SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 21

Der verlorene Sohn kehrt zurück

Bad Religion, The Process of Believe, Epitaph

Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Perspektive wäre die Punk-Attitüde des "No Future" eigentlich eine angemessene Alternative zum Pink-Statement: "Zieh dich heiß an, kipp dir einen hinter die Binde und lach dir einen Typen an" (so wird sie zumindest im Musikmagazin Aktiv zitiert). Doch die aktuelle Entwicklung sieht anders aus: The Clash sind schon vor geraumer Zeit bei Jeanswerbung angelangt und die Galionsfigur des US-Punk, der Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra trat, nicht gerade erfolgreich als Vizepräsidentschaftskandidat der US-Grünen an. Nun landet mit Bad Religion ausgerechnet eine Band ganz oben in den Album-Charts, der oft genug vorgeworfen wurde, seit ihrem ersten Album eigentlich immer nur das gleiche Lied gespielt zu haben und mit ihrer Revolutions-Message höchstens Oberschüler zum Ballen der Faust in der Tasche bewegt zu haben.
Doch so einfach kommt man an Bad Religion (BR) nicht vorbei. Sie waren gerade 18, als sie 1982 ihre erste LP mit geliehenem Geld in der Garage des Vaters von Leadsänger Greg Graffin produzierten. T-Shirts mit ihrem Markenzeichen, Crossbuster, einem durchgestrichenen Kreuz, sind sicherlich bis heute im Besitz eines jeden Punks der etwas auf sich hält und schlummern ebenso sicher in so mancher Schrankecke vieler Studienräte und Abteilungsleiter die hin und wieder sehnsüchtig an ihre wilde Zeit zurückdenken. Auch Greg Graffin, nach wie vor Leadsänger und Liedermacher von Bad Religion, ist mittlerweile promovierter Ethnologe, doch ist er sich treu geblieben. Gitarrist Brett Gurewitz, der im übrigen den Entwurf des Crossbuster beisteuerte, ist seit dieser Produktion wieder mit von der Partie.
Gurewitz ist auch der Besitzer des weltweit größten Independent-Labels Epitaph, das auch die ersten Platten von BR veröffentlichte. Doch der große Erfolg der Band brachte einen Vertrag mit Sony und nach einem Streit mit dem Bassisten Jay Bentley verliess Gurewitz die Band. In den Neunzigerjahren veröffentlichte BR einige Alben, die gut gemeint waren. Darüber konnte auch die Zusammenarbeit mit den Toten Hosen nicht hinwegtäuschen. Das Gesangsduo Campino/Graffin (Raise Your voice) kann dabei sehr wohl als die Wiederauflage von "Krähe und Nachtigall" (Eric Burdon/Udo Lindenberg) gewertet werden. Dass sowohl Campino als auch Lindenberg den Part der der Krähe übernahmen, ist bezeichnend. Auf jeden Fall war bis Ende 2001 eher mit der Auflösung von BR zu rechnen, als mit dem Erfolg den sie jetzt verzeichnen können.
Maßgeblich für den Erfolg ist die Rückkehr von Brett Gurewitz. Nicht dass etwas revolutionäres in der Musik von BR passiert wäre. Sie sind immer noch die Punkband, deren Musik am Lagerfeuer zur akustischen Gitarre gesungen werden kann. Aber der Druck ist wieder da. Melodischer Punkrock mit anspruchsvollen Texten. Keine Motherfucker-Bad-Guy-Attitüde, sondern harte Gurewitz-Gitarrenriffs und Soli, ein rasendes Schlagzeug und über allem Graffins Gesang gegen soziale Ungerechtigkeit und ideologische Bevormundung. Vielen Kritikern kommt eben das altbacken vor. Viele Fans monieren, dass BR jetzt im Kommerzfernsehen zu sehen waren und befürchten, dass nach dem neuerlichen Erfolg sogar Bravo-Interviews folgen werden. Doch ein kleiner Vorfall auf ihrem Konzert in London am 13.Februar 2002 zeigt: sie sind Punkrocker geblieben. Ein Zuschauer hatte einen Pappbecher mit Bier auf das Mischpult geworfen, worauf ein Totalausfall der PA-Anlage folgte. BR machten eine kurze Pause, drehten die Monitor-Boxen in Richtung Publikum und spielten das komplette Konzert ohne Monitore, die die PA ersetzten. Einziger Kommentar: Das sei weder ein Fan noch ein Punk, gewesen, denn der hätte das Bier getrunken.
Also wer 1990 mit Against the grain oder gar mit Suffer 1988 seine letzte BR-Scheibe gekauft hat, der sollte jetzt wieder zulangen, wer noch kein Album der Kalifornier besitzt, für den ist es allerhöchste Zeit. Die Ausrede, keine Beziehung zum Punk zu haben, sollte dabei einmal hintangestellt werden, da The process of believe genau die Frage der eingangs beschriebenen Stilentscheidung aufwirft, und da sollte Position bezogen werden.

Tommy Schroedter

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