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Die Kommunistische Partei triebt derzeit reichlich orientierungslos vor sich hin. Einst hatte sie mit ihrer Stragegie auf zwei längerfristige gesellschaftliche
Transformationsperspektiven gesetzt: Ihre Anbindung an den "real existierenden Sozialismus", mit dem sie bis zum Zusammenbruch der UdSSR 1991 eng verbunden blieb, und das
innenpolitische Bündnis mit der Sozialdemokratie. Letzteres hatte 1972 zum "Gemeinsamen Programm" und in den Jahren 198184 zur vorübergehenden
Regierungskoalition geführt.
Beide historischen Perspektiven sind heute weggebrochen: Der Realsozialismus als "Modell" fällt aus, und
die Regierungsbeteiligung kann heute niemand mehr ernsthaft als Beitrag zu einer tiefgreifenden Umgestaltung des Gesellschaftssystem präsentieren. Die Partei "öffnet"
sich krampfhaft und auf unkoordinierte Weise zu allen Seiten, zur sozialdemokratischen Regierungspolitik wie auch zu verschiedenen sozialen Bewegungen, gegenüber denen sie sich
früher oft sektiererisch verhalten hatte. Darin fehlt jedoch jegliche politische Kohärenz. Die Parteispitze versucht um jeden Preis nicht altmodisch "ewig gestrig" zu
wirken, und läuft Pseudointellektuellen und modischen Trendsettern hinterher. Zuletzt hat sie den Ex-Werbemanager und Möchtegernintellektuellen Frédéric
Beigbeder zum Berater ihres Präsidentschaftskandidaten Robert Hue ernannt. Beigbeder begründete sein Engagement in der Tageszeitung Le Parisien mit den Worten, er liebe
"den Einsatz für eine verloren stehende Sache" als eine Art ästhetischer Herausforderung. Währenddessen ist die Basis zunehmend unzufrieden mit der faktischen
Unterstützung der Regierungspolitik; 45% geben jedes Jahr ihre Mitgliedskarte zurück.
In den Vorwahlumfragen steht Hue derzeit zwischen 4,5 und höchstens 6%. Sollte die KP die 5%-Hürde nicht
nehmen, stünde ihr nicht nur eine politische, sondern auch eine finanzielle Katastrophe bevor, da ihr die volle Rückerstattung der Wahlkampfkosten entginge. Den schnellen
Untergang der KP zu prophezeien, ist dennoch fehl am Platze. Ihre allerdings geschrumpfte Basis bildet immer noch einen wichtigen Faktor, der aber Alterungserscheinungen
ausgesetzt ist.
Links von der KP wächst somit der Spielraum für Kandidaturen auf der revolutionären Linken. Den
Löwenanteil der Stimmen dürfte dabei die Kandidatin von LO (Lutte Ouvrière "Arbeiterkampf"), Arlette Laguiller, einfahren. Mitte März hatte sie
in den Vorwahlumfragen die 10%-Marke erreicht, und Libération berichtete am 21.März über die Sorgen, die dieses Phänomen in den Führungsetagen des
regierenden Sozialistischen Partei hervorrufe.
Trotz eines simplen Diskurses, der viele gesellschaftliche Widerspruchsfelder außer Acht lässt und auf einen
starken Subjektivismus setzt, konnte Laguiller eine wachsende Anziehungskraft auf ehemalige Wähler der großen Linksparteien entfalten. Hauptgrund dafür ist die
Schwäche des aktuellen KP-Diskurses: Die Spitze der Partei von Robert Hue ist dermaßen orientierungslos geworden, dass sie im Herbst 2001 wochenlang nicht klar
auszudrücken wusste, ob sie nun für oder gegen die Bombardierungen der USA im Mittleren Osten eintrat. Bereits bei der Präsidentschaftswahl 1995 konnte
"Arlette", die als einzige Politikerin vom Publikum spontan bei ihrem Vornamen genannt wird, stattliche 5,3% der Stimmen erzielen. Anlässlich der Regionalparlamentswahl
1998 (LO erhielt damals 4,7%) wurde errechnet, 40% dieses Potenzials bestünde aus ehemaligen KP-Anhängern und weitere 40% aus ehemaligen Nichtwählern. Heute
scheint der Anteil ehemaliger Wähler der etablierten Linken stark im Steigen zu sein. 15% der KP- und 10% der SP-Wählerinnen und Wähler von 1997 wollen nach
aktuellen Studien dieses Mal für "Arlette" stimmen. 1974 trat Laguiller erstmals zur Wahl des Staatschefs an, ist sie heute die dienstälteste
Präsidentschaftskandidatin.
Daneben fällt es der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), die der IV. Internationale angehört, im
Moment schwerer, neben dem wahlpolitischen Schwergewicht "Arlette" einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Zumal die LCR soeben einen Generationswechsel hinter sich
hat: Ihr Sprecher und vorheriger zweifacher Präsidentschaftskandidat (1969 und 1974) Alain Krivine wollte nicht zur diesjährigen Präsidentschaftswahl antreten. Seiner
Ansicht nach sei die Zeit reif für einen Generationswechsel, und es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Debatte auf der radikalen Linken werde "unter den 60-
Jährigen Arlette und Alain" ausgetragen. Daher wählte die LCR, nachdem LO ein Wahlbündnis abgelehnt hatte, den 27-jährigen Postangestellten Olivier
Besancenot Mitglied der linken Basisgewerkschaft SUD zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Ihm wird allgemein zugestanden, in der politischen Sachdebatte gut
abzuschneiden, er ist in sozialen Bewegungen von Genua über Porto Alegre bis zu den viermonatigen Streiks bei McDonalds im vorigen Winter präsent und
verfügt über ein Programm, das wesentlich mehr gesellschaftliche Aspekte umfasst, als das LO-Programm. Doch natürlich ist er für das große Publikum bisher
ein Unbekannter. Die LCR rechnet daher nach realistischen Schätzungen mit 12% der Stimmen. Längerfristig jedoch kann der Generationenwechsel sich nur positiv
auswirken denn nach ihrer diesjährigen fünften Präsidentschaftskandidatur dürfte auch das "Phänomen Arlette" abgenutzt sein.
Bernhard Schmid (Paris)
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