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Den Städten und Gemeinden brechen die Einnahmen weg. Immer mehr große Firmen zahlen keine Gewerbesteuer mehr. Die Städte
erhöhen die Gebühren oder streichen kommunale Leistungen.
Der 17.1.2002 hätte für den Kämmerer der Stadt Schwäbisch Hall eigentlich ein Festtag sein
können. Denn an diesem Tag verkündete der Vorstandschef der Bausparkasse Schwäbisch Hall (BSH), Alexander Erdland, voll Stolz auf der Bilanzpressekonferenz der
Bausparkasse Schwäbisch Hall: Die BSH hat ihre Marktführerschaft ausgebaut und das "operative Ergebnis", sprich den Gewinn, um 15% auf über 200 Millionen
Euro gesteigert. Ginge es mit rechten Dingen zu, müssten für die Stadt Schwäbisch Hall die Gewerbesteuern üppiger ausfallen denn je.
Aber schon vorher hatte die BSH klargestellt, die Kommune müsse auf absehbare Zeit völlig auf Gewerbesteuern
des Bausparriesen verzichten. Denn dank eines "Ergebnisabführungsvertrags" zwischen der DZ-Bank in Frankfurt und der BSH fließen die potenziellen
Steuereinnahmen nicht in den Stadtsäckel der Kommune Schwäbisch Hall, sondern in die Taschen der BSH-Mutter, der DZ-Bank in Frankfurt. Für die Stadt
Schwäbisch Hall entfallen somit auf einen Schlag 55 Millionen Euro an Gewerbesteuer, das macht 85% der städtischen Steuereinnahmen aus.
Die finanzielle Schieflage der Stadt Schwäbisch Hall ist zwar ein Extrembeispiel, aber beileibe kein Einzelfall. DaimlerChrysler ließ trotz saftiger Gewinne den Kämmerer
im baden-württembergischen Sindelfingen leer ausgehen. Die einstmals so reiche Gemeinde Sindelfingen musste bei den Gewerbesteuereinnahmen ein Minus von 22,6% hinnehmen.
Weitaus härter traf es die Stadt Leverkusen. Minus 64,7% hieß es dort, weil Bayer an den Folgen des Skandals um
das Cholesterinmedikaments Lipobay litt.
Oder München: Die Stadt des Firmenhauptquartiers von BMW wird von BMW keinen Euro Gewerbesteuer bekommen,
obwohl BMW im vergangenen Jahr mit 1,300 Milliarden Euro den höchsten Gewinn seiner Firmengeschichte eingefahren hat. Mit Hilfe eines sog. Verlustvorvertrags kann BMW das
Minus aus dem Rover-Debakel so über die Jahre verteilen, dass die Münchner Stadtväter lange leer ausgehen.
Die Liste ließe sich noch beliebig erweitern. Laut Spiegel (Nr.2, 2002) sind die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im
vergangenen Jahr schon um durchschnittlich 12% eingebrochen.
Die Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung hat nämlich den Unternehmen legale Steuerschlupflöcher
beschert, die so groß sind wie Scheunentore. Die Steuergesetze bieten den Finanzakrobaten in den Konzernzentralen fast unbeschränkte Möglichkeiten, Steuern zu
vermeiden. Banken und Versicherungen, Autohersteller und Stromriesen nutzen die ihnen gebotenen Möglichkeiten weidlich aus.
Durch konzerninterne Umstrukturierungen, bspw. durch die steuerbefreiende Verrechnung von Gewinnen eines
Konzernsegments mit Verlusten eines anderen, rechnen sie sich die Bilanzen so zurecht, dass die Steuerabgaben gegen Null tendieren.
Allein die neue Steuerfreiheit für Dividenden, die innerhalb eines Konzerns von Tochterunternehmen
ausgeschüttet werden, kostet die Städte nach Rechnungen des NRW Finanzministeriums eine halbe Milliarde Euro.
Die millionenschweren Ausfälle von Gewerbesteuereinnahmen haben fatale Folgen: Kindergartenplätze können nicht eingerichtet werden, marode Straßen werden
nicht repariert, asbestverseuchte Schulen nicht saniert. Weil den Kommunen das Geld fehlt, werden Gebühren erhöht und kommunale Leistungen verschlechtert oder ganz
gestrichen.
Im einstmals reichen Schwäbisch Hall kostete vor zwei Jahren ein Kindergartenplatz 40 Mark im Monat, im aktuellen
Haushalt ist vorgesehen, den Betrag auf 61 Euro zu erhöhen. Weil die Stadt jetzt von den Sportvereinen hohe Hallennutzungsgebühren verlangt, droht Sport in Schwäbisch
Hall zum Luxus zu werden.
Verglichen mit anderen Gemeinden nehmen sich die Verschlechterungen in Schwäbisch Hall nicht gar so dramatisch aus.
In Würzburg musste eine stark befahrene Brücke über den Main ganz gesperrt werden; sie ist baufällig, und die 2 Millionen Euro für die Renovierung hat die
Stadt nicht. In Essen und Mülheim/Ruhr wurden städtische Bäder geschlossen.
Die Stadt Gelsenkirchen will zehn Kinderspielplätze aufgeben, weil sie die Grundstücke verkaufen will. Hannover
verordnete sich ein drastisches Sparprogramm einschließlich der Schließung von zwei Ordnungsämtern, einer Grundschule und eines Jugendzentrums.
Leidtragende solcher Maßnahmen ist die überwiegende Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger in den
Kommunen. Besonders hart betroffen sind aber natürlich jene, die auf gute und erschwingliche kommunale Leistungen besonders angewiesen sind: die "Normalverdiener" und
die sozial Schwachen.
Es zeigt sich wieder einmal: Umfangreiche Gewinnsteuersenkungen für die private Wirtschaft haben drastische
Ausgabenkürzungen in den öffentlichen Haushalten zur Folge. Und so wie die Dinge in einer am Ziel der privaten Gewinnmaximierung ausgerichteten Gesellschaft liegen, treffen
die Ausgabenkürzungen nicht die Profitratensubventionen, sondern immer die Sozialabgaben oder den kulturellen Bereich.
Wohltätigkeitspolitik gegenüber der zahlenmäßig kleinen Elite mit den dicken Bankkonten und
massiver Sozialabbau bei der Masse der Bevölkerung sind zwei Seiten derselben Medaille.
Kommunalpolitiker aller Schattierungen greifen durchaus mal zu kräftigen Worten, wenn sie über die Lage der Kommunen sprechen. Der Präsident des Deutschen
Städtetags (DST), Roland Schäfer, sieht die Kommunen "finanziell am Abgrund" und fordert vom Bund ein finanzielles Sofortprogramm zugunsten der Kommunen.
Auffällig ist aber, dass der Zusammenhang zwischen unternehmerfreundlicher Steuergesetzgebung und kommunaler
Finanznotlage tunlichst vermieden wird. Petra Roth, CDU-OB von Frankfurt am Main und Vizepräsidentin des DST, fabelt nur nebulös von der Notwendigkeit" rasche
Korrekturen vorzunehmen, die zweite Stufe der Steuerreform auszusetzen und unverzüglich eine Kommission zur Vorbereitung einer Gemeindereform einzusetzen.
Diese auf den ersten Blick unverständliche Zurückhaltung hat handfeste Gründe. Denn gemäß
dem neoliberalen Dogma propagieren alle bürgerlichen Parteien (einschließlich der Grünen) eine Politik der Wirtschaftsförderung mittels Steuersenkungen für
Unternehmen.
Die Kommunalpolitiker stehen vor dem Zwiespalt, dass sie die Vorstellungen ihrer bundespolitischen Parteikollegen teilen, aber
gleichzeitig vor Ort mit deren Auswirkungen konfrontiert sind. Würden sie offensiv in der Öffentlichkeit die Schließung der Steuerschlupflöcher einfordern,
müssten sie die eigene Partei in Frage stellen.
Mit solchen Unbotmäßigkeiten würden sie Gefahr laufen, sich die eigene parteipolitische Karriere zu
verbauen. Vor eine solche Alternative gestellt, entscheiden sich die Kommunalpolitiker in aller Regel für den pragmatischen Opportunismus. Um sich beim Wahlvolk vor Ort zu
profilieren, jammern sie lautstark über das Elend der Gemeindekassen.
Weil sie sich aber scheuen, die von ihren Kollegen aus der Sektion Bundespolitik betriebene Umverteilungspolitik in Frage zu
stellen, landen sie letztendlich bei der Rechtfertigung des Sozialabbau als vermeintlichem Sachzwang.
So entblödet sich der Präsident des Deutschen Städtetags, Roland Schäfer, nicht festzustellen, an
weiteren Einschnitten ins soziale Sicherungssystem führe "kein Weg vorbei". Petra Roth, seine Stellvertreterin, stößt ins gleiche Horn. Auch sie fordert eine
"Entlastung bei den hohen Sozialabgaben".
Dass es keinen Sachzwang zum Sozialabbau gibt, zeigt das Beispiel Schwäbisch Hall sehr eindrücklich. Würde die BSH ihre Steuern zahlen, könnten das bisher hohe
Niveau kommunaler Leistungen im sozialen und kulturellen Bereich problemlos beibehalten bzw. sogar noch ausgebaut werden. Zweifellos ist in vielen anderen Gemeinden das Aufzeigen von
Alternativen unendlich komplizierter als in Schwäbisch Hall. Fest steht aber: In diesem reichen Land ist genug Geld da.
Im Rahmen der Kampagne "Geld ist genug da die Reichen sollen zahlen" während des letzten
Bundestagswahlkampfs wurde festgestellt: Würden die Unternehmergewinne 1998 genauso besteuert wie 1985, wären 185 Milliarden Mark mehr in den öffentlichen Kassen.
Dieser Betrag dürfte heute, vier Jahre später, noch um einiges gewachsen sein. Dazu kommt die illegale, aber faktisch geduldete Steuerhinterziehung der Unternehmen und der
"Besserverdienenden", die sich wohl weit im dreistelligen Milliarden-Euro-Bereich jährlich bewegt.
Es ist höchste Zeit, dass die Linke diesen ungeheuren Reichtum in diesem Land zum Thema macht, wenn allerorten
über das Ausbluten der Kommunen gejammert wird. Was die Möglichkeiten einer bedarfsgerechten Kommunalfinanzierung betrifft, ist aber leider die Diskussion in der Linken
nicht besonders weit entwickelt.
Am ehesten mühen sich noch Reste der DKP oder Teile der PDS an diesem Thema ab. Der Kommunalexperte der PDS,
Uwe-Jens Rössel, hat schon vor Jahren ein paar Punkte genannt, wie die Einnahmen für Städte und Gemeinden verbessert werden können. Er nennt u.a. folgende
Punkte:
Die Maßnahmen zur Aushöhlung der Gewerbesteuer sind zurückzunehmen. Die Gewerbekapitalsteuer ist wieder einzuführen. Die Steuerbasis
für die Gewerbesteuer muss verbreitert werden. Auch kapitalkräftige Freiberufler sollten ab einer angemessenen Einkommensgrenze Gewerbesteuer entrichten.
Der
Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer ist zu erhöhen. Die Einkommensteuer selbst muss wieder erhöht werden.
Es muss sichergestellt werden, dass
Städten und Gemeinden von Bund oder Land nur dann neue Aufgaben übertragen werden können, wenn die dazu erforderlichen finanziellen Mittel vom Land oder Bund zur
Verfügung gestellt werden.
Es ist eine langfristig ausgelegte Finanzpauschale für die Städte Gemeinden und Landkreise in Ostdeutschland einzuführen.
Diese Vorschläge sind bei weitem nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ein Einstieg in ein weitgehend
vernachlässigtes Politikfeld.
Franz Mayer
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