SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar, Seite 22

Schein und Sein

Kolumne von Thies Gleiss

Auch die mythen- und ideologielastige Zeit des Jahreswechsels wird wohl nicht dafür sorgen, dass einmal der Schein und nicht das Wesen die Dinge bestimmt. So werden am 17.Januar nicht die Schwulen und Kommunisten die Hauptstadt des deutschen Imperialismus übernehmen. Diesbezügliche Ängste der Unternehmer, ihres Berliner Juniorenverbands, der Kirche und der Christenparteien sind so dünnbrettig, dass sicher kein Seelendoktor auch nur einen Euro an standortpflegenden Therapien verdienen wird.
"Das vergangene Jahr hat nicht alle unsere Träume erfüllt", verkündete die PDS-Chefin Zimmer in ihrer Neujahrsbotschaft. Nicht alle soll ja wohl heißen: einige doch. Ob die Regierungsbeteiligung in Berlin dazu gehört oder zu einem Albtraum wird, kann schon bald festgestellt werden. Wir wissen die Antwort schon jetzt. So übereifrig in die Rolle eines Krisenverwalters einer kapitalistischen Metropole zu schlüpfen und so begierig gerade auf die krisenverwalterischsten Posten des Finanz- und Innensenators zu schielen, das hat sich noch keine linksreformerische Kraft vor der PDS getraut. "Wie er [Gysi] Akten und Zahlen studiert, wie er im Ausschuss Entscheidungen erklärt — klar bin ich da gespannt. Gregor Gysi wird demnächst nicht nur an Worten gemessen, sondern an Taten. Vor dieser Situation steht er erstmalig in seiner politischen Karriere. Ich bin neugierig, wie er seine Rolle ausfüllt."
So beruhigt sich der Bürgermeister Wowereit angesichts seines künftigen Stellvertreters. Ihm sei versichert, dass der trockene Kommentar vom SPD-Obermacho Friedhelm Farthmann zu den diversen Unterwerfungsritualen der Grünen vor der Regierungsbeteiligung ("Die Grünen sind unbegrenzt belastbar") auch hundertprozentig für die PDS gilt. Das Bittere am Faszinosum Machtbeteiligung ist bekanntlich, dass die unmittelbar Beteiligten zu aller Letzt merken, wann ein Traum zum Albtraum wird… und einige sogar niemals.
Der alte Oberlehrer aus dem Langenhorner Reihenhaus, Helmut Schmidt, hat diktiert, dass es "wünschenswert" sei, die PDS in "die Verantwortung zu bringen". "Am Ende des Jahrzehnts wird man auch in deutschen Regierungen gewendete Kommunisten finden", hat er im Glanze seiner Borniertheit hinzugefügt. Welches Jahrzehnt meinte er wohl? Gewendete Kommunisten gab es schon mit Herbert Wehner als Minister für "Gesamtdeutsche Fragen", mit Jürgen Trittin, Andrea Fischer als Umwelt- und Gesundheitsminister und wem noch alles! Nur gemerkt hat von diesem Kommunismus nie einer etwas. Und wenn Ex-Kommunist, Ex-Trotzkist Harald Wolf sein neues Geschäft mit den Worten eröffnet, "es wird nicht Milch und Honig fließen", dann spricht aus ihm schon der gewiefte Worthülsenproduzent, dem Milliardeneinsparungen im öffentlichen Haushalt ebenso anzuvertrauen sind, wie Massenentlassungen und Privatisierungen kommunaler Einrichtungen.
Bei all den sozialen Schweinereien, auf die sich die PDS schon eingestellt hat und für die sie die Rechtfertigungen schon am Formulieren ist, fällt sogar das sprachliche Steigern schwer. Oder wie sind die Neujahrsworte von Gabi Zimmer zu interpretieren: "Die Hauptstadt ist nicht schlechthin pleite, sie ist bis über beide Ohren verschuldet"?
Die Berliner SPD und PDS sind laut einer Untersuchung der Forschungsgruppe Wahlen mit 31 und 28% der Stimmen von gewerkschaftlich Organisierten gewählt worden. Das ist schon für sich ein Alarmzeichen, wenn 41% der Gewerkschafter sich nicht mehr für die vorgeblichen Arbeiterparteien begeistern können, sondern rechts wählen oder zu Hause bleiben. Es bedarf keiner großen Prophetie, um davor zu warnen, dass dieser Rechtstrend sich unter einem SPD/PDS-Senat noch fortsetzen wird. Das einzige Mittel dagegen wird massenhafter Widerstand der Gewerkschaften und der Beschäftigten gegen Sparpläne, Entlassungen und Privatisierungen sein. Sollte es in Berlin in den kommenden Monaten dazu kommen, so wäre wenigstens einer unserer kleinen Träume wahr geworden.
Für ein rotes, kämpferisches neues Jahr.

Thies Gleiss

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