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Erinnern Sie sich noch? So lange ist es nicht her, dass überall von einem neuen Zeitalter geredet wurde, das nach den finsteren Jahren konservativer
Dominanz endlich angebrochen schien. Massimo DAlema, Viktor Klima, Poul Nyrup Rasmussen, António Guterres strahlten mit Tony Blair, Lionel Jospin, Gerhard
Schröder um die Wette; die linke Mitte war an der Macht, die Sozialdemokratie hatte Europa erobert. Vor drei Jahren noch waren sozialdemokratische Parteien an den Regierungen
von 13 der 15 EU-Staaten beteiligt.
Doch die Euphorie hat sich mittlerweile gelegt, in allen Wahlen seither (in Österreich, Italien, Dänemark und
Mitte März auch in Portugal) siegte die Rechte; die linke Mitte regiert nur noch in sieben Ländern. Und es könnte noch schlimmer kommen Mitte Mai etwa in
den Niederlanden, wo der Rechtspopulist Pim Fortuyn antritt; im April und im Juni in Frankreich, wo Jospins Koalition nicht viel mehr vorzuweisen hat, als die mit erheblichen
Zugeständnissen verbundene Einführung der 35-Stunden-Woche; im September auch in Deutschland.
Gut möglich also, dass zum Jahresende Sozialdemokraten nur noch in Schweden, Finnland, Griechenland amtieren
und in Großbritannien, wo aber mit New Labour eher der konservative Mittelstand die Regierungsgeschäfte führt. Dass das "sozialdemokratische
Jahrzehnt" gerade mal fünf Jahre währte, haben sich die meisten sozialdemokratischen Parteien selbst zuzuschreiben.
Mit der Südostasienkrise 1997/98 war die Erkenntnis gewachsen, dass wirtschaftliche Entwicklung kontrolliert,
reguliert, gesteuert werden muss, wenn sie auch sozial und ökologisch ausfallen soll. Gleichzeitig verlor der Neoliberalismus an Überzeugungskraft. So gewann das Konzept
eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus fast überall in Europa breite Zustimmung, auch mangels einer linken Alternative.
Die sozialdemokratischen Regierungen versprachen eine Stabilisierung der durch den Neoliberalismus fragmentierten
Gesellschaften und eine Wirtschaftspolitik, die nicht mehr nur den Marktkräften folgt. Heraus kamen aber keine "faireren" Gemeinschaften, sondern ein Umbau des
Wohlfahrtsstaats in einen Wettbewerbsstaat. Fast überall setzte die Sozialdemokratie die Deregulierungs- und Privatisierungsstrategien der Konservativen fort und kümmerte
sich wie etwa die italienische Demokratische Linke nur noch um die Anpassung der Volkswirtschaft an die Maastricht-Kriterien der EU.
In Italien, aber nicht nur dort, hat die politische Selbstentmachtung der Sozialdemokratie ein Vakuum entstehen lassen,
das nun sehr eindrucksvoll vom Gewerkschaftsbund CGIL gefüllt wird. Spätestens seit den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua kooperieren die italienischen
Gewerkschafter eng mit linken Globalisierungskritikern. Wohin eine solche Zusammenarbeit führen kann, haben die Massenkundgebungen und der erste Generalstreik seit 20 Jahren
gegen Berlusconis neues Arbeitsgesetz gezeigt.
Auch anderswo kommt der Widerstand gegen konservativ-sozialdemokratische Regierungsvorhaben nicht aus
parlamentarischen Reihen. In Deutschland zeigen sich auf Druck von unten ausgerechnet im Wahljahr erste Risse im Bündnis von Gewerkschaftsführungen und SPD, und
auch in Großbritannien laufen Blair gleich scharenweise die Bataillone davon, auf die sich Labour vor kurzem noch hundertprozentig hat verlassen können.
Dort haben inzwischen mehrere Gewerkschaften, zuletzt im März die der Beschäftigten in der
Telekommunikation, ihre Finanzbeiträge an die Partei, die einst von den Gewerkschaften gegründet worden war, ganz gestrichen oder erheblich gekürzt. Wichtiger
noch: Seit Tony Blairs Wiederwahl 2001 haben sich die Gewerkschaftsmitglieder die in Großbritannien direkt den Vorstand wählen für linke
Regierungskritiker entschieden und den von der Parteiführung favorisierten Blairisten eine Abfuhr erteilt. Mit Bob Crow (Transport) und Mark Serwotka (öffentlicher Dienst)
wurden ausgesprochene Sozialisten an die Gewerkschaftsspitze gewählt.
Die vielen Streiks der Bahnbeschäftigten, der Mitte April beschlossene Ausstand der städtischen
Beschäftigten (ihr erster seit 20 Jahren), die angekündigte Arbeitsniederlegung der Werftarbeiter gegen die Privatisierung der Kriegshäfen, die Protestmärsche
von Polizisten gegen eine weitere Ausgliederung ihrer Tätigkeit, der Kampf der LehrerInnen für die 35-Stunden-Woche lassen ahnen, welche Auseinandersetzungen Blair
noch bevorstehen.
Dass ausgerechnet die oftmals sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaften im Mittelpunkt der neuen
außerparlamentarischen Opposition stehen, ist kein Zufall. Parteien können das haben Blair und die deutschen Grünen vorgeführt durch
politische Schwenks ihre Mitglieder- und Anhängerschaft auswechseln. Gewerkschaftsführungen können das nicht. Ihre Basis setzt sich aus Lohnabhängigen
zusammen, deren Interessen auf Dauer nicht ignoriert werden können. Das macht die Stärke der Gewerkschaften aus.
Andererseits orientieren sie sich meist am kapitalistischen Wirtschaftsmodell, kämpfen für bessere
Bedingungen im Rahmen des bestehenden Verwertungs- und Lohnsystems (statt für dessen Abschaffung) und übernehmen daher oft die Logik der Wettbewerbs- und Standort-
Strategen. Das ist ihre Schwäche.
Gleichwohl blicken immer mehr Gewerkschafter über den Tellerrand ihrer eigenen Abhängigkeit hinaus. So
hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Schröder "großen Ärger" versprochen, sollte die Arbeitslosenhilfe weiter abgesenkt werden, die IG Metall
kooperiert mit Attac, britische Gewerkschaften schliessen Bündnisse mit der bunten Koalition der Globalisierungskritiker, und auch in Italien ist der Widerstand gegen Berlusconi
mit dem erfolgreichen Generalstreik nicht zu Ende. Die Gewerkschaften, die lange Zeit nur sozialdemokratische Hilfstruppen stellten, werden so langsam wieder zur Gegenmacht.