SoZ Sozialistische Zeitung |
Nur wenige Stunden nachdem der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana in einer "Ansprache an die Nation" in der Nacht vom 20.
auf den 21.Februar den endgültigen Abbruch der Gespräche mit der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) und die Annullierung der 42000 qkm großen
entmilitarisierten Zone unter Kontrolle der Guerilla im Caguán angekündigt hatte, begann die kolumbianische Luftwaffe die Region zu bombardieren. Nach den Bombardements
besetzten Militäreinheiten die fünf Kreisstädte der Region, aus denen sich die FARC bereits zurück gezogen hatte.
Die 200000 Einwohner des Caguán fürchten nun Repressalien und Massaker seitens der Armee und der
Paramilitärs. Dabei wünscht sich die kolumbianische Armee möglichst keine Öffentlichkeit und empfahl der nationalen und internationalen Presse "für
einige Tage das Gebiet zu räumen, bis die Situation völlig unter Kontrolle ist".
Den Abbruch der Gespräche begründete Pastrana mit der Entführung des Kongressabgeordneten Jorge
Eduardo Gechem, vermutlich durch die FARC. Mit Gechem sind bereits fünf Kongressabgeordnete von der FARC entführt worden. Damit soll der Forderung nach einem Gesetz
für einen Gefangenenaustausch (inhaftierte Guerilleros gegen von der FARC festgehaltene Soldaten und Polizisten) Nachdruck verliehen werden.
Zugleich betonte Pastrana, die entmilitarisierte Zone sei von der FARC "zu illegalen Zwecken" benutzt worden. Als
Beweis gilt der Ausbau von Flugpisten durch die Guerillaorganisation.
Der Fortbestand der entmilitarisierten Zone war erst kürzlich, unter Vermittlung von James Lemoyne, dem Delegierten
des UNO-Generalsekretärs, bis zum 10.April verlängert worden. Allerdings sollte so die Vereinbarung bis zum 7.April ein Waffenstillstand ausgehandelt und
unterschrieben werden.
Im Gegenzug verpflichtete sich die kolumbianische Regierung zur Bekämpfung der Paramilitärs. Eine Zusage, die
die kolumbianische Regierung bisher nie erfüllt hat.
Die kolumbianische Regierung befindet sich im Zuge der allgemeinen "Antiterrorkampagne" im Aufwind,
während die FARC zunehmend international isoliert wird. Die Regierung suchte daher nur einen Vorwand, um die Gespräche aufzukündigen. Der FARC ist es nicht gelungen
die Situation der vergangenen Jahre politisch zu nutzen und einen breiten gesellschaftlichen Prozess in Gang zu setzen, auch wenn sie auf nahezu 20000 Bewaffnete anwuchs und
militärisch offensiv vorging.
Auf eine Intensivierung des Krieges drängten vor allem die kolumbianische Oligarchie, die Armee und die US-Regierung.
Anfang Februar weihten die US-Botschafterin und der kolumbianische Präsident Militärkasernen ein und feierten die erneute Übergabe von US-Kampfhubschraubern an die
kolumbianische Armee.
US-Präsident George W. Bush forderte vom US-Kongress weitere 98 Millionen Dollar zur Ausbildung und
Unterstützung einer kolumbianischen Militäreinheit, um die wichtigste Erdölpipeline des Landes vor Anschlägen der Guerilla zu schützen. Bisher war die
Militärhilfe streng an ihre ausschließliche Nutzung im "Antidrogenkrieg" geknüpft. Auf die Kriegstrommeln Pastranas reagierte die US-Regierung mit dem
Hinweis, sie würde es nicht ablehnen, wenn Kolumbien um weitere Waffenlieferungen bitten würde. Zeitgleich begann eine riesige Werbekampagne des Weißen Hauses in
den USA den US-Amerikanern zu erklären, dass der Drogenkonsum in den USA den Terrorismus in Kolumbien stärke.
"Drogen in den USA zu kaufen kann eine Familie in Kolumbien töten", so die dramatische Botschaft die
unter anderem auf dem teuersten Werbeplatz der Welt ausgestrahlt wurde: Während des Endspiels des Super Bowls, das mit 87 Millionen Zuschauern zählen konnte.
Zugleich erreichten auch die Auseinandersetzungen zwischen FARC und ELN (Ejército de Liberación Nacional)
auf der einen und den Paramilitärs auf der anderen Seite eine neue Intensität. Faktisch sind die Paramilitärs die Garanten der ökonomischen Interessen der
kolumbianischen Oligarchie und leisten die schmutzige Arbeit für die Militärs, mit denen sie häufig in Personalunion agieren.
Selbst die konservative Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete die Paramilitärs kürzlich als
die "sechste Division der Armee" und berichtete, dass die Zusammenarbeit zwischen der kolumbianischen Armee und den Paramilitärs die auch den Großteil
des Drogenhandels kontrollieren nie zuvor so eng gewesen sei.
Joe Toft, zu Beginn der 90er Jahre Leiter des Büros der US-amerikanischen Antidrogenbehörde DEA, versicherte
gegenüber einem US-Journalisten, die Allianz, die in seiner Amtszeit zwischen verschiedenen US-Militäreinheiten und den paramilitärischen Gruppen kolumbianischer
Drogenkartelle geschlossen wurde, um den Drogenboss Pablo Escobar auszuschalten, bestehe weiterhin fort.
Dies könnte auch erklären, warum der aus den Reihen der "Liberalen" stammende aber
unabhängig für die Präsidentschaft kandidierende ultrarechte µlvaro Uribe Vélez in Umfragen den offiziellen Kandidaten der Liberalen Partei Horacio Serpa
und den konservativen Exminister Juan Camilo Restrepo ein enger Vertrauter von Präsident Pastrana überrundet.
µlvaro Uribe Vélez, der als ehemaliger Gouverneur von Antioquía maßgeblich am Aufbau des
Paramilitärs beteiligt war, forderte während der vergangenen Monate konsequent den Abbruch der Gespräche mit der FARC und den Einmarsch der Armee in die
entmilitarisierte Zone. Uribe Vélez Kandidatur wird von verschiedenen Strömungen sowohl der Liberalen als auch der Konservativen Partei, unterstützt.
µlvaro Uribe Vélez ist der Wunschpräsident der extremen Rechten, der Militärs und der Paramilitärs,
die bereits angekündigt haben zu seiner Wahl "aufzufordern". Im Falle seines Wahlsiegs ist ein Abbruch aller Gespräche, die Aufkündigung der entmilitarisierten
Zone und eine Verschärfung des Krieges gewiss. Ihm werden auch umfassende Verwicklungen in den Drogenhandel nachgesagt, Vorwürfe, die er natürlich weit von sich
weist. Ebenso wie die Unterstützung einer möglichen US-amerikanischen Intervention in Kolumbien. Doch die ist bereits in vollem Gange.
An der Militäraktion in der ehemals entmilitarisierten Zone sind auch US-Soldaten beteiligt. Ihre Anwesenheit wurde
auch durch ein von der rechten Tageszeitung El Tiempo veröffentlichtes Foto belegt, auf dem ein Soldat mit Tarnuniform und dem deutlichen Schriftzug "U.S. Army" zu
sehen ist. In der nur wenige Kilometer vom Caguán entfernten Militärbasis "Tres Esquinas" befinden sich an die 300 US-Army-Angehörige.
US-amerikanische Militärausbilder, DEA- und CIA-Angehörige zusammen genommen, dürften zwischen
500 und 1000 Angehörige US-amerikanischer Sicherheitsorgane in Kolumbien sein, zusätzlich sind mindestens acht private Kriegsunternehmen, vornehmlich aus den USA, mit
insgesamt über 2000 Angehörigen in Kolumbien aktiv. Darüber hinaus sind weitere 15000 US-Soldaten verschiedener Einheiten im vergangenen Jahr auf die Grenzstaaten
(außer Venezuela) und Länder der Karibik verteilt worden.
Von den Gesprächen mit der zweitgrößten Guerilla des Landes, der ELN, die sich seit Anfang Januar auf
Kuba wieder mit Vertretern der kolumbianischen Regierung trifft, ist auch kein Ergebnis zu erwarten. Da Pastranas Mandat am 7.August ausläuft, lehnte es die Guerilla strikt ab,
Vereinbarungen zu schließen.
Die ELN erteilte einer Entwaffnung eine kategorische Absage, da in der Vergangenheit Guerilleros nach ihrer Entwaffnung
ermordet wurden, während die Situation im Land sich nicht veränderte. Auch sind die ELN-Gebiete aufgrund der strikten Ablehnung des Drogenhandels seitens der ELN einem
verstärkten Druck durch die Paramilitärs ausgesetzt.
Als Antwort auf das Vorgehen Pastranas ist nun mit einer Verstärkung der Aktionen der Guerilla zu rechnen. Neben
zahlreichen Angriffen in verschiedenen Teilen des Landes entführte die FARC am 23.Februar die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancur. Der Generalsekretär der UNO,
Kofi Annan, und die EU die zu allen Verbrechen der kolumbianischen Regierung stets schweigen verurteilten sofort die Entführung von Ingrid Betancur und forderten die
FARC zur Freilassung aller in ihrer Gewalt befindlichen Personen auf.
International scheint das Terrain für ein noch größeres US-amerikanisches Militärengagement
vorbereitet zu werden. Auch eine direkte Intervention scheint nicht unwahrscheinlich. Die US-Regierung zumindest forderte ihre Bürger bereits auf "von Reisen nach Kolumbien
abzusehen".
Dario Azzellini
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04