SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 9

Es geht um mehr als nur Geld

Tarifrunde 2002 in der Metall- und Elektroindustrie

Die Diskussion um eine Tarifforderung ist schon lange nicht mehr so früh, so breit und so kontrovers innerhalb der IG Metall geführt worden wie im letzten halben Jahr. Jetzt steht die Forderung nach 6,5% mehr Lohn und Gehalt bei einer Laufzeit von einem Jahr und die Forderung nach einem verbindlichen Einstieg in einen gemeinsamen Entgeltrahmen für Arbeiter und Angestellte. Aber es war ein langer Prozess der innergewerkschaftlichen Einigung bis hin zu den ersten Warnstreiks an der Küste und in Berlin- Brandenburg-Sachsen Ende März.
Im Frühherbst brachte Klaus Zwickel unter dem Eindruck der zurückgehenden Konjunktur und der Anschläge in den USA die Idee einer zweigeteilten Tarifrunde ins Gespräch: Im Frühjahr eine Einmalzahlung zu vereinbaren und im Herbst in der wirtschaftlichen Aufschwungphase die eigentliche Tarifrunde nachzuholen. Der Vorschlag stieß in den eigenen Reihen auf wenig Zustimmung, wurde aber auch von den Unternehmerverbänden abgelehnt, mussten diese doch befürchten, sich gleich zweimal in einem Jahr Mobilisierungen der IG-Metall-Mitglieder auszusetzen.
Berthold Huber, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg und hochgehandelter Anwärter auf einen der Vorsitzendenposten, schlug für sein Tarifgebiet vor, einen Teil der Tariferhöhung in seiner konkreten Umsetzung den Betrieben, d.h. den Betriebsräten zu überlassen. Dies sollte ein Beitrag zur betriebsnahen Tarifpolitik und zum Erhalt des Flächentarifvertrags sein. Dieser Vorschlag konnte sich in den Tarifkommissionen jedoch nicht durchsetzen.
Die aus den Betrieben bekannt gewordenen Forderungen machten in ihrer großen Zahl deutlich, dass in diesem Jahr der Schwerpunkt auf einer hohen Lohnforderung liegen muss. Dabei spielten die Vertrauenskörper aus Süddeutschland den Vorreiter — die 9,5%-Forderung der Porsche- Vertrauensleute war in aller Munde. Aber auch viele Betriebe im Bundesgebiet zogen nach, die — und das ist bemerkenswert — mehrheitlich weniger mit der guten Ertragslage ihrer Betriebe argumentierten als mit den zu geringen Tariferhöhungen der letzten Jahre.

Wie man sich täuschen kann

Dieser offensive Druck aus den Betrieben war jedoch nicht einheitlich. Betriebsräte und Vertrauensleute, die aufgrund der ökonomischen Situation ihrer Unternehmen Zurückhaltung bei den Forderungen signalisieren wollten, meldeten sich zwar in der öffentlichen Diskussion nicht zu Wort, ihre Position wirkte sich aber auf die Ergebnisse der Tarifkommissionssitzungen aus. Insoweit ist die Forderung von 6,5% ein Kompromiss, der der Breite der IG Metall Rechnung trägt und keine vom Vorstand vorgegebene Linie.
Das Lager der Metallarbeitgeber und ihr Vorsitzender Martin Kannegießer waren über diese Lohnforderung erstaunt und über alle Maßen erbost. Man hatte nicht damit gerechnet, dass sich die IG Metall eine "Auszeit" im Bündnis für Arbeit verpassen würde und sich anders als 2000 — unter Mitwirkung eines Landesarbeitsministers in Wartestellung — nicht an eine Lohnleitlinie legen ließ. Zudem hatten sie sich mit der Annahme verkalkuliert, die IG Metall würden aufgrund der bevorstehenden Bundestagswahl eine gemäßigte Lohnerhöhung fordern.
Die heftige Kritik von Klaus Lang, dem zentralen Zuarbeiter des IG-Metall-Vorsitzenden, an der "blutleeren Politik der Mitte", seine Ablehnung eines Anti-Stoiber-Wahlkampfs und das Zugehen auf Attac drücken die Bemühungen der IG Metall aus, sich aus genügend Distanz zur SPD- geführten Bundesregierung Raum für eigene politische Initiativen zu verschaffen.
Ebenso haben sich die Arbeitgeber über der Stimmungslage in den Betrieben getäuscht. Die Fessel der zweijährigen Laufzeit mit der geringen Erhöhung von 2,1% in 2001 führte zu Unzufriedenheiten in den Belegschaften. Wo es früher noch heimliche Tarifrunden im Betrieb gab, wurden in den letzten Jahren — auch in der Automobilindustrie — Tariferhöhungen ganz oder teilweise mit außertariflichen Zulagen verrechnet. So wurde häufig noch nicht einmal die 2,1%ige Erhöhung wirksam.
Dabei wurde die Mehrzahl der Beschäftigten weniger mit der berechtigten Denunziation der persönlichen Bereicherungswut der deutschen Topmanager durch die IG Metall oder den Blick nach Frankreich, wo die durch Lohnerhöhung gestiegene Binnennachfrage zu Arbeitsplätzen geführt haben soll, von der Angemessenheit der Forderung überzeugt. Vielmehr führte die eigene Erfahrung der Währungsumstellung und die damit gekoppelten Preiserhöhungen bei alltäglichen Konsumgütern zu weiterer Unterstützung für die IG-Metall-Forderung. Der Schock des 11.September hat nachgelassen, die Rezession hat noch keine Wunden gerissen und die Aufschwungbotschaften für die zweite Jahreshälfte wirken beruhigend.
So ist die IG Metall kampffähig und die Mitglieder sind — ohne Euphorie — kampfbereit. Das Angebot der Arbeitgeberverbände von jeweils 2% Tariferhöhung in diesem und dem folgenden Jahr wurde dann auch schnell von Gerhard Schröder mit der Aufforderung versehen, noch vor Ostern aufeinander zuzugehen um einen Arbeitskampf zu vermeiden.

Wie man die Zukunft verhandelt

Ein weiteres Element der Tarifforderung, das zwar grundsätzlich unterstützt wird, in der betrieblichen Diskussion aber weniger im Vordergrund steht, ist der unumkehrbarer Einstieg in ein Entgeltrahmenabkommen (ERA). Über den Sinn eines gemeinsamen Eingruppierungsschemas für Arbeiter und Angestellte sind sich IG Metall und nahezu alle regionalen Metallarbeitgeberverbände einig.
Bei der Beschreibung und Bewertung von Qualifikationen und Tätigkeiten liegen die Vorstellungen ebenfalls nicht weit auseinander. Nur die Gretchenfrage, wie viel Geld man in Zukunft für seine Arbeit erhalten wird, ist — auch innerhalb der IG Metall — noch offen.
Wie in dieser Situation ein unumkehrbarer Einstieg in ERA aussehen kann, ist in den Bezirken der IG Metall umstritten: der Süden könnte sich eine Teilreservierung der allgemeinen Tariferhöhung für eine Anhebung bislang geldmäßig unterbewerteter Tätigkeiten vorstellen, ohne dass den Gewerkschaftsmitgliedern heute schon bekannt wäre, welche Beschäftigtengruppen ab welchem Zeitpunkt davon profitieren würden.
In NRW, dem Tarifgebiet, dessen Bezirksleiter Peter Gasse den Arbeitgebern schon frühzeitig eine lohnkostenneutrale Variante des ERA zugesichert hatte, will man in Kenntnis der offenen Probleme bei ERA einen Zeitplan für verbindliche Verhandlungen und Einführungsphasen aushandeln, allerdings ohne ausdrücklich die Reservierung eines Teils der Tariferhöhung für ERA auszuschließen.

Was nötig ist

Der plötzliche Tarifabschluss 2000 befand sich nicht nur wegen dem inhaltlichen Ergebnis im Kreuzfeuer der innergewerkschaftlichen Kritik. Der damalige Bezirksleiter von NRW, Harald Schartau, hatte sich an den Baden-Württemberger Kollegen vorbeigedrängelt, die sich auf eine verschärfte Gangart des Arbeitskampf vorbereitet hatten. Nach dem Coup in NRW waren die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie für zwei weitere Jahre in den Auseinandersetzungen auf den Betrieb zurückgeworfen. Wieder bestimmten betriebswirtschaftliche Perspektiven den Alltag und weiter ging die Schraube der "Verbetrieblichung" der Tarifpolitik. Diese erzwungene Passivität und erstickende Enge des Handlungsrahmens wurde in der jüngsten Vergangenheit nur in wenigen Betrieben durchbrochen.
Insoweit bietet eine kämpferische Tarifrunde in diesem Jahr nicht nur die Möglichkeit einer ordentlichen Lohn- und Gehaltserhöhung, sondern auch die Chance, neu zu erfahren, dass man durch gemeinsames Handeln am besten die eigenen Interessen durchsetzen kann.

Udo Bonn

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