SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 19

Make Love and War

Jürgen Elsässer, Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern, Bonn: Pahl-Rugenstein, 2002, 172 S.

Nach Jutta Ditfurth und diversen anderen versucht Jürgen Elsässer nun in seinem neuesten Buch den Linken die Veränderung der Grünen zu erklären. Die ökonomischen Gründe für die Veränderungen bei den Grünen sieht Elsässer darin, dass die meisten führenden Grünen und auch viele an der Basis einer "Lumpen-Intelligenzija" angehören, die er mit Marx‘ Diktum über das "Lumpenproletariat" als den "Abhub der verkommensten Subjekte aller Klassen" charakterisiert.
Elsässer führt dazu aus: "Allein in der Bundesrepublik dürften es einige hunderttausend Leute sein, die eine universitäre Ausbildung durchlaufen … haben, danach aber keine feste Beschäftigung fanden. Also haben sie sich eine Auskommen in den Ritzen des Sozialstaats und Kulturestablishments gesucht, sie vermarkten sich als Künstler, Journalisten, Werbeagenten und ähnliches. Diese prekarisierten und scheinselbständigen Jobs jenseits der klassischen Lohnarbeit, ein Spezifikum der postfordistischen Produktionsweise, machen abhängig von den Auftraggebern … also heißt die Parole: Ja nicht negativ auffallen. Sowohl FDP als auch die Grünen sind Parteien des Mittelstandes. Doch während die FDP die Partei der Zahnärzte und Rechtsanwälte ist, also der erfolgreichen Studenten ohne Bummelsemester im AStA oder einer Frauengruppe, reüssierten bei den Grünen die akademischen Zuspätkommer."
Engagement über das Studium hinaus führt also laut Elsässer zum pseudolinken Opportunismus und karriereorientiertes Studium in die FDP. Wenn das zuträfe, wären alle Intellektuellen für die Linke verloren. Da es aber doch Beispiele dafür gibt, dass engagierte Menschen trotz oder gerade wegen gebrochener Erwerbsbiografien bei der Stange bleiben oder andererseits ehemalige Linke nach dem Studium klassische Berufskarrieren einschlagen, ist Elsässers Analyse der sozialen Ursachen für die grüne Wende nicht wirklich überzeugend. Sie trifft allenfalls auf einzelne grüne Biografien zu. Es ist wohl viel mehr so, dass die meisten grünen Mitglieder und WählerInnen heute durchaus zum etablierten Mittelstand gehören und diese "Verbürgerlichung" der Basis auch zunehmend die Politik der Partei prägt.
Auch die biografischen Hintergründe werden nicht wirklich empirisch belegt, sondern nur an Einzelbiografien — besonders der von Joseph Fischer — dargestellt. Dabei glaubt Elsässer eine "heimliche Identifikation mit den Vätern" festgestellt zu haben. Diese führe dazu, die Schuld der Deutschen auf die Opfer der Deutschen zu projizieren. Diese Feststellung ist sicher richtig. Diese Projektion ist allerdings eine Konstante deutscher bürgerlicher Politik, die die Grünen nicht erfunden, aber übernommen haben.Ansonsten lässt sich Elsässer ausführlich darüber aus, dass deutsche Politik stärker als die anderer Länder von völkischem Denken geprägt sei, was sich auch auf die deutsche Linke ausgewirkt und mit zum Wandel der Grünen beigetragen habe. Auch an dieser Kritik ist viel Richtiges. Allerdings macht Elsässer dann einen Fehler, den viele antinationale/"antideutsche" Linke machen: Er sucht das antivölkische Ideal in einem existierenden Staat. Während einige "Antideutsche" heutzutage die bedingungslose Solidarität mit den USA und Israel fordern, sieht Elsässer sein Ideal in Frankreich verwirklicht. Den USA wirft er vor, dass sie ihre Nation auf der Sklaverei der Schwarzen und der Vertreibung, Marginalisierung und teilweisen Vernichtung der Indianer begründet hätten. In Frankreich sei dagegen das Ideal des Staatsbürgers ohne Ansehen der ethnischen Zugehörigkeit verwirklicht. Elsässer entgeht dabei, dass Frankreich den Rassismus durch den Kolonialismus lediglich geografisch aus dem Mutterland ausgelagert hat.
Empfohlen sei das Buch allen, die sich noch nicht genug über die Grünen geärgert haben. Des Weiteren sollten alle das Buch lesen, die an einer guten linken Kritik der deutschen Jugoslawienpolitik in den 90er Jahren interessiert sind. Schließlich werden jene auf ihre Kosten kommen, die ein Faible für scharfe politische Polemiken haben.

Andreas Bodden

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