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Donnerstag, 17.Januar, irgendwann beim Hin- und Herwechseln zwischen den Fernsehprogrammen: Ein alter Mann, hineingezwängt in die
Einheitskleidung einer Oscarverleihung wird mehr zur Bühne geschleift als geführt. Es ist Muhammad Ali und er ist heute 60 geworden. Figuren bauen sich um ihn auf,
flüstern ihm Witze ins Ohr, die er nicht zu verstehen scheint. Krankheiten zerstören Menschen. Legenden werden von Menschen zerstört. Wie weit sind sie bei Muhammad
Ali schon gekommen?
Muhammad Ali wird nie allein gesehen, sein Bild hat immer die 60er Jahre im Hintergrund: Martin Luther King, Malcolm X,
Eldridge Cleaver, Black is beautiful, der Vietnamkrieg. Und doch war und ist Ali in erster Linie immer ein Boxer gewesen und als solcher einzigartig.
Boxen an sich ist in den USA immer etwas besonderes gewesen: Ähnlich der Zusammensetzung der US-amerikanischen
Arbeiterklasse und ihrer Phasen der Militanz und Degeneration spiegeln sich in der nationalen Herkunft der Box-Champions die Wellen des Kampfes um einen Platz in der Gesellschaft wieder:
die Iren, die Italos, die Afroamericans, die Hispanics. Mit Bitterer Lorbeer, Wie ein wilder Stier und Rocky hat die Filmindustrie ihnen Denkmäler gesetzt.
Muhammad Alis Aufstieg in den 60ern ist ein Abarbeiten an zwei Boxstilen verkörpert durch seine beiden
großen Rivalen und der Entwicklung seiner Einzigartigkeit. Floyd Patterson war in Persönlichkeit und Stil der hart aber fair kämpfende Arbeiter, der als Schwarzer
der amerikanischen Gesellschaft und ihrer weißen Werte eng verbunden ist. Sonny Liston, verurteilt wegen bewaffnetem Raubüberfall, ist der Underdog, der sich trotz aller Talente
nicht im Griff hat und der im mafia- und heroindurchsetzten Las Vegas zu Grunde geht. Mike Tyson wirkt eine Generation später wie eine anabolide Wiedergeburt Listons. Beide Typen
streben nach Integration in eine Gesellschaft, die schon damals das Geschäftemachen zu ihrem Wesenszug gemacht hat.
Und dann steigt Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, in den Ring und alles ändert sich.
Es ist in den 60er Jahren noch nicht die Promotion, die Werbefeldzüge, die die Menschen des Nachts an die Fernseher
treibt, wenn er boxt. Die Gegner sind nicht gleichgültig, aber alle wollen Ali sehen. Bei aller Brutalität, die das Boxen an sich hat, Ali verleiht dem Kampf Schönheit. Kein
Stampfen, nicht der Hauch einer Kneipenschlägereiatmosphäre, Ali tanzt. Und zum ersten Mal ist Musik beim Boxen denkbar. Nicht die idiotischen Hymen, wie sie bei RTL-
Boxevents in Wunderkerzenglückseligkeit geboten werden. Es ist Soul, es ist Motown. Und noch konkreter: Ali ist nie James Browns "sexmachine", eher Curtis Mayfields
"superfly".
Auch Frauen schauen sich Alis Kämpfe im Fernsehen an. Er ist weder der Typ, der nach dem Kampf zur Familie
zurückfährt, noch derjenige, der mit seinen Pimpfreunden in den Edelbordellen einen draufmacht. Vielleicht macht er beides, aber er verkörpert den Typ, der von seiner Lady
abgeholt wird, und beide feiern den Sieg.
Er drückt Selbstbewusstsein aus, das aus dem Kopf kommt und nicht aus der rassistischen Rollenzuweisung des
"schwarzen Hengstes". Im Ring und außerhalb verkörpert er auf seine Art Black Consciousness. Er ist nie ganz Black Muslim, er ist nie nur der Kerl mit der
großen Klappe, nie nur Freund der weißen Linksintellektuellen.
Wendepunkt seiner Karriere ist die Verweigerung des Kriegsdienstes in Vietnam,1967, zu einem Zeitpunkt, wo andere
Prominente sich willenlos einziehen ließen. "Mann, ich habe keinen Ärger mit den Vietcongs." Aber von nun an hatte er Ärger mit der amerikanischen
Öffentlichkeit, der Armee, der Justiz, dem ganzen Boxzirkus. FBI-Hoover observierte ihn pausenlos. Fünf Jahre Haft und 10000 Dollar Strafe hatte Ali sich eingebrockt. Bis 1971
durfte er nicht boxen, nach eigenen Aussagen, die Zeit des besten, nie gesehenen Muhammad Ali. Und dann trat er wieder an. Mit anderen Gegnern, mit einem anderen Stil.
Langsamer geworden, mit dramatisch entwickelten Nehmerqualitäten. Wo früher geschmeidiger Soul war, war jetzt
Rap. Beim "rumble in the jungle" in Kinshasa verspottete Ali pausenlos George Foreman, der in der achten Runde k.o. ging, zermürbt von Worten und verzweifelt an dem, was
sein Gegner einstecken konnte.
Hätte er hier aufhören sollen, hätte ein Ausstieg die Parkinsonsche Krankheit verhindern
können? Wäre ihm dann die entwürdigende Zeremonie an seinem sechzigsten Geburtstag erspart geblieben?
Warum Muhammad Ali der "Größte" bleiben wird, zeigen zwei Bücher. Jan Philipp Reemtsmas
Aufsätze über den Stil der Boxers Muhammad Ali sind nach wie vor brillant. Kaum vorstellbar, dass es möglich ist, die Rasanz eines 14-Runden-Kampfs in Worte zu fassen.
Reemtsma ist dies gelungen. Und noch mehr. Besonders schön für Kinofans seine Analyse des Zusammenhangs von Rockysaga IV und Ali.
Seit November 2001 neu auf dem Taschenbuchmarkt ist David Remnicks Biografie über den Aufstieg Cassius Clays und
die Geburt Muhammad Alis. Ein packendes Buch über Sport, Politik und gesellschaftliche Auseinandersetzungen in den 60er Jahren.
Udo Bonn
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