SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 6

Irrweg Transrapid

Warum der Vergleich der Magnettechnologie mit den Eisenbahnen grundsätzlich falsch ist

Die Befürworter des Transrapid stellen die Schiene gern als veraltete Technologie und die Magnettechnologie als Verkehrsmittel der Zukunft dar. Der Thyssen-Manager Hans Georg Raschbichler bspw. bezieht sich immer wieder positiv auf die Eisenbahngründerzeit und insbesondere auch auf den Eisenbahnpionier Friedrich List und dessen zentrale Aussagen von 1833: "Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstands und der Zivilisation." Untersuchen wir diese vier Qualitätsmerkmale:

Personen und Güter

Die Eisenbahn erwies sich tatsächlich, wie von List vorhergesagt, als ein Verkehrsmittel, das dem Personenverkehr und dem Gütertransport dient. Es war sogar so, dass die Schiene in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz weit mehr dem Gütertransport als der Personenbeförderung diente. Grundsätzlich heißt dies also: Die Eisenbahnen verfügen über einen enormen Synergieeffekt, weil mit ihnen die zwei grundlegenden Transportarten moderner Industriegesellschaften auf ein und derselben Infrastruktur abgewickelt werden können.
Dieser Vorteil entfällt bei der Magnetschwebetechnik komplett. Der Transrapid und verwandte Magnetschwebebahnen ("Maglev", Japan; "Swissmetro", Schweiz) eignen sich so gut wie ausschließlich für den Personenverkehr. Die entsprechenden Trassen, Bahnhöfe und andere Infrastruktureinrichtungen müssen also ausschließlich für den Personenverkehr vorbehalten werden. So sehen auch die Transrapidpropagandisten ausschließlich Strecken für den Personenverkehr vor, auch wenn von ihnen gelegentlich der These widersprochen wird, Güterverkehr eigne sich nicht für diese Transporttechnologie. Dieser Systemnachteil muss gerade bei der vorgeschlagenen Strecke im Ruhrgebiet ins Gewicht fallen. Warum soll in diesem extrem dicht besiedelten Gebiet eine neue Verkehrstrasse gebaut werden, wenn sich diese nur für den Personenverkehr eignet? Auch wenn dafür bestehende Schienentrassen teilweise genutzt werden, so heißt dies doch auch, dass auf diesen Schienentrassen, auf die potenziell Güterverkehr verlagert werden könnte, zukünftig kein Gütertransport erfolgen kann.

Schneller Transport?

Das zweite Kriterium hat sich im Lichte der Verkehrsgeschichte ebenfalls bestätigt. Der Transport von Menschen und Gütern wurde mit den Eisenbahnen und im Vergleich zu vorausgegangenen Transporttechnologien wie Postkutschen, Ochsenkarren und Binnenschiffen vervielfacht.
Als vor rund drei Jahrzehnten die Magnetschwebebahntechnik erstmals im Versuchsstadium zur Anwendung kam, schien diese tatsächlich zumindest im Personenverkehr gegenüber der bestehenden Eisenbahn den Vorteil einer erheblich höheren Geschwindigkeit zu bieten. Das lag allerdings in erster Linie daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg und in Europa die Schienenverkehrstechnologie wenig weiterentwickelt wurde. Der für die Strecke Hamburg—Berlin geltende Zustand, wonach ein halbes Jahrhundert zuvor die Reisezeiten auf den Schienenwegen kürzer oder gleich lang wie heute waren, traf bis vor 15 Jahren auf viele deutsche Schienenverbindungen zu — und er trifft heute noch auf viele Eisenbahnstrecken in Europa zu. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit im Schienenpersonenfernverkehr lag vor 15 Jahren in Westdeutschland bei rund 70 km/h.
Das sprach jedoch nicht gegen die Schiene, sondern "lediglich" gegen die Verkehrs- und Bahnpolitik. Die Entwicklungen in Japan (Shinkansen), in Frankreich (TGV) und in Deutschland (ICE) lassen Geschwindigkeiten erreichen, die bei 250 km/h Reisegeschwindigkeit (ICE-3) mit denen des Transrapids vergleichbar sind. Dabei sei darauf verwiesen, dass die mit diesen superschnellen Verkehrsmitteln verbundene Geschwindigkeitsideologie aus kulturellen und ökologischen Gründen grundsätzlich zu hinterfragen ist. Der bei den oben genannten Reisegeschwindigkeiten zugrunde liegende Parameter, wonach die durchschnittlichen Halteabstände bei 100 Kilometer liegen, ist im Grunde nur in dünn besiedelten Gebieten akzeptabel.

Wohlfeiler Transport?

Auch diese Vision verwirklichte sich. Die Eisenbahn brachte eine qualitative Verbilligung der Transportpreise mit sich. Diese sanken z.B. Mitte des 19.Jahrhunderts und beim Vergleich zum Transport mit Kutschen und Karren auf rund ein Achtel. Überall, wo reale Preise für den zukünftigen Transrapidverkehr genannt wurden, lagen diese weit über den derzeitigen Bahnfahrpreisen.

Sicherer Transport?

Die Eisenbahnen entwickelten sich, wie von List vorhergesagt, zu einem extrem sicheren Verkehrsmittel — zum sichersten unter allen motorisierten Verkehrsarten. Der Magnetschwebebahntechnik als solcher kann zweifellos ebenfalls ein hoher Grad an Sicherheit zugesprochen werden, wie dies auf alle spurgeführten Verkehrsmittel zutrifft. Inwieweit die Magnetschwebebahntechnik in punkto Sicherheit dem Schienenverkehr jedoch ebenbürtig oder gar — wie von ihren Propagandisten behauptet — überlegen ist, muss allerdings als offene Frage bezeichnet werden.
Tatsache ist, dass es eine Magnetbahn im Alltagsverkehr nirgendwo gibt. Es existiert bisher nicht einmal eine Magnetbahnversuchsstrecke, auf der dieses Verkehrsmittel bei Existenz grundlegender Verkehrsbedingungen getestet würde, also z.B. mit Begegnungsverkehr oder gar mit Fahrten im Begegnungsverkehr in Tunneln, jeweils mit großen Geschwindigkeiten. Die Emsland-Versuchsstrecke ist nur eingleisig ausgelegt.
Allein vor diesem Hintergrund ist es verantwortungslos, konkrete Anwendungsstrecken für den Transrapid ins Auge zu fassen.

Magnetbahn als System?

Friedrich List plädierte für ein "Eisenbahnsystem". Doch die Magnetschwebebahntechnik ist nirgendwo auf der Welt — und ganz besonders nicht in der Bundesrepublik Deutschland — dazu geeignet, sich als "System" auszubilden. Und da dies nicht möglich ist, kann sie auch keine größere Rolle im gesamten Verkehrssektor eines Landes — geschweige denn eines Kontinents oder im internationalen Maßstab — spielen. Das aber heißt: Weil aus der Magnetschwebebahntechnik kein Verkehrssystem — d.h. kein im Verkehrssektor relevantes Verkehrsmittel — werden kann, hat diese Technik nicht die Möglichkeit, den entscheidenden Synergieeffekt des Wirksamwerdens als "System" auf die Waagschale zu bringen.
Gegen die Herausbildung der Magnetschwebebahntechnik zu einem solchen "System" sprechen im wesentlichen vier Gründe: Es gibt in allen in Frage kommenden Ländern bereits entwickelte Eisenbahnnetze als Systems.
Zweitens stellte das Rad-Schiene-System in den letzten drei Jahrzehnten, wie beschrieben, seine Fähigkeit zur Innovation und insbesondere zur Herausbildung von Hochgeschwindigkeitssystemen unter Beweis. Und da diese schnellen Eisenbahnsysteme sich längst unter Alltagsbedingungen bewährt haben, wird überall dort, wo in größerem Umfang schnelle erdgebundene neue öffentliche Verkehrssysteme zur Anwendung gelangen, auf diese Technik zurückgegriffen.
Drittens gibt es seit langer Zeit den Flugverkehr, der in Folge der Liberalisierung und der drastischen Flugpreisreduktionen längst auch auf regionalen Verbindungen an Bedeutung gewonnen hat und in diesem Segment sogar seine höchsten Wachstumswerte in harter Konkurrenz zur Eisenbahn aufweist. Die Vorstellung, es könne zwischen diesen beiden Verkehrssystemen noch ausreichend Raum für eine dritte Verkehrstechnik geben, die ein relevantes Marktsegment erobern und sich derart zu einem neuen "System" ausbilden könnte, ist unrealistisch.
Schließlich hat — viertens — die Magnetschwebetechnik den bereits beschriebenen Nachteil, grundsätzlich nur Personenverkehr zu ermöglichen.

Karl-Heinz Ludewig

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