SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 14

Frankreich: Rechtsruck in der Vertretung der jüdischen Gemeinde

Universalismus statt Kommunitarismus

Als dies israelische Armee an Ostern ihre Offensive gegen Bethlehem und Ramallah begann, kam es in Frankreich zu antisemitischen Anschläge: in Marseille wurde eine Synagoge in Brand gesetzt, in Lyon Autos als Rammböcke gegen eine Synagoge benutzt, Mollis flogen auf Gebetshäuser, jüdische Fußballspieler wurden mit Eisenstangen verprügelt; die Polizei vermeldete täglich zehn bis zwölf Angriffe auf jüdische Institutionen.
Am 7.April reagierte der Repräsentative Rat der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF) mit einer Demonstration von 50000 Menschen (nach Angaben der Polizei) in Paris gegen den Antisemitismus und für die Unterstützung Israels. Am Rande der Demonstration griff eine kleine Gruppe "arabisch aussehende" Passanten mit Baseballschlägern und Tränengas an; ein Polizist, der versucht hatte einzugreifen, wurde dabei schwer verletzt.
Dem Aufruf des CRIF war ein Vorspiel vorausgegangen. Der Vorsitzende des CRIF, der im Mai 2001 gewählte Roger Crukierman, hatte den Beschluss dazu in Absprache mit anderen jüdischen Einrichtungen wie dem Konsistorialrat und der Vereinigung der Söhne und Töchter von deportierten Juden in Frankreich sowie einigen Organisationen getroffen, die der äußersten israelischen Rechten nahestehen (wie die Föderation der zionistischen Organisationen in Frankreich und die Vereinigung für das Wohl der israelischen Soldaten) — aber ohne Rücksprache mit dem Sekretariat des CRIF. Ein entsprechendes Kommuniqué sprach von einer zu organisierenden Demonstration "zur Unterstützung des Staates Israel und der jüdischen Gemeinde in Frankreich".
Die Mitglieder des Sekretariats des CRIF erhielten den Text erst einen Tag nach Bekanntgabe des Kommuniqués und hatten erst auf der zwei Tage später stattfindenden Vorstandssitzung Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Eine starke Minderheit kritisierte dort inhaltlich wie formal den Alleingang des Vorsitzenden und forderte, die Demonstration müsse sich auf den Protest gegen den Antisemitismus und gegen die Anschläge auf jüdische Einrichtungen konzentrieren. Sie beriefen sich dabei auf die große Demonstration, die am 14.Mai 1990 in Paris 200000 in Reaktion auf die Schändung eines jüdischen Friedhofs in Carpentras versammelt hatte; diese Demonstration hatte die Unteilbarkeit der republikanisch-demokratischen Werte betont.
Der Aufruf wurde schließlich abgeschwächt in die Richtung, man wolle Solidarität "mit dem Volk Israel für Frieden und Sicherheit" bekunden. Der Vorsitzende Cukierman bleibt aber dabei, man könne sich "nicht öffentlich über antijüdische Akte in Frankreich äußern, ohne auf die Lage im Nahen Osten und den Terrorismus gegen Israel einzugehen". "Wir erleben täglich propalästinensische Demonstrationen. Es ist normal, dass die jüdische Gemeinde dann auch demonstriert."
Seine Kritiker halten ihm entgegen, er leiste damit einem neuen Kommunitarismus Vorschub. Die jüdische Gemeinde dürfe sich nicht isolieren, sondern müsse einen republikanischen Konsens um sich schaffen. Olivier Guland, Chefredakteur der Zweimonatszeitschrift Tribune Juive, schreibt: "Wir stehen vor einem neuen Phänomen: ein Teil des französischen Judentums ist laut genug, um den Eindruck zu erwecken, die jüdische Gemeinde [sie zählt 500000—600000 Mitglieder] habe sich in eine Sekte verwandelt. Wenn Juden bislang auf die Straße gegangen sind, dann haben sie das nicht nur für sich selbst getan, sondern auch für die Verteidigung der demokratischen und moralischen Werte, die untrennbar mit ihren eigenen Werten verbunden sind. Angesichts der derzeitigen Welle von Kritik gegen Israel, die für Juden sehr schwer auszuhalten ist, ergreifen die extremistischen Ränder ihrer organisierten Gemeinde das Wort. Die große Mehrheit der Juden in Frankreich erkennt sich darin nicht wieder, aber sie wagt nicht sich zu äußern, aus Angst, den Gegnern Israels den geringsten Vorschub zu leisten."
Für den Vorsitzenden der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA), Patrick Gaubert, ist es "inakzeptabel, dass ein Konflikt, der sich Tausende von Kilometern von hier abspielt, nach Frankreich übertragen wird". Ähnlich äußerte sich die Vertreterin der Palästinensischen Autonomiebehörde in Frankreich, Leila Shahid; damit werde der palästinensischen Sache schwerer Schaden zugefügt.
Die Liga für Menschenrechte beklagt, der Vorsitzende des CRIF "instrumentalisiert den Kampf gegen den Antisemitismus zugunsten einer der beiden Konfliktparteien, wenn er die Organisationen, die er vertritt, mit der Politik der israelischen Regierung in eins setzt; er verwandelt einen universellen Kampf in einen kommunitaristischen Ansatz".
Die jüdische Friedensbewegung Peace Now und der Zirkel linker jüdischer Intellektueller "Bernard Lazare" riefen zum selben Tag (7.4.) in Absetzung von der Demonstration des CRIF, die sie als Unterstützung der Regierung Sharon interpretierte, zu einer eigenen Demonstration auf. Sie protestierten gleichfalls gegen den Antisemitismus, forderten aber "zwei Staaten für den Frieden". Diesem Aufruf hat sich auch die französische Liga für Menschenrechte angeschlossen.
In diesem Rahmen kreiste auch eine öffentliche Stellungnahme einer Reihe jüdischer Intellektueller, darunter Pierre Khalfa von Attac, Suzanne de Brunhoff, Gisèle Halimi, Pierre Vidal-Naquet, Catherine Samary und Daniel Bensaïd, gegen die Position des CRIF. Sie trägt die Überschrift: "Israel unterstützen? Nicht in unserem Namen" — in Anlehnung an ähnlich lautende Stellungnahme von Eltern, die bei den Terroranschlägen vom 11.September ihre Kinder verloren hatten und von der Bush-Regierung nicht für Patriotismus vereinnahmt werden wollten. Sie wirft den Sprechern der israelischen Gemeinde vor, "das kollektive Gedächtnis des Judenmords widerrechtlich für sich zu beschlagnahmen" und in Sharon einen Politiker zu unterstützen, der dabei ist, dem palästinensischen Volk einen neuen Exodus vorzubereiten. Sie fordert die Umsetzung der UN-Resolutionen.
Eine gemeinsame Initiative "wider den Kommunitarismus" haben die arabisch geführte antirassistischen Organisation SOS Racisme und die französische Union der jüdischen Studenten ergriffen. Ihr haben sich auch Vertreter der muslimischen Gemeinde angeschlossen.
Der Vertretung der jüdischen Gemeinde aber droht ein Rechtsruck: Die Vereinigung für das Wohl der israelischen Soldaten und die Föderation der zionstischen Organisationen haben ihren Beitritt zum CRIF angekündigt.
Angela Klein


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