SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 7

Container-Leben

Köln setzt bei Flüchtlingen auf Abschreckung

Seit fünf Monaten leben im Containerlager Köln-Kalk über 200 Flüchtlinge aus dem Balkan am Rande der größten Industriebrache von Köln, auf der ehemaligen Düngemittelfabrik, der Chemischen Fabrik Kalk (CFK). Die Menschen auf der zukünftigen Großbaustelle blicken durch Zäune auf die Sandbergwüste und können den Baubewegungen der Bagger zuschauen, die die Erdhaufen des unebenen Geländes abtragen.
Jeder Person stehen 3,6 qm Containerwohnraum zur Verfügung. Die Ausgänge der Container führen auf einen Flur, dessen Decke an zwei Seiten jeweils einen halben Meter offen steht. Um auf die Toiletten oder in die Waschcontainer zu gelangen, müssen die Containerdorfbewohner immer über diesen kalten Flur gehen. Nicht nur deshalb ist die Gesundheitssituation, vor allem der Kinder, keine gute.
Peter Stankowski, Kinderarzt in Köln, kümmert sich um den Gesundheitszustand der Flüchtlingen und bemüht sich gerade gemeinsam mit dem Rom e.V., eine Familie aus dem Lagerleben zu befreien. Er hat festgestellt, dass drei Generationen erkrankt sind und unbedingt in eine richtige Wohnung verlegt werden sollten. Ansonsten steht er der Gesamtsituation der Flüchtlinge auch ohnmächtig gegenüber. Das Lagerleben macht krank. Infektions- und Hautkrankheiten haben sich ausgebreitet und die Kinder zeigen Symptome von Mangelernährung.
Eine andere ernst zu nehmende Gefahr sind die Altlasten der chemischen Fabrik Kalk. Analysen des Kölner Umweltinstituts Katalyse haben ergeben, dass in Bodenproben Arsen und Blei die Grenzwerte bis zum Faktor acht überschritten haben. Die sandigen Windböen, die manchmal auf dem Lagergelände aus der Richtung der Baustelle kommen, sind wahrscheinlich kontaminiert. Die Stadt streitet dies ab. Fast schon stolz erläutert sie in einer Presseerklärung vom November 2001, dass "bislang alle plakativ vorgebrachten Verweigerungsgründe (auf dem Gelände zu leben), speziell solche mit dem angeblichen Argument des Umweltschutzes, mit Akribie von den Fachverwaltungen widerlegt worden sind".
Was gibt es für die Flüchtlinge den ganzen Tag zu tun? Das Kochen wurde ihnen mit der Verlegung in das Containerdorf aus der Hand genommen. Es gibt keine Sozialhilfe mehr, sondern Essen auf Rädern, die sog. Sammelverpflegung in einem Gemeinschaftscontainer. Die Familien und Einzelpersonen kommen dann mit ihren Tabletts aus ihren Minizellen. Keiner isst in dem Gemeinschaftscontainer. Eine der wenigen Male, als der Container als Versammlungsort genutzt wurde, war während eines Plenums, als die Flüchtlinge die die unterstützende Gruppe "Kein Mensch ist Illegal" eingeladen hatten.
Zwischen den Essenszeiten ist der Gemeinschaftscontainer geschlossen. Es gibt auf dem Containergelände noch einen zweiten Gemeinschaftscontainer, der extra für die Kinder aufgestellt wurde. Dieser Container wird allerdings kaum benutzt, obwohl die Stadt Köln in ihrer Presseerklärung vom 7.November 2001 von einer Kinderbetreuungseinrichtung spricht.
Das Deutsche Rote Kreuz betreibt das Lager. Die vom DRK angestellten Sozialarbeiter bedauern die Situation der Flüchtlinge und sehen sich in der Opferrolle, da sie auch sozialpädagogisch keine zufriedenstellende Arbeit leisten können.
Im Eingangsbereich des "Wohnheims" steht der Betreuungs- und Bewachungscontainer. Ein Sicherheitsdienst, die Adlerwache, ist Tag und Nacht vor Ort. Wenn die Männer nicht auf ihrem Containerwachposten sitzen, dann laufen sie auf dem Gelände herum und beobachten das Lagerleben.
Nach anfänglich starken Protesten im November 2001 gegen die Verlegung der Flüchtlinge aus den Wohnheimen Boltensternstraße und den Kasernen in Porz erklärte die von der CDU regierte Stadt, dass es "überhaupt keine neuen Erkenntnisse" gebe, "die ein Abweichen von der mit großer Mehrheit im Kölner Rat verabschiedeten Linie notwendig machen würde". Die Stadt bleibt bei ihrem Unterbringungskonzept.
Bei den meisten Menschen in dem Containerdorf handelt es sich um Romafamilien. Es wohnen dort aber auch Nicht-Roma, viele Kosovo-Albaner, Makedonier, Menschen aus Serbien und Bosnien. Alle sind konkret von der Abschiebung bedroht, die von der Innenministerkonferenz im Juni 2001 beschlossen wurde. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen und das Diakonische Hilfswerk halten das Rückführungsabkommen für unverantwortlich. Laut der Mitarbeiterin des Rom e.V., Köln, Sabina Xhemajili, befinden sich die meisten Flüchtlinge, die im Containerdorf leben, seit Jahren in Deutschland. Ihre Kinder sind hier geboren. Die Roma-Familien haben auch in Serbien oder im Kosovo keine Zukunft, sondern müssen mit weiterer Verfolgung und Diskriminierung rechnen.
Bei den Roma handelt es sich um eine Volksgruppe, die in ganz Europa beheimatet ist und sich im übrigen niemals bewaffnet hat. Eigentlich müssten sie vor diesem Hintergrund überall in Europa einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen. Statt dessen exerziert die Stadt Köln exerziert beispielhaft, wie bundesweite Abschiebepraxis in Zukunft aussehen wird. Das neue Zuwanderungsgesetz sieht vor, dass es mehr Containerdörfer wie in Kalk geben soll, genannt "Ausreisezentren für ausreisepflichtige Ausländer".
Hier gibt es weder Sozialhilfe noch Arbeitserlaubnis, die Kinder erhalten keinen Schulunterricht. Auf dem Gelände werden regelmäßig Razzien durchgeführt, wie zum Beispiel im Containerdorf Kalk am Freitag, den 1.März 2002. Sogar "Fingerabdrücke" wurden wieder eingeführt. Durch diese Praxis werden vor allem bei älteren Roma schicksalhafte Erinnerungen wach. Schließlich sind Roma im Dritten Reich zwangssterilisiert worden, die Eheschließung mit Deutschen war verboten und 500000 Roma sind in Konzentrationslagern ermordet worden. Auf dem CFK-Gelände hat es vor 1945 ein Zwangsarbeiterlager gegeben. Daran erinnern die Kalker Flüchtlinge mit ihrem Protesttransparent, auf dem steht: "Wir wollen nicht in die Lager unserer Väter!"
Die Stadt Köln und der Bund leisten sich Containerlager, obwohl diese Art von Flüchtlingsunterbringung unweit teurer ist, als wenn die Bewohnerinnen und Bewohner sich selber verpflegen und in Wohnungen leben könnten. Die Stadt Köln zahlt Miete an die Eigentümerin Grundstücks-Entwicklungs-Gesellschaft GSE (51% Stadtsparkasse) bezahlt.
Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Wachpersonal, Sozialarbeiter, Zivildienstleistende, Küchenhilfen, Putzkräfte, Essensausfahrer und Köche kostet die Stadt Köln ein Vermögen. "Kein Mensch ist Illegal" hat ausgerechnet, dass dieses Containerdorf das Kölner Stadtsäckel 1,75 Millionen Euro in acht Monaten kosten muss. Hierin sind die Kosten der Sammelverpflegung noch nicht enthalten. An Sach- und Personalkosten erhält das Deutsche Rote Kreuz 58393 Euro im Monat. Eine vierköpfige Familie kostet die Stadt demnach 4284 Euro im Monat. Verwunderlich, dass Kölner Bürger nicht dagegen protestieren.
Ziel der neuen Flüchtlingspolitik ist es, den Aufenthalt von Nichtdeutschen zukünftig nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu regeln. Dabei werden wirtschaftlich "unverwertbare" Flüchtlinge in Lagern interniert, um sie besser in das politische und wirtschaftliche Elend ihrer Herkunftsländer deportieren zu können — ein Elend, dass die reichen Industrienationen mit zu verantworten haben.
Auch wenn die Containerlösung für Köln eigentlich unbezahlbar ist, rechnen die Stadtherren durch den Abschreckungseffekt mit Kosteneinsparung. Bei der heutigen weltpolitischen Lage ist eher mit dem umgekehrten Fall zu rechnen. Es wirkt naiv, zu glauben, dass ausgerechnet in einer Zeit, in der Deutschland wieder Soldaten in die Weltkriege schickt, die Flüchtlingsströme abnehmen.
Was soll aus den Menschen in dem Containerlager werden? In Italien haben "die Ungehorsamen", ein landesweites Ya-Basta-Netzwerk, im Januar 2002 ein Containerlager vor dem Bezug zerstört. Bei dieser Zerstörung haben sogar Kommunalpolitiker mitgewirkt.

Christiane Niesel

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