SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 7

Zuwanderung als Steilvorlage

von Winfried Wolf

"Herr Präsident, Sie manipulieren hier eine Abstimmung!" Es war der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der in der Bundesratssitzung am 22.März nach dem Ja-Nein-Ja der Vertreter des Landes Brandenburg als erster und in der schärfsten Tonlage intervenierte. Der Mann hat Erfahrung im Geschäft mit dem Rassismus.
Als SPD und Grüne 1999 einen ersten Anlauf unternommen hatten, ein neues und weniger ausländerfeindliches Staatsbürgerrecht zu etablieren, hatte Koch als Oppositionskandidat bei den hessischen Landtagswahlen eine üble rassistische Kampagne gegen dieses Gesetz entfacht. Die Bundesregierung unter Schröder und die hessische Regierung unter Koch waren zurückgewichen. Koch eroberte das Bundesland Hessen für CDU und FDP. Das Wahlkampfmodell Hessen & Koch ‘99 soll nun das Wahlkampfmodell Bundestag & Stoiber ‘02 werden. Denn fast gleichgültig wie Bundespräsident Rau und danach möglicherweise das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden: Mit den Vorgängen um das neue Zuwanderungsgesetz im Bundesrat drohen die Menschen ohne deutschen Pass in unserem Land für den Bundestagswahlkampf instrumentalisiert zu werden.
Das verwirrende dabei ist: Das neue, nun formal auch im Bundesrat verabschiedete Zuwanderungsgesetz ist kein Gesetz, das es lohnen würde zu verteidigen. Nachdem SPD und Grüne bereits 1999 versagt hatten, ein fortschrittliches Staatsbürgerrecht zu schaffen, haben sie noch mehr dabei versagt, das Thema Zuwanderung auf humanistische Art und Weise gesetzlich zu fassen.
Während sich beim neuen Staatsbürgerrecht noch sagen ließ, das Gesetz gehe, wenn auch mit Tippelschrittchen, in die richtige Richtung, muss vom neuen Zuwanderungsgesetz gesagt werden: Es weist in die falsche Richtung. Neben den Verbesserungen bei der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Fluchtgrund (was jährlich einigen hundert Menschen Vorteile bringen dürfte) betreffen die Nachteile viele zehntausend Menschen: Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz fallen Tausende mehr Menschen ohne deutschen Pass unter die Residenzpflicht und müssen jeden Besuch an einem anderen Ort als ihrem Aufenthaltsort genehmigen lassen; werden zusätzlich Tausende Menschen durch das Asylbewerberleistungsgesetz sozial ausgegrenzt (sie erhalten bei Bedürftigkeit eine Unterstützung, die deutlich unter dem Sozialhilfesatz liegt); wird die unmenschliche Abschiebehaft nicht nur nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil noch durch sog. "Ausreisezentren" erweitert; werden Kinder noch stärker benachteiligt als bisher, indem das Höchstalter für den Nachzug auf 12 Jahre abgesenkt wurde. Spätestens ab 16 Jahren werden Jugendliche weiterhin durch die Mühlen des Asylverfahrens getrieben, in Abschiebehaft genommen und abgeschoben.
Das neue Gesetz regelt die Zuwanderung ausschließlich nach dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit. Eingeführt wird der "wertige Mensch": Nach einem detaillierten Punktekatalog und den Vorgaben der Wirtschaft wird bestimmt, welche Wertigkeit ein potentieller Zuwanderer hat. Während einerseits bei der Zuwanderung für Menschen in Not "Schotten dicht" gilt, werden andererseits diverse Türchen dort geöffnet, wo "die Wirtschaft" Bedarf anmeldet.
Während die Bundesregierung anlässlich der UN-Konferenz im mexikanischen Monterrey noch verkündete, sie wolle die Entwicklungshilfeausgaben anheben, beschließt sie mit dem Zuwanderungsgesetz einen gezielten "brain drain": Hoch qualifizierte Techniker aus Ländern mit niedrigen Einkommen dürfen zeitweilig in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten. Die deutsche Industrie spart sich die Ausbildungskosten und setzt diese Arbeitskräfte zugleich im Sozialdumping ein.
Doch all dies sind Betrachtungen zum Zuwanderungsgesetz, die in dieser Differenziertheit kaum noch offene Ohren finden. Es ist wie 1999 beim Staatsbürgerrecht: Ein Zurückweichen bei einem an sich fortschrittlichen Vorhaben beantwortet die Reaktion erst recht mit einer rechten Offensive, um noch mehr Zugeständnisse zu erreichen. Was bleibt, ist der unerträgliche Zustand, dass in unserem Land rund neun Millionen Menschen ohne deutschen Pass, darunter bis zu einer Million "Illegale" leben, die, weil sie auf Dauer hier leben, Inländer sind, aber aus rassistischen Gründen als "Ausländer" kategorisiert und besonderen, diskriminierenden Gesetzen unterworfen werden. SPD und Grüne haben es in einer Legislaturperiode nicht geschafft, einen wirksamen Beitrag zur Beseitigung oder Minderung dieser Schande zu leisten. Sie liefern nun mit der Schmierenkomödie im Bundesrat noch eine Steilvorlage für einen rassistischen Wahlkampf, nach dem es dann noch schwieriger sein wird, eine humanistische Regelung herbeizuführen.

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