SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 4

Milosevic vor dem Haager Tribunal

‘Weltgericht in Trümmern‘

von MANUEL KELLNER

Mit seiner ersten ausführlichen Stellungnahme vor dem Haager Tribunal ist der frühere jugoslawische und serbische Staatschef Slobodan Milosevic vom Angeklagten zum Ankläger geworden. "Leider gelungen", bedauerte der Spiegel: "Jetzt, ist zu erwarten, macht er sich daran, das Weltgericht in Trümmer zu legen." Zu überzeugend sprach Milosevic für die führenden Medien der "freien Welt", die, CNN voran, es vorzogen, die Übertragung seiner Darlegungen vorzeitig abzubrechen.
Das Verfahren ist eine finstere Farce, und Milosevic hat das Tribunal von Anfang an nicht anerkannt. Die Führungsmacht der Sieger, die USA, setzten seine Auslieferung mit unverhohlener Erpressung durch, eine ehrlose und käufliche serbische Regierung parierte.
Dieses Tribunal sollte den NATO-Krieg gegen Jugoslawien legitimieren und alle den USA und ihren Verbündeten nicht genehmen Regierungen für alle Zukunft abschrecken: Wir bombardieren euch nicht nur in Grund und Boden, so wie es uns passt, danach buchten wir euch auch ein wie gemeine Verbrecher. Die Weltöffentlichkeit, die das Verfahren verfolgt, erweist sich nun als schlechtes Terrain für die Sieger. Mit seiner ersten Einlassung samt Ton- und Bilddokumenten hat Milosevic das von der Chefanklägerin Carla Del Ponte gezeichnete Bild bereits schwer erschüttert. Wie soll das erst werden, wenn er diejenigen, die er in den Zeugenstand rufen wird, ins Kreuzverhör nimmt?
Fest steht: Dieser Krieg ist von der NATO ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrats und mit Hilfe faustdicker Propagandalügen und zweifelhafter "Gewissheiten" über von der Milosevic-Regierung zu verantwortende "Massaker an Zivilisten" begonnen worden. Die eigenen Massaker an Zivilisten hingegen wurden zynisch zu "Kollateralschäden" verharmlost. Zudem wird eine "Befehlskette" von Milosevic bis hin etwa zu den Führern der bosnisch-serbischen Milizen nicht nachweisbar sein, weil es eine solche von der Natur der beteiligten Kräfte her gar nicht geben konnte. Die Kriegsverbrechen gegen Serben wie die Vertreibung von 300000 von ihnen aus der Krajina durch das nationalistische kroatische Regime des West-Protégés Franco Tudjman, wie werden die geahndet? Sicherlich steht Milosevic für ein autoritäres Regime und eine Politik nationaler Unterdrückung. Ein moralisches Recht über Milosevic‘ Politik zu urteilen hat jener "Westen" trotzdem nicht, der alles getan hat, um die Probleme und Widersprüche in Jugoslawien zu seiner Destabilisierung zu nutzen.
Die so angenehm klingende Utopie einer weltweiten Gerechtigkeit, die sich über die Souveränität der Einzelstaaten hinwegsetzt, um die Menschenrechte durchzusetzen, ist unter gegenwärtigen Weltverhältnissen nur als verlängerter Arm der Herren der Welt vorstellbar — der Handvoll reicher kapitalistischer Industrieländer und der sie beherrschenden Konzerne, Bankengruppen und Regierungen. Aber selbst diese Karikatur scheint zu riskant zu sein — Milosevic beweist es, und die USA opponieren in Wirklichkeit heftig gegen das ebenfalls in Den Haag geplante "Weltstrafgericht". Henry Kissinger, einer der ersten, der von einem solchen Weltgericht wegen seiner Rolle u.a. im Vietnamkrieg der USA verknackt werden müsste, hat — wen wundert‘s — ein flammendes Plädoyer gegen ein solches Gericht gehalten. Und in den USA ist ein Gesetz in Vorbereitung, das die Zusammenarbeit mit dem geplanten Weltgericht verbieten soll.

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