SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 20

Garry Disher, Gier

München (Knaur) 2000, 252 Seiten, 8,90 Euro

Polizisten erscheinen nur einmal in Garry Dishers Kriminalroman Gier, und sie sind nur ein kleines der vielen sich anhäufenden Probleme für Wyatt. Wyatt ist Berufsverbrecher und in der Art seiner Berufsausübung ein Anachronismus. Er ist Handwerker, der mit minimalem Risikoaufwand für sich und seine Opfer seine persönliche Bereicherung betreiben will und dabei angewiesen ist auf ordentliche Jobs und die Fachkompetenz seiner Kumpane.
In seiner rigiden Trennung von Arbeits- und Ruhephase — lange Strandreisen nach Asien und Städtereisen nach Europa —, sowie planmäßiger Altersvorsorge scheint seine Lebenshaltung typischer für einen europäischen Facharbeiter als für einen australischen Gangster zu sein. Aber was wissen wir schon von Gangstern in Australien? Landestypische Klischees werden hier nicht bedient, und wenn etwas anders ist als bei US- amerikanischen Romanen des gleichen Genres, dann dass hier Verbrecher auch mal mit der Eisenbahn zur Arbeit fahren.
Die Probleme des handwerklich orientierten Kriminellen im ausgehenden 20.Jahrhundert scheinen allerdings überall gleich: Zur Expansion fehlt das Kapital und die zu seiner Beschaffung nötige Brutalität. Die geringen Rücklagen zwingen zur Übernahme von risikoreichen Aufträgen und die Seriosität der Kollegen nimmt drastisch ab.
Damit beginnt Wyatts Dilemma: Ein Einbruch wird zum Desaster, weil ihm der Psychopath Sugarfoot als Auszubildender an die Seite genötigt wird. Der begibt sich unmittelbar in einen Verdrängungswettbewerb mit Wyatt — in der Meinung, mangelnde fachliche Fähigkeit durch Gewalt ersetzen zu können. Vollkommen unkalkulierbar wird das Geschehen in dem Moment, in dem das globalisierte Verbrechen in Form der Mafia auf den Plan tritt. Hier spielen Handwerkerehre oder Rassismus wie bei Sugarfoot keine Rolle. Was gilt, ist die größte Effizienz beim Geschäft, und die Mittel seiner Durchsetzung sind so unkalkulierbar wie beliebig.
Auf einmal wimmelt es von Toten, aber es ist nicht klar, warum sie ermordet wurden. In seinem Versuch, die Ereignisse zu verstehen und damit kontrollierbar zu machen, wird Wyatt aber erst in dem Moment aus der Bahn geworfen, wo sich das klassische Kleinbürgertum als verbrechenswillig und emotional beherrschter erweist.
Gerade von diesem Punkt her kann man Gier als realistischen Nachtrag auf letztendlich romantische Filme wie Heat oder Oceans Eleven betrachten. Die "guten Kriminellen", die einseitigen Robin Hoods, die denen oben nehmen, um sich selber ein gutes Leben zu organisieren ohne ihr Milieu oder ihre Klasse zu verraten, sie werden verdrängt und sterben aus.
Udo Bonn


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