SoZ Sozialistische Zeitung |
"Die Sonne quält sich hinter dem Märtyrerdenkmal hervor. Sie würde gerne mit den Winden flirten, doch sie fürchtet, man könnte sie für eine
Wildente halten. Der Himmel überzieht mit seinem Blues die zitternde Bucht. Algier ist reglos vor Kummer, erstarrt wie ein Clochard, der seinen Rausch ausschläft. In sich
gesunken, müht sich die Stadt, ihre nervösen Zuckungen zu unterdrücken, um nicht plötzlich zu explodieren."
Es ist der Jammer des Kommissars Llob über den Zustand Algeriens und seiner Menschen: Die Einschüchterung
des fundamentalistischen Terrors und die nicht minder gewaltsamen Aktionen des Militärs und der Geheimdienste pressen die Bevölkerung in ein Korsett aus Angst und Schweigen.
Auch Kommissar Llob hat Angst, hat seine Familie aus der Hauptstadt weggebracht, um sie vor Anschlägen zu schützen. Aber er schweigt nicht. Auf der Suche nach dem
Mörder des ehemaligen Diplomaten Ben Ouda legt er sich mit seinem Chef, mit den Altreichen des nachkolonialen Regimes, den Neureichen und nicht zuletzt mit den
"Bärtigen" an.
Wer Mörder war, ist oder werden wird, ist letztendlich nicht so entscheidend. Die Untersuchung des Falls ist nur
vordergründig eine kriminologische. Tatsächlich begleiten wir den Kommissar bei einer Gesellschaftsanalyse, die in den Wahnsinn treibende Zustände offenbart. Eine
Bevölkerung, betrogen in den Hoffnungen auf einen algerischen Sozialismus, auf eine islamische Renaissance, wird mit einem alltäglichen Terror konfrontiert, hinter dessen
Blutwand die wirklich Mächtigen des Landes sich die letzten Reichtümer des Landes aneignen. Und gegen die wirken die kleinen "Bärtigen" wie Kasperlefiguren
in einem Spiel, das sie weder verstehen noch kontrollieren können. Trotz aller Angst vor ihnen, werden sie von Llob gnadenlos bloßgestellt: Ist der Bart erst einmal ab, sind sie auch
nichts anderes als Mittzwanziger mit ein wenig zu viel Speck auf den Hüften, um sich in der Disko noch geschmeidig bewegen zu können.
Der in der Metro-Reihe des Unionsverlags erschienene Krimi Doppelweiss ist der zweite Band der Trilogie um Kommissar
Llob. Geschrieben wurden die Bücher unter dem Pseudonym Yasmina Khadra, dem Namen der Ehefrau von Mohammed Moulessehoul, einem hohen Offizier der algerischen Armee.
Er weiß, wovon er spricht, und seine knappe Sprache wird seiner Tragödie und der seines Landes gerecht. Anders
als etwa die Bestseller Gorki Park oder Nacht in Havanna von Martin Cruz Smith, die sich mit den heraufziehenden Umbrüchen der sowjetischen und der kubanischen Gesellschaft im
Thrillerformat befassen, kommt hier der Blick von innen, die Kenntnisse sind authentisch. Khadras Bilder von dem verzweifelten Bemühen nach friedfertiger Alltäglichkeit
müssen erst erlebt werden, um aufgeschrieben werden zu können. Und anders als bei Martin Cruz Smith braucht es hier keine "bösen Kräfte" von
Außen, um die Tragödie am Leben zu halten. Empfehlung: Yasmina Khadra dringend lesen.
Udo Bonn
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