gründen zu wollen. Allein der ANC ist ihnen mit seinen Vorwürfen, eben dies tun zu wollen, zuvorgekommen. Doch die führenden Köpfe der APF haben dies zunächst zurückgewiesen. Doch ich bin der Überzeugung, dass Südafrika innerhalb der nächsten zwei Jahre die Gründung einer solchen Partei erleben wird.

Setzt der ANC auch repressive Mittel gegen die APF oder andere Kritiker seiner Politik ein?
Juristisch nicht. Aber politisch werden die Kritiker des ANC schon an den Rand gedrückt. Es gibt auch zahlreiche Verleumdungskampagnen des ANC gegen seine politischen Gegner und er setzt seinen Einfluss ein, um ihnen z.B. finanzielle Unterstützung zu entziehen. Doch die gesellschaftliche Pluralität Südafrikas, die sich widersprechenden Interessen in der Gesellschaft sind so tief verwurzelt, dass sich der ANC schwer tun würde, mit offenen diktatorischen Methoden zu regieren. Die ANC-Regierung befürchtet, dass ein verschärftes Vorgehen gegen politische Gegner zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen und auch auf Organisationen wie Pan-African Congress (PAC) oder Inkatha Freedom Party übergreifen könnte. Ihr erstes Gebot ist deshalb, dass Südafrika ein Land politischer und wirtschaftlicher Stabilität sein muss, das ausländische Investoren anziehen kann. Sie haben sich schon 1993 für diese Politik entschieden und führen sie nun konsequent weiter.

Welche Szenarien sind denkbar, wenn der ANC seine Politik weiterführt, ohne dass eine nennenswerte politische Alternative entsteht?
Dann wird Südafrika ein Land wie Brasilien oder Indien, wo 60% der Bevölkerung in absoluter Armut leben und für die kapitalistische Wirtschaft völlig überflüssig sind. Ein Drittel der Gesellschaft wird ein angenehmes und gutes Leben führen können, während zwei Drittel dahin vegetieren.

In deinem neuen Buch behandelst du ausführlich den Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Entstehung des Kapitalismus und dem rassistischen Apartheidsystem. Welche Folgen haben diese historischen Analysen für die derzeitige Situation in Südafrika?
Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich kaum geändert. Was wir den "rassistischen Kapitalismus" nennen, wird weiter vertieft. Lediglich einige Zehntausende aus der schwarzen Bevölkerung werden in den Bürgerstand erhoben. Das kapitalistische System bleibt. Hinzu kommt, dass die Führung des ANC schon immer die Rassenkategorien akzeptiert hat und nun ihrerseits damit fortfährt, die südafrikanische Gesellschaft in Schwarze, Weiße, Farbige und Inder aufzuteilen. Gerade dieses Bewusstsein der "verschiedenen Rassen" wird jetzt in Südafrika von der Regierung befördert und gepflegt. Das ist eine der größten Gefahren, mit denen wir auf der Ebene des Überbaus konfrontiert sind. Wenn sich die materielle Lage der Menschen weiter verschlechtert, kann eine Mobilisierung dieses Bewusstseins eine außerordentlich spaltende Wirkung haben. Wie in anderen afrikanischen Ländern, in denen dann Genozide verübt wurden.

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