SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 15

Großbritannien

Stadtratswahlen in England

Am 2.Mai waren in England Stadtratswahlen, und die politische Situation ist dadurch wieder ein bisschen komplizierter geworden. Die faschistische British National Party (BNP) erzielte im ganzen drei Stadtratssitze im nordenglischen Burnley. Im ebenfalls nordenglischen Oldham kam die BNP in der Regel an zweiter Stelle hinter Labour, konnte jedoch keinen Stadtratssitz erringen. Das ist das beste Wahlergebnis, das eine faschistische Organisation jemals in England erzielt hat. Beide Städte erlangten internationale Berühmtheit durch die riots im letzten Sommer.
Jedoch wäre es zu oberflächlich, jetzt das Erstarken einer faschistischen Massenbewegung vorherzusagen. Die faschistische Bewegung in England ist sehr klein, zu Naziaufmärschen erscheinen nur bis zu zwanzig Aktivisten. In keiner Gegend Englands können faschistische Gruppen beanspruchen die Straßen zu kontrollieren. Eine faschistische Jugendsubkultur existiert nur ansatzweise, in der Regel innerhalb von lokalen Hooligangangs.
Wie lässt sich also dieser Wahlerfolg erklären? Teilweise liegt es sicherlich an der Verarmung immer größerer Teile der englischen Bevölkerung. Dafür ist vor allem die Sozialabbau- und Privatisierungspolitik der Labour-Regierung verantwortlich. Immer mehr Menschen sehen diese Politik als eine Fortsetzung der von der Thatcher-Regierung betriebenen Deindustrialisierungspolitik. Diese Politik bedeutet systematische Schließung von Betrieben und Massenentlassungen. Gleichzeitig werden Erwerbslosengehälter und Renten gekürzt, um nur einige zu nennen.
Der englische Norden ist von dieser Situation besonders hart getroffen. Hier war einst das Zentrum englischer Textilproduktion, davon ist nun nichts mehr zu sehen. Niedriglohnjobs im Servicesektor ersetzen vielerorts die alten Industriearbeitsplätze. In manchen Städten ist die Jugendarbeitslosigkeit auf über 30% gestiegen.
In dieser Situation sinkt das Vertrauen vieler Menschen in die etablierten Parteien. Labour wird längst nicht mehr als eine Arbeiterpartei, sondern als eine Partei der Bosse wahrgenommen. Dasselbe gilt sowieso für die englischen Konservativen. In dieser Situation wollte sich die BNP als Protestpartei profilieren.
In ihrem Wahlprogramm für Burnley versprach sie, sich um bessere Wohnungen und bessere Jugendeinrichtungen für weiße Engländer zu kümmern. Rassismus wurde bewusst als Instrument eingesetzt. So schreibt die BNP beispielsweise, dass es möglich sei, mehr Gelder für bessere öffentliche Einrichtungen auszugeben, wenn man einen Totalstopp für Flüchtlinge einführe. Im BNP-Wahlprogramm heißt es weiterhin, dass die etablierten Parteien am Ruin des Gesundheitssystems schuld seien, und dass das Land generell in einem sehr schlechten Zustand sei.
Letzteres stimmt. Und das dürfte für viele Menschen die Attraktivität der BNP ausgemacht haben. Sie wurde als eine Alternative zum Mainstream gesehen und entsprechend angenommen. Hinzu kommt ein gewisses Potenzial an rassistischen Wählern. Doch Rassismus ist nicht nur ein Merkmal der BNP. Wie Parteichef Nick Griffin immer gerne zu sagen pflegt, ist die BNP genauso viel oder wenig rassistisch wie alle anderen etablierten Parteien auch.
Dies stimmt teilweise, schließlich war es Labour-Innenminister David Blunkett, der noch vor wenigen Wochen davor warnte, England werde von Asylsuchenden überschwämmt. Dasselbe gilt für die meisten englischen Zeitungen. Was den Rassismus anbetrifft, ist der englische politische Mainstream Teil des Problems und nicht der Lösung. Die BNP verschärft diese rassistische Polemik, indem sie fordert, sämtliche Nichtweißen in England in ihre "Herkunftsländer" zu deportierten.
Neben einer rassistischen Partei ist die BNP eine faschistische Partei, auch wenn sie seit geraumer Zeit versucht, das zu verheimlichen. Sie will die Zerschlagung von Gewerkschaften und allen sonstigen linken Organisationen und Parteien, ihre Wirtschaftspolitik der BNP ist neoliberal. Weder vom sozialen Hintergrund noch von ihren politischen Grundsätzen her vertritt die BNP die Interessen selbst der meisten weißen Engländer.
Hier liegt ein Ansatzpunkt für erfolgreiche antifaschistische Arbeit. Als die BNP das letzte Mal einen Stadtratssitz inne hatte, in Tower Hamlets, einem Londoner Stadtteil, war es die englische Antifa-Organisation "Youth against Racism in Europe" (YRE), die gegen die Faschisten mobilisierte. Ein Selbstverteidigungssystem gegen faschistische und rassistische Übergriffe wurde aufgebaut, bei dem jeder Haushalt im Stadtteil Trillerpfeifen bekam. Wurden Faschisten in der Straße gesichtet, alarmierten die Bewohner mittels Pfeifen und Telefonketten die Nachbarn, was die Faschisten in der Regel zur sofortigen Flucht veranlasste.
Gleichzeitig wurde aber auch das Protestpotenzial der BNP aufgenommen, in dem der antifaschistische Kampf mit sozialen Forderungen für bessere Jugendclubs, Sozialwohnungen oder Arbeitsplätze verbunden wurde. Dies führte dazu, dass Menschen aller Hautfarben sich vor Ort gegen die Faschisten vereinten. Großdemonstrationen wurden mit Hilfe der örtlichen Gewerkschaften organisiert.
Im Laufe eines Jahres gelang es, die BNP aus Tower Hamlets zu vertreiben. Dies war nur möglich durch die Präsenz einer kämpferischen Linken, die die örtliche Bevölkerung in Kampagnen gegen die Faschisten und für ihre eigenen Interessen einbezog. Dadurch konnte auch die Spaltung in Menschen verschiedener Hautfarben untergraben werden.
Dieses Konzept wird allerdings nicht von allen geteilt. John Monks, Boss der englischen Gewerkschaftsföderation, erklärte kürzlich, englische Arbeiter sollten ja nicht nach Alternativen zu Labour suchen, dies führe unweigerlich zum Extremismus. Doch Wahlergebnisse wie in Coventry zeigen, dass Faschisten keine Chance haben, wenn es eine kämpferische Alternative zum Establishment gibt: Dort erzielte ein sozialistischer Kandidat über 50% der abgegebenen Stimmen. Faschisten lassen Coventry seit langer Zeit in Ruhe.
Christian Bunke


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