SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 13

Väter und Söhne

Drei Millionen Menschen gegen Berlusconi in Rom

Eine beispiellose Allianz gesellschaftlicher Kräfte macht seit eineinhalb Monaten in Italien gegen Regierung und Unternehmer mobil. Der Mord an Mario Biagi, einem Berater der jetzigen wie früherer Regierungen in Sachen Arbeitsrecht, hat sie nicht brechen können, obwohl nicht wenige mutmaßen, er könne auch bestellt gewesen sein. Auch nicht der Versuch Berlusconis, die Jungen gegen die Alten aufzubringen, indem er sinngemäß argumentierte: "Die Aufhebung des Kündigungsschutzes schafft Arbeitsplätze. Die Väter blockieren die Chancen ihrer Söhne."
Nach wochenlangen Streiks und Arbeitskämpfen in den verschiedensten Bereichen der italienischen Wirtschaft und Gesellschaft waren am 23.März in Rom Väter und Söhne vereint im Protest und in der Forderung: "Gegen Willkür und Deregulierung — für garantierte Rechte!" Es war die wahrscheinlich größte Demonstration in der Geschichte Italiens — und der Auftakt für den Generalstreik am 5.April.
Unter dem Beifall der Unternehmerverbände sucht die Regierung Berlusconi die Kraftprobe mit den Gewerkschaften. Ausgangspunkt ist die Abschaffung des Kündigungsschutzes in Betrieben, die heute 15 Beschäftigte zählen und neue Kräfte einstellen wollen; in Betrieben, die schwarz arbeiten und ihre Tätigkeit legalisieren wollen; in Betrieben, die befristete in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse umwandeln wollen.
Der Kündigungsschutz ist jedoch nur ein Stolperstein in einem ganzen Paket von Maßnahmen des sozialen Rückschritts. Dazu zählen: die Privatisierung des Schulsystems, die Infragestellung auch anderer Arbeitsrechte, Fortsetzung der Privatisierung der Altersvorsorge, Beschneidung der Rechte der Migrantinnen und Migranten, Gängelung der Informationsfreiheit, Repression des sozialen Protests. Über allem thront ein Ministerpräsident, der die Medien sein Privateigentum nennt und mit seiner Regierungsmehrheit Recht und Gesetz gemäß seinen Privatinteressen beugt (Neufassung des Gesetzes über die Steuerflucht).
Die Unternehmer drängen, die Stützen des Sozialstaats müssten endlich fallen: "Wir sind schon sehr spät dran und können uns nicht erlauben, uns dem Druck der Straße zu beugen", erklärt der Präsident der Confindustria, Antonio D‘Amato. Die Confindustria befürchtet, dass die EU-Gelder demnächst nach Osteuropa und nicht mehr in den Mezzogiorno fließen; den Nachteil wollen sie auf Kosten der Löhne ausgleichen. Sie hat deshalb vorgeschlagen, den Kündigungsschutz im Süden stärker auszuhebeln als im Norden.
Keine Kompromisse lautet die Linie. Unternehmer und Regierung ziehen an einem Strang. Anders als 1994 im Konflikt um die Rentenprivatisierung ist es der Regierung bisher gelungen, ihre Reihen geschlossen zu halten, obwohl es beim "sozialen Flügel" von Alleanza Nazionale gärt. Proteste gegen die unnachgiebige Haltung gibt es auch im Unternehmerlager.
Die harte Linie hat einen hohen Preis: Sie mündet in die Konfrontation mit den Gewerkschaften, die sich in elementaren Rechten (Kollektivschutz der abhängig Beschäftigten und ihre eigene Anerkennung als Sozialpartner in Verhandlungen) bedroht sehen.
Damit hat Berlusconi eine völlig neue Situation geschaffen, die die Linke aus eigener Kraft niemals zuwege gebracht hätte: das Zusammenrücken eines sehr breiten gesellschaftlichen Spektrums gegen die Herrschaft der Unternehmerwillkür, von der die Regierung ein Teil ist, und die Polarisierung der Gesellschaft um das Thema der sozialen Rechte. "Zwei Züge rasen aufeinander zu", beschreibt die linke Tageszeitung Il Manifesto die Situation.
Die neue Einheit stützt sich vor allem auf zwei Elemente:
• Durch die Bildung der Sozialforen ist unter der liberalismus- und kapitalismuskritischen Linken eine neue Einheit geschaffen worden. Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua haben im vergangenen Jahr zu einer außerordentlichen Politisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geführt. Das Genoa Social Forum war ein Bündnis von über 700 Organisationen gewesen, dem auch die Metallergewerkschaft FIOM angehört.
Die Brutalität, mit der die Regierung versucht hat, den Massencharakter dieses Protests zu ersticken, hat das Gegenteil bewirkt: Sie hat die Gegner der neoliberalen Politik in ihrer Entschlossenheit gestärkt, Angriffe gemeinsam abzuwehren und sich nicht mehr nach der Salamimethode aufspalten zu lassen. Das Bündnis bekam nach Genua noch mehr Zulauf — es spricht vor allem die Jugendlichen an. Sozialforen gründeten sich allerorten und gaben sich eine reguläre Struktur auf nationaler Ebene. Von Anfang an war in diesem Kreis klar, dass die Aktivitäten des Social Forum auch Teil der Mobilisierung sein würden, die im Herbst die Metallarbeiter in den Konflikt um einen neuen Tarifvertrag trieb.
• Das allein hätte nicht ausgereicht, 3 Millionen Menschen unter gemeinsamen Forderungen auf die Straße zu bringen. Ein zweites Element kam hinzu: eine Wende in der Gewerkschaftspolitik.
Noch im vergangenen Herbst war die Fiom die einzige Gewerkschaft in der CGIL, die den Regierungsplänen in Sachen Kündigungsschutz eine kompromisslose Abfuhr erteilte. Sie drohte mit Streik und wurde dafür in der CGIL als "extremistisch" gescholten. Die drei gewerkschaftlichen Dachverbände (CGIL, CISL, UIL) setzten zu dem Zeitpunkt noch auf Verhandlungen und hofften, trotz gegenteiliger Rhetorik werde sich auch diese Regierung wie die vorhergehenden kompromissbereit zeigen.
Die Regierung wich aber keinen Millimeter und so sprangen nacheinander die CGIL und zuletzt auch die sehr unternehmerfreundlichen Gewerkschaften CISL und UIL ab. Die CGIL rief zur landesweiten Demonstration am 23.März (das Rückgrat der gewerkschaftlichen Mobilisierungen bildeten in den letzten Jahren vor allem die Rentnerinnen und Rentner) und zum Generalstreik am 5.April auf; alle anderen haben sich angeschlossen. Gegen ihren Willen haben die Gewerkschaften sich jetzt auf eine Konfliktlinie eingelassen — es ist für sie die einzige Möglichkeit, ihren Bestand zu sichern.
Mit dem Seitenwechsel ist ein neuer gesellschaftlicher Pol entstanden, der eine starke Sogkraft ausübt. Dafür seien nur zwei Beispiele genannt: Der italienische Journalistenverband, sonst eher über Kreuz mit den Gewerkschaften, hat sich zum erstenmal seit 1946 ihrem Aufruf angeschlossen — ein wachsender Teil von Journalisten arbeitet unter prekären Bedingungen und der Verband fürchtet, dass die neuen Gesetzesbestimmungen die journalistische Freiheit erheblich beeinträchtigen werden. Und selbst die faschistische Gewerkschaft UGL hat sich entscheiden müssen zwischen ihrem Hass auf die Linken und die traditionelle Arbeiterbewegung und dem Widerstand, den es auch in ihren Reihen gegen die Regierungspläne gibt. Jetzt will sie sich dem Generalstreik anschließen.
Die Gesellschaft ist entlang der Klassenfrage polarisiert; die Wahrung der Rechte der abhängig Beschäftigten erweist sich als der Nenner, der die gemeinsamen Interessen verbindet, zugleich als Resonanzboden für einen neuen Entwurf gesellschaftlicher Alternativen. Früher hätte man dazu gesagt: Die Herstellung der Einheit der Arbeiterbewegung im Klassenkampf ist die Voraussetzung für den Sozialismus. Dass die Idee der Einheit wieder eine solche Macht gewonnen hat, ist nicht zuletzt das Verdienst der globalisierungskritischen Bewegung.
Der Ort, an dem Alternativen am breitesten formuliert werden, ist das Italienische Sozialforum. Dieses hat auf seiner landesweiten Versammlung am 2. und 3.März — gegen Widerstände seines linksradikalen Flügels, der weniger die Chancen, als die Gefahren der neuen Entwicklung sieht — den Aktionsaufrufen der CGIL seine volle Unterstützung zugesagt. Das Sozialforum erklärt, dass sein Kampf sich gegen die Regierung Berlusconi und gegen die Confindustria und deren Versuch richtet, die gesamte Gesellschaft den Interessen der Unternehmer zu unterwerfen. Es will die Gewerkschaftsspitzen in einen gemeinsamen Kampf für die Beendigung der "Konsensgespräche" und für die Ausdehnung der gewerkschaftlichen und sozialen Rechte auf alle prekär Beschäftigten hineinziehen. Seine zentralen Forderungen lauten: Einführung eines Soziallohns, Bürgerrechte für Migrantinnen und Migranten und Nein zum Krieg. "Am 5.April muss das gesamte Land stillstehen."
Die politische Kraft, die dieses Programm repräsentiert, Rifondazione Comunista, hat eine Initiative für eine Volksbefragung über eine andere Reform des Art.18 Arbeitsgesetzbuch angeschoben: Ungerechtfertigte Entlassungen sollen in allen Betrieben, auch in solchen mit weniger als 15 Beschäftigten verboten sein. "Es ist an der Zeit, neue Rechte für alle zu erobern", erklärt Alfonso Gianni, Sprecher von Rifondazione im Parlamentsausschuss Arbeit. Die Unterschriften sollen im Sommer gesammelt, die Volksbefragung selbst im Frühjahr 2003 durchgeführt werden — möglichst im Rahmen einer ganzen Welle von Volksbegehren, die die Verhältnisse in eine positive Richtung verändern sollen.

Angela Klein

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