SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 5

Colonia Corrupta

Werner Rügemer über den Kölner Spendenskandal, die Praxis kommunaler Korruption und deren Bekämpfung

Der Kölner Publizist Werner Rügemer hat bereits 1995 auf die Korruption beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage hingewiesen. Sein soeben im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienenes Buch Colonia Corrupta. Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels (157 Seiten, 15,30 Euro) deckt auf, inwiefern der "Kölner Klüngel" eine folkloristische Verharmlosung für die systemische Korruption in Deutschlands Kommunen ist. Für die SoZ sprach Christoph Jünke mit ihm.

Was ist an dem Kölner Korruptions- und Spendenskandal spezifisch kölsch, also lokal, und was weist darüber hinaus?
Das typisch Kölsche gibt es dabei nicht. Der Skandal soll in das beliebte Bild des kölschen Klüngels hinein gepresst werden. Doch spezifisch ist an sich nur die Tatsache, dass dieser Fall in Köln aufgeflogen ist. Er hätte aber auch in vielen anderen Städten genauso auffliegen können. Bekanntlich ermittelt ja das Bundeskriminalamt seit über zwei Jahren in 14 deutschen Städten wegen vergleichbarer Unregelmäßigkeiten beim Bau von Müllverbrennungsanlagen — Fürstenfeldbruck, Ulm, Böblingen, Hamburg usw.

Du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit den verschiedenen Formen der Korruption. Ist dieser Skandal etwas neues für dich oder haben wir es hierbei nur mit dem Öffentlichwerden von etwas im Prinzip Bekannten zu tun?
Bei jedem Korruptionsskandal, der genauer durchleuchtet wurde, werden neue Einzelheiten bekannt, auch hier. Grundsätzlich gilt aber, dass der kommunale Bau großer Anlagen wie der Müllverbrennungsanlagen mittels Korruption seit 15 Jahren bekannt ist. Bereits 1986 wurde in Hamm der Wirtschaftsdezernent zu Gefängnis verurteilt, weil er über eine Million Schmiergeld von Babcock bekommen hat — für den Bau der Müllverbrennungsanlage in Hamm.
Babcock ist einer der vier großen Anlagenbauer, der auch in Köln und anderswo beteiligt ist. Damals sagte der Babcock-Vertreter: Wenn es in den Kommunen Widerstände gibt, dann zahlen wir an die entscheidenden Leute einfach Provisionen. Und dieser verurteilte Wirtschaftsdezernent hat bereits damals, 1986, vor Gericht ausgesagt, dass er einen Teil des Geldes an die beiden größten Fraktionen CDU und SPD weitergegeben hat. Dem ist weder das Gericht nachgegangen noch die Medien. Aber alle, die etwas wissen wollten, konnten dies seit damals.

Die Form der Korruption hat sich also geändert?
Ja. Das gegenwärtige Skandalon der Korruptionsdebatte ist ja ein viel zu enges Verständnis von Korruption. Es wird reduziert auf das, was strafrechtlich als Vorteilsnahme usw. definiert ist, also auf die gleichsam frühkapitalistische Vorstellung, dass ein Unternehmer einem Politiker, einem Beamten eine bare Summe übergibt oder überweist und dieser infolgedessen einen Auftrag bekommt. Diese Form der strafrechtlich definierten Korruption ist allerdings von der Wirklichkeit weitestgehend überholt.
Die moderne Form der Korruption, sichtbar jetzt auch an den Akteuren der Müllverbrennungsanlagen, umfasst ein sehr viel breiteres Spektrum an Vorteilsgaben durch die Unternehmer. Wir haben im Falle Trienekens/RWE die Tatsache, dass Ratsmitglieder und Landtagsabgeordnete beider großer Parteien zur selben Zeit einen gut dotierten Job bei Trienekens/ RWE haben. Das Ratsmitglied Egbert Bischoff in Köln war und ist gleichzeitig Niederlassungsleiter von Trienekens Köln. Oder der SPD-Landtagsabgeordnete, der Vorsitzender des Ortsvereins Köln-Kalk ist, ist gleichzeitig vollbezahlter, beamteter Sprecher der Kölner Müllverbrennungsanlage.
Neben der Vergabe gut dotierter Geschäftsführerposten gibt es die gut dotierten Beraterverträge, bspw. im Falle des ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Karl Wienand, der seit seinem Ausscheiden aus dem Bundestag einen Beratervertrag mit Trienekens hat, über den er viele Millionen bekommen hat. Oder im Falle des ehemaligen CDU-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, Herrn Worms, der ebenfalls bis heute einen solchen Beratervertrag mit Trienekens/RWE hat und in der Niederlassung Neuss ein kostenloses Büro zur Verfügung gestellt bekommen hat. Schließlich hat man noch Vorteilsgaben "minderen" Volumens, die aber dennoch zu einer Abhängigkeit von Politikern führen. Bspw. der CDU-Faktionsvorsitzende in Köln, Rolf Bietmann, der regelmäßig als Anwalt im Auftrage von Trienekens/RWE arbeitet. Der FDP-Fraktionschef im Kölner Rat, Ralf Sterck, hat ein Transportunternehmen, den "Kölner Flitzer", das auch Aufträge für Trienekens abwickelt.
Ich nenne das die Formen der legalisierten Korruption, die strafrechtlich nicht inkriminiert sind, die aber eine langfristige Abhängigkeit von Politikern und Beamten zur Folge haben, wodurch der politische Gemeinschaftswille einer Stadt gebrochen wird. Das hat es früher nicht gegeben. Diese langfristige Netzwerkbildung weg von der Einzelbestechung, hin zu einer langfristigen Abhängigkeit von Spitzenpolitikern und Beamten ist eine Erscheinung, die meiner Beobachtung nach aus den 80er Jahren stammt. Eine Neuheit der 90er Jahre ist dagegen, dass die Unternehmen nicht mehr nur an eine Partei, sondern an beide große Parteien und ebenfalls langfristig angelegt spenden. Die Unternehmen stellen sich darauf ein, dass es auch mal einen Wechsel der politischen Mehrheiten geben kann, indem sie auch an jene Partei spenden, die noch nicht an der Regierung ist.

Die 80er Jahre sind die Jahre des neoliberalen Durchmarsches eines Kapitalismus der Privatisierung und Deregulierung. Gibt‘s hier einen Zusammenhang?
Dass dieser Zusammenhang besteht, kann man zumindest von der Parteienseite aus sagen. Seit Adenauers Zeiten war die CDU — oder früher das Zentrum — als christliche Partei der gleichsam natürliche Partner für den deutschen Unternehmer. Das war auch in den 50er und 60er Jahren noch weitestgehend so. Aber seit die SPD die staatsragende Rolle übernahm, auch innerhalb der Kommunen, und seit auch die ideologischen Bindungen im Unternehmerlager sich gelockert haben, also mindestens seit den 80er Jahren, gehört die SPD zu den ganz routinemäßigen Spendenempfängern. Neuerdings bekommen auch die Grünen, wenn sie wichtig werden, etwas. Wir haben mittlerweile zwei grüne Mandatsträger, die bei Trienekens angestellt sind. Nicht in Köln, aber bspw. in Wachtendonk auf dem Lande, wo der grüne Fraktionschef Abteilungsleiter bei Trienekens geworden ist.

Seit den 80er Jahren gibt es auch regelmäßige Wellen von zumindest publizistischer Korruptionsbekämpfung. Wie wirkt sich diese öffentlich geführte Diskussion aus?
In der Kommune — und ich beschränke mich hier ganz auf die Kommunen — gibt es ein spezifisches Charakteristikum: Die lokalen Medien sind kaum vergleichbar mit den kritischen überregionalen wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung u.a., die gelegentlich Korruptionsfälle von bundesdeutscher Bedeutung aufdecken. Solche Medien gibt es auf lokaler Ebene nicht. Es gibt zwar auch hier kritische Minimedien — in Köln bspw. Stadtrevue, früher Kölner Woche oder heute die Taz-Ausgabe Köln —, aber für die öffentliche Wahrnehmung sind die nicht vorhanden. Die etablierten regionalen Medien sind dagegen Akteure, Mitspieler im lokalen Korruptionsspiel. WAZ, Rheinische Post oder Kölner Stadtanzeiger und Kölner Express sind lokal verankerte Medien- und Wirtschaftsunternehmen, die oft ganz eng mit den jeweiligen Handelskammern und Unternehmerverbänden verbunden sind. Die heutigen Zeitungshäuser sind ja gleichzeitig multimediale Unternehmer. Beispiel Köln: Hier ist das Verlagshaus Dumont-Schaumberg ja nicht nur ein Verlagshaus mit drei Tageszeitungen, sondern auch Betreiber des Lokalradios. Sie beherrschen den Markt der Gratiszeitungen, sind am Regionalfernsehen beteiligt und haben außerdem Buchverlage und elektronische Medien.
Wellenweise kommt es zwar immer wieder zu intensiven Darstellungen von Korruption, zur Zeit bspw. täglich in Köln, aber diese Fälle werden nur selten bundesweit bekannt. Da die Korruption in den Kommunen tief verankert ist und breit praktiziert wird, möchte man nicht sehen, dass es sich um eine systemische Erscheinung handelt, und zieht sich auf lokale Klischees zurück, die sich medial festsetzen.
Ich selbst bin sehr oft in den neuen Bundesländern, bei Bürgerinitiativen und auf Recherche. Dort wurden mehrere Bürgermeister wegen Korruption zu langjährigen Gefängnisstrafen verhaftet. In einem Falle wurde gegen den nachhaltigen Widerstand der CDU-Mehrheit ein CDU-Bürgermeister in einem Bürgerbegehren abgewählt — ein sensationelles Verfahren. Darüber wird überregional in Deutschland nie etwas bekannt.

Aber es gibt doch immer mehr öffentlich gemachte Korruptionsfälle. Warum ist es so schwer, sie zu generalisieren?
Trotz all dem, was herauskommt, ist die Datenbasis für das, was wirklich passiert, denkbar gering. Es gibt in Deutschland nur drei Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich gezielt und mit erworbener Sachkenntnis nachhaltig mit Korruption beschäftigen — Frankfurt, München und Wuppertal. Die älteste, die in Frankfurt, gibt es seit 15 Jahren, die Münchner existiert seit zehn Jahren, Wuppertal seit etwa sieben Jahren. Diese Datenbasis wird noch dadurch eingeschränkt, dass nur ein Staatsanwalt in ganz Deutschland, der Schaubensteiner in Frankfurt, eine Auswertung für die Öffentlichkeit vornimmt. Nur er schreibt Fachartikel und stellt die Details dar.
Hinzu kommt das, was man aus den Zeitungen erfährt, was nicht immer verlässlich ist, und das, was ich von Bürgerinitiativen bekomme. Die schicken mir ihre Strafanzeigen, weil die staatsanwaltlich gar nicht beachtet oder verfolgt werden. Die meisten auch meiner Erkenntnisse gehen ja auf jahrelange Recherche dieser Bürgergruppen zurück. Das ist kein Ergebnis tollen investigativen Journalismus.

Viele reagieren recht zynisch auf die Korruptionsbefunde: Weil solcherart Bestechung zum Allgemeingut des herrschenden Kapitalismus gehöre, bräuchte man sich auch nicht weiter darum zu kümmern oder aktiv werden. Was kann man also gegen solche Strukturen tun und vor allem warum?
Das warum ist glaube ich ganz wichtig, weil der Öffentlichkeit nicht ganz klar zu sein scheint, wo eigentlich die Schäden der Korruption liegen. Auch in den öffentlichen Medien wird ja das Skandalon darauf gelegt, dass sich Beamte oder Politiker etwas in die eigene Tasche wirtschaften. Was aber überhaupt nicht richtig dargelegt wird — auch nicht im Fall der Kölner Müllverbrennungsanlage — ist die Frage, wo die Schäden für die Allgemeinheit liegen. Um wieviel ist diese Anlage überteuert gebaut worden? Der Endpreis ist ja niemals bekannt gegeben worden. Ich vermute, dass diese Anlage in Köln ungefähr 1,2 Milliarden DM gekostet, doch man hätte sie auch für 700 Millionen bauen können.
Ein Schaden liegt also darin, dass Gebäude, die korruptiv errichtet wurden, in der Regel überteuert gebaut wurden. Schaubensteiner hat aufgrund seiner Recherchen dargelegt, dass diese Überteuerungen zwischen 10 und 150% liegen. Das ist der eine Schaden.
Zum anderen: Es werden Anlagen errichtet, die möglicherweise überhaupt unnötig sind. Bspw. in den neuen Bundesländern, wo die Haushalte ganzer Kommunen auf Jahrzehnte hin dadurch ausgeplündert werden, dass Kanalsysteme und Klärwerke in völlig überdimensionierter Form gebaut worden sind, die jetzt abbezahlt werden müssen. Es gibt Kommunen, die mussten deswegen ihre Kindergärten und Jugendzentren schließen — nur damit sie ein Klärwerk bezahlen, das sie gar nicht brauchen, das nur zu 30% ausgelastet ist.
Auf diese zumeist nicht öffentlich erscheinenden Schäden muss man erst einmal hinweisen.

Was kann man über die erwähnte Form von Bürgeraktivität hinaus überhaupt tun, wie könnte man diese Arbeit effektivieren?
Es gibt eine Organisation, Transparency International, die sich seit ihrer Gründung 1993 weltweit ausgedehnt hat und über 80 nationale Sektionen besitzt, auch eine in Deutschland. Die sensibilisieren die Öffentlichkeit, setzen neue Gesetze durch, bspw. die mittlerweile auch in Deutschland umgesetzte Regelung, dass Schmiergelder nicht mehr automatisch als betriebsbedingte Ausgaben von der Steuer abgesetzt werden können. Das wurde jüngst geändert.
Auch die Tatsache, dass nun die Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe gestellt wurde. Wenn also, wie geschehen, Siemens den südkoreanischen Präsidenten mit 50 Millionen DM besticht, um sich den Auftrag für eine ICE-Strecke zu holen, dann galt das bis letztes Jahr nicht als Straftat.
Was lokal gefordert werden kann und müsste, ist, dass nach dem erfolgreichen Vorbild von Frankfurt, München und Wuppertal in allen Städten solche staatsanwaltlichen Schwerpunktabteilungen gebildet werden. Wenn man sich erfolgreich mit Korruption befassen will, braucht man ein gewisses Maß an Knowhow, denn die Beteiligten haben eine ziemliche Fantasie entwickelt, bspw. im Falle der ganzen Umwegsfinanzierungen, der Vorratshaltung von Schmiergeldern in Briefkastenfirmen in der Schweiz. Da kann sich nicht jeder Staatsanwalt einfach dransetzen und ermitteln.

Die einzelnen Kapitalisten sind eben traditionell lernfähiger als ihre Opfer.
Das ist bisher so. Das Strafrecht hinkt der Fantasie der modernen Korruption sehr weit hinterher.

Ist das eine Quelle der Entmutigung für jemanden, der in diesem Milieu forscht?
Mein Anliegen ist nicht, ein großer Korruptionsspezialist zu sein. Mir geht es um die empirisch genaue Beschreibung, wie Wirtschaft heute betrieben wird. Wie sieht eigentlich die heutige globalisierte Wirtschaft aus? Wie sieht ihre enge Verflechtung mit Staat und Politik aus? Es ist ja gerade nicht so, wie die Privatisierungs- und Globalisierungsideologen sagen, dass sich die Wirtschaft vom Staat frei macht. Das ist überhaupt nicht der Fall. Natürlich macht sie sich von bestimmten Kontrollen und Gesetzen frei. Aber auf der anderen Seite gibt es einen solch großen, systemisch-langfristigen Kauf von Politik und Staat, wie nie zuvor. Das ist bisher noch eine Blackbox in der Analyse des Kapitalismus.


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