SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 16

Die Rolle Arafats

Aus einem Interview mit Michael Warshawski

Welche Rolle spielt Arafat im Moment?
Ich glaube, dass Arafat nach dem Prozess von Oslo eine doppelte Politik verfolgt. Ich bin nicht damit einverstanden, Arafat einen Kollaborateur Israels zu nennen, ihn mit Petain zu identifizieren und Arafat und die Autonomiebehörde (PA) mit der südlibanesischen Armee von General Lahad zu vergleichen. Das scheint mir ein Irrtum zu sein. Arafat verfolgte in der Vergangenheit eine doppelte Politik und setzt diese Linie derzeit fort.
Sie besteht darin, einen Kompromiss zu suchen, was nicht immer auf Zustimmung in der palästinensischen Gemeinschaft stößt und Debatten und schwere Auseinandersetzungen hervorruft. Arafat ist ein nationaler Führer, der offen ist für große Kompromisse, über die man streiten kann und muss und über die gestritten wird. Aber es gibt eine Grenze für seine Kompromissbereitschaft. Das war genau der große Irrtum Ehud Baraks, der in seiner kolonialen Arroganz glaubte, er könne Arafat einen Plan aufzwingen, der die Errichtung von Bantustans vorsah.
Arafat hat bereits einen sehr weitgehenden Kompromiss akzeptiert: Er verzichtet auf 80% Palästinas, akzeptiert die Versöhnung mit Israel, aber er ist nicht bereit, über die restlichen 20% zu verhandeln. Das Minimum ist in seiner Politik klar definiert.
Arafat hat nicht die Tür zu einer Kooperation mit Israel zugemacht, aber es gibt eine Grenze. Das ist sein "Doppelspiel": Er verhandelt und er ist bereit, die Region zu befrieden, aber das hat einen Preis, und solange Israel nicht bereit ist, diesen Preis zu bezahlen, führt Arafat auch einen Teil des Widerstands gegen die Besatzung.
Das Problem ist, dass Sharon und vor ihm Barak den Spielraum Arafat eingeschränkt haben, indem sie ihn zu mehr Widerstand und weniger Kooperation trieben, so dass er nicht anders konnte — gewollt hätte er schon anders. Er ist in Ramallah gefangen, während die Armee die Infrastruktur der palästinensischen Polizei und Verwaltung zerstört. Die Fähigkeit Arafats, die "Ordnung aufrecht zu erhalten" und einen Minimum an Widerstand zu leisten, um einen für die palästinensische Bevölkerung annehmbaren Kompromiss zu erreichen, ist sehr eingeschränkt.

Bildet sich in der Intifada eine neue Führung heraus?
Es gibt seit mehr als eineinhalb Jahren eine Führung, die von innen gegen die Besatzung kämpft, eine neue Generation. Es sind Aktivisten der ersten Intifada aus allen politischen Gruppierungen, vor allem aber aus der Fatah, die diesen Widerstand tragen. Aber es handelt sich nicht um einen Bruch mit Arafat, sondern um eine konfliktreiche Beziehung zu Arafat und der PA.
Auch die Verhaftung von Aktivisten der PFLP oder die Schließung der Büros der Hamas sind Dinge, die zwischen der PA und diesen Organisationen "verhandelbar" sind. Wir wissen, dass Arafat täglich die Führer der Opposition trifft. Es gibt gegenwärtig eine antiisraelische Einheitsfront und repressive Maßnahmen, die Israel offensichtlich nicht zufrieden stellen. Es ist ein delikates Manöver mit unsicherem Ausgang, denn anders als die anderen israelischen Regierungen hat Sharon nichts anzubieten. Es wäre logisch, wenn Sharon sagte: "Dies und das will ich und dies ist der Preis", dann könnte Arafat sagen: "Einverstanden, ich zahle den Preis für das, was du mir bietest."
Aber wir erleben, dass es Sharon nie genügt. So im Fall der PFLP-Aktivisten, die des Mordes an Minister Zeevi beschuldigt werden und verhaftet wurden. Arafat ergreift solche Maßnahmen nicht nur und nicht so sehr, um Sharon entgegenzukommen, sondern wegen der internationalen öffentlichen Meinung. Mit diesen Verhaftungen wendet sich Arafat in Wirklichkeit an Bush und an Europa, um auszudrücken: Das ist es, was ich tun kann. Es ist mehr ein Propagandaakt als eine wirkliche Repression.

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang