SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 21

Der Realität entfliehen

Heaven, USA/BRD/F/I 2001, Regie: Tom Tykwer, Buch: Krzysztof Kieslowski, Krzysztof Piesiewicz, mit: Cate Blanchett, Giovanni Ribisi u.a., Start: 21.Februar 2002

Der Himmel, die Sicht von oben auf die Erde, spielt in Tom Tykwers neuem Film Heaven eine große Rolle. Der Film beginnt mit einer Szene, in der ein Junge mit Hilfe einer Computersimulation einen Hubschrauber "fliegt". Der Vater des Jungen weist ihn darauf hin, dass richtige Hubschrauber nicht so hoch fliegen können. Am Ende des Films fliegt ein echter Hubschrauber ebenfalls sehr — zu (?) — hoch. So schließt sich der Kreis.
Auch dazwischen bildet die Höhe einen zentralen Bezugspunkt für die Handlung des Films. Ein kleines Mädchen fürchtet sich, weil es mit einem Aufzug in die oberen Stockwerke eines Hochhauses fährt. In einem dieser Stockwerke residiert der Chef der Drogenmafia. Eine fatale Bombenexplosion, die vier Unschuldige das Leben kostet, ereignet sich ebenfalls dort. Die Stadt mit ihren schachbrettartig angelegten Straßen und die von sanften Hügeln geprägte Landschaft werden ebenfalls häufig aus der Vogelperspektive präsentiert. Sie sind der Schauplatz der Flucht der beiden ProtagonistInnen Philippa (Cate Blanchett) und Filipo (Giovanni Ribisi). Beide finden zeitweise ausgerechnet auf dem Dachboden des Polizeipräsidiums Zuflucht, wo sie in Sicherheit sind und von wo sie auf die Polizisten, die sie verfolgen, herabsehen können. Der Himmel, das was oben ist, bietet Zuflucht vor den Gefahren der Welt. Da Krzysztof Kieslowski einer der beiden Drehbuchautoren ist, steht zu befürchten, dass das Ganze als religiöse Metapher gemeint ist. Aber auch nichtreligiöse Menschen sehnen sich ja manchmal nach einem sicheren Zufluchtsort und die aus der Vogelperspektive aufgenommenen Bilder sind einfach wunderschön. Gleichzeitig ist das Hochgelegene aber auch, wie das Hochhaus, ein Ort tödlicher Gefahr. Die Bedeutung von Heaven ist also durchaus zwiespältig.
Die Handlung gemahnt an eine klassische griechische Tragödie. Die Lehrerin Philippa, die den Paten der Drogenmafia töten will, der schon so manche ihrer SchülerInnen auf dem Gewissen hat, wird durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zur Massenmörderin von vier völlig unbeteiligten Menschen, darunter zwei kleinen Kindern. Der junge idealistische Carabiniere Filipo muss erkennen, dass er einer korrupten und brutalen Institution dient. Ein Offizier der Carabinieri steckt mit dem Drogengroßhändler unter einer Decke und läßt Beweismittel verschwinden. Ein anderer Polizist interessiert sich überhaupt nicht für den Drogenhandel. Stattdessen versucht er, Philippa, die offensichtlich allein gehandelt hat, zu dem Geständnis zu zwingen, sie sei Mitglied einer "terroristischen Vereinigung". Sie solle ihre Hintermänner und Auftraggeber nennen. Auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit sind sowohl Philippa als auch Filipo auf Abwege geraten, so fliehen sie gemeinsam. Ihren Häschern entkommen sie nach oben, zum Himmel. Ob sie dort den Tod oder das Leben finden, bleibt offen.
Der Film krankt ein wenig daran, sich selbst zu ernst zu nehmen. Deswegen wirkt er an einigen wenigen Stellen unfreiwillig komisch. Wer diesen Film genießen möchte, sollte sich auf ein poetisch-melancholisches Märchen mit schönen Bildern einstellen, in dem 95 Minuten lang ohne viel Pathos von einer großen Liebe erzählt wird und davon, wie schön es doch wäre, wenn man der Realität entfliehen könnte.

Andreas Bodden

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