SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 15

‘Auch im Dreißigjährigen Krieg gab es einen Holocaust‘

Österreich

Tumulte um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" und heftige Auseinandersetzungen, wer am 8.Mai, dem Tag der Kapitulation Nazideutschlands, demonstrieren durfte, beschäftigten Österreich in den vergangenen Wochen. Die mediale Debatte machte deutlich, wie fest die Koalition aus Christlichsozialen (ÖVP) und der rechtsextremen FPÖ im Sattel sitzt, und wie weit der Rechtsruck bereits gediehen ist.
Begonnen hatten die Tumulte mit Protesten von alten und neuen Nazis gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941—1944", die seit 9.April in Wien zu sehen ist. Erstmals seit den 60er Jahren sollte auch eine Demonstration von Rechtsextremen stattfinden. Burschenschaften, österreichische und deutsche Neonazis hatten sich auf eine gemeinsame Demo geeinigt, mit der sie gegen die "Verunglimpfung der Kriegsgeneration" durch die Wehrmachtsausstellung protestieren wollten.
Bei Bekanntwerden der internationalen Mobilisierung fand sich rasch eine Plattform aus sozialdemokratischen Organisationen, Grünen, Gewerkschaftsjugend und der radikalen Linken, die eine antifaschistische Demo vorbereitete.
Die Polizei genehmigte schließlich nur eine Kundgebung der Rechtsextremisten und Neonazis am geschichtsträchtigen Wiener Heldenplatz, an dem schon Adolf Hitler 1938 den "Eintritt seiner Heimat in das deutsche Reich" vor Hunderttausenden jubelnder Menschen verkündet hatte.

Nazis auf der Straße

Die Nazi-Kundgebung war erbärmlich, gerade mal 100—120 Skins, Nazis und Burschenschafter aus Deutschland und Österreich fanden sich ein, um "die Helden der Wehrmacht" zu ehren. An der Gegendemonstration nahmen hingegen 6000 Menschen teil. Gegen Ende der Demo griff die Polizei mit Hunden, Tränengas und Wasserwerfer antifaschistische Demonstrierende an, die sich mit Stein- und Flaschenwürfen wehrten.
Der politische Skandal folgte auf den Fuß. Die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien verbissen sich in die Gewaltbereitschaft der linken Demonstrierenden. Dass sich die Nazis am Ende der Kundgebung ungehindert zu einer Minidemo formieren und mit "Sieg-Heil"-Rufen durch die Wiener Innenstadt ziehen konnten, nannte nur der Polizeikommandant einen "Fehler" der Polizei.
Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), der das Verbotsgesetz nicht zu kennen scheint, verwies darauf, dass die Polizei "unpolitisch" bleiben müsse. Dann machte er Grüne und sozialdemokratische Nationalratsabgeordnete, die sich unter den Demonstrierenden befanden, als Hauptfeinde der Demokratie aus.
Der Skandal ging aber noch weiter: Am Tag nach den Demonstrationen lud das österreichische Fernsehen zu einer TV-Diskussion. Der Historiker Hans Mommsen, Mitgestalter der Wehrmachtsausstellung, und der KZ-Überlebende Leon Zelman sahen sich einem verbohrten alten Nazi, der als "Zeitzeuge" angekündigt wurde, und dem FPÖ-Parteihistoriker Lothar Höbelt gegenüber. Höbelt verstieg sich u.a. in die Aussage, "auch im Dreißigjährigen Krieg hat es einen Holocaust gegeben".
Vor diesem Hintergrund — fast täglich erschienen Leserbriefe in den großen Zeitungen, und Politiker aller Couleurs meldeten sich zu Wort — mobilisierten deutschnationale Burschenschaften zu "Trauerkundgebungen" und einem Fackelzug am 8.Mai, ihrem "Tag der totalen Niederlage". Polizei und Medien taten das Ihre, um bereits im Vorfeld jede inhaltliche Debatte zu verunmöglichen, es ging nur mehr um die "Trennung der Rechts- und Linksradikalen, um Gewalt zu vermeiden".
Gesichert von einem Großaufgebot der Polizei "gedachten" etwa zehn Rechtsextremisten, darunter auch ein FPÖ-Parlamentsabgeordneter, der gerne angibt, "zur deutschen Nation" zu gehören, der Toten des Krieges in einer Militärkapelle, und vierhundert Alt- und Jungnazis zogen in einem Fackelmarsch durch die menschenleere Wiener Innenstadt.
Die Wiener Sozialdemokraten hatte zur gleichen Zeit zu einem "Straßenfest der Toleranz" aufgerufen, um nicht gemeinsam mit der radikalen Linken demonstrieren zu müssen. Die Grünen, Studentenvertretungen antifaschistische und linke Organisationen mobilisierten zu einer Demonstration. Insgesamt nahmen 10000 Menschen an den Protestaktionen gegen die Rechtsextremisten und Nazis teil.

Rechte im Parlament

Das Hin und Her um die Legalität, gegen Nazis zu demonstrieren, die schwachen Mobilisierungen der Nazis bei gleichzeitigen erfolgreichen Antifademos, an denen sich überwiegend junge Menschen beteiligten, bestätigten, dass die Hauptgefahr in Österreich derzeit nicht von militanten Neonazis ausgeht.
Ihre Anziehungskraft hat auch stark nachgelassen, unter anderem, weil es der Polizei in den 80er Jahren gelungen ist, den "harten Kern" um die VAPO zu zerschlagen und durch jahrelange Haftstrafen für die führenden Kameraden die Strukturen zu zerstören.
Die FPÖ konnte mit ihrem Eintritt in die Regierungskoalition und mit Jörg Haider in der Rolle des rechten Provokateurs, der gleichzeitig als Landeshauptmann eine tragende Rolle im politischen Leben Österreichs inne hat, die Aufmerksamkeit des rechten Lagers auf sich ziehen.
Haider stellt sich mittlerweile ganz offen als rechtsextreme Alternative zur Schau. Als er in einem Fernsehinterview zum Wahlerfolg "seines Vorbildes Le Pen" befragt wurde, korrigierte Haider, er selbst sei das Original und das Vorbild für andere.
Tatsächlich ist es ihm und seiner Partei gelungen, den Rechtsruck in Österreich voranzutreiben. Gleichzeitig neutralisierte er die ÖVP, indem die FPÖ stets mit dem Ausstieg aus der Koalition droht. Die ÖVP ist aber gewillt, die Legislaturperiode um jeden Preis zu beenden, was sie leicht erpressbar macht. So setzt die FPÖ Verschärfungen im Justizbereich und eine rabiate Law-and-Order-Politik durch, und ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel schweigt oder lässt durch die Generalsekretärin zaghafte Kritik anbringen.
Zuletzt beschloss FPÖ-Justizminister Böhmdorfer den reformfreudigen Jugendgerichtshof abzuschaffen, und in der 250000-Einwohner-Stadt Graz setzte die FPÖ trotz heftiger Proteste aller anderen Parteien und der Polizei eine private "Bürgerwehr" durch, die die "Drogendealer" überwachen soll. Mit einem "Integrationsvertrag", der ganz die Handschrift der FPÖ trägt, werden Abwehrmaßnahmen gegen Migrantinnen und Migranten umgesetzt.
Auch die Geschichtsrevision ist unter der Ägide der Rechtskoalition in vollem Gange, dazu dient auch die großzügige finanzielle Förderung von rechtsextremen Zeitschriften durch die Regierung. Und in Kärnten schränkt Landeshauptmann Haider die Minderheitenrechte der Slowenen drastisch ein.
Eine Universitätslektorin und Mitglied der Sozialistischen Alternative (SOAL) fasste diese Tendenz in ihrer Rede bei der Demonstration am 8.Mai zusammen: "Rechtsextreme Ideologien sind menschenverachtend, egal ob sie mit Glatzen und schwarzen Stiefeln, mit lächerlichen Käppis oder in Anzug und Krawatte auftreten."
Boris Jezek (Wien)


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