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Indem er kritiklos Ulrike Meinhof zitiert, schließt sich Winfried Wolf der Riege derer an, die die Anerkennung des Existenzrechts Israels für ein
linkes Essential ausgeben und implizit jede entgegengesetzte Position als antisemitisch denunzieren.
Da aber die Anerkennung des Existenzrechts Israels keineswegs identisch ist mit der
Anerkennung des Lebensrechts von Juden auf dem Boden Palästinas, sondern einen durch seinen zionistischen, und das heißt in diesem konkreten
Fall unvermeidlich kolonialistischen Charakter gekennzeichneten bürgerlichen Staat betrifft, bedeutet die Ablehnung dieses Staates keineswegs
Antisemitismus.
Wenn sie auch in der Minderheit sind, so gibt es doch nicht wenige Juden, die diesen
völkischen Staat ablehnen, einige aus religiösen Gründen, andere aus Gründen ihrer revolutionär-sozialistischen
Überzeugung und andere aus verschiedenen sonstigen Gründen. Israel als zionistischen Staat abzulehnen und ein anderes Israel gibt es nicht
hat nicht notwendigerweise mit dem Wunsch zu tun, "die Juden" ins Meer zu werfen. Die Auflösung des zionistischen Israel ist
vielmehr eine Voraussetzung nicht nur für die nationale Befreiung der Palästinenser, sondern auch für die soziale Befreiung der
jüdischen Arbeiterklasse in Israel. […]
Der binationale Staat übrigens, für den Michel Warschawski in der SoZ 2/2002
warb, mag einst den Namen Israel tragen. Mit dem heutigen Staat Israel wäre er aber wesensmäßig nicht verwandt; er würde diesen
nicht reformieren, sondern ersetzen.
Anton Holberg, Bonn
Anhand der Möllemann-Karsli Geschichte möchte die SoZ davor warnen, sich mit
einem "aufgeblähten Antisemitismusbegriff" in eine "herrschaftskonforme Sackgasse" namens "Antisemitismusfalle"
zu begeben. Der erste Argumentationsstrang ist die Verteidigung Möllemanns: Er habe in der Sache Recht, das heißt wohl, Krieg gegen das
"übermächtige Aggressive" sei gerechtfertigt. Möllemann sei dabei gar kein Antisemit, sondern verteidige sich lediglich, da sei
ihm der "spielerische Umgang" mit Klischees nachgesehen.
Zweiter Schritt ist die Konstruktion der Verfolgung Möllemanns, es fällt gar das
Wort "massive Pogromstimmung". Das kann ich nur als Provokation lesen. Ich freue mich, wenn ein Antisemit in öffentlicher Position als
solcher bezeichnet wird. Darüber hinaus solche Kritik als Verfolgung darzustellen, ist ein typisches Muster des sekundären Antisemitismus; auch
die Benutzung des Wortes "Pogrom" zeigt dort hin.
So wird im Kommentar die Chance verpasst, den wahrscheinlichen Umbau der FDP zur
rechtspopulistischen Partei kritisch zu beleuchten. […]
Die SoZ geht der Taktik Möllemanns auf den Leim: als widerständiges Opfer
medialer Angriffe inszeniert, will er Punkte sammeln bei rechtem Wahlvolk. Als quasi ausgewiesene Kämpferin gegen jede Form von
Unterdrückung sollte die SoZ klar Stellung beziehen können gegen Antisemitismus jeder Art. Doch viele Linke mit antizionistischem Hintergrund
haben in der Geschichte mit Karsli, Möllemann und Co. ein Problem: Deren Antisemitismus zu erkennen und zu kritisieren fällt schwer, weil er sich
mit eigenen Antisemitismen überschneidet.
Lorenz Brandlmeier, Köln
Jürgen Möllemann strapaziert antisemitische Klischees, das beschreibt Ihr ganz richtig. Das sollte aber kein Grund für Euch sein, dasselbe zu
tun. Denn zum Antisemitismus gehört auch die Lüge, es gäbe ein Tabu, Israel zu kritisieren ein solches gibt und gab es nicht. In
Deutschland ist es generell nicht gerade üblich, nichtkommunistische Regierungen, die es mit Frieden und Menschenrechten nicht so genau nehmen, zu
kritisieren. Gemessen daran kriegt Israel wirklich reichlich Kritik ab.
Die öffentliche Aufregung begann nicht nach Möllemanns
Äußerungen über den Palästina-Konflikt, die so neu ja nicht waren, sondern nach seinen antisemitischen Ausfällen gegen Michel
Friedman. Seid Ihr wirklich so naiv, zu glauben, dem Vollprofi Möllemann wäre dies "im Zorn" herausgerutscht wiederholt und
mitten im Wahlkampf? Dass Ihr es auch noch für nötig haltet, ihn vor Hildegard Hamm-Brücher, eine der letzten
"Bürgerliberalen" in der FDP, in Schutz zu nehmen, das ist für eine sozialistische Zeitung schon sehr merkwürdig.
In vielen europäischen Ländern nimmt der Einfluss rechter und rechtsextremer
Parteien zu. In jedem Land sieht das anders aus, und ich sehe keinen Grund dafür, dass es nach Österreich, Italien, Frankreich und Holland nicht auch
eine deutsche Variante geben kann. Bei allen Unterschieden besteht wohl eine Gemeinsamkeit darin, dass Neoliberalismus, Fremdenfeindlichkeit und
Populismus eine Koalition eingehen. Die SoZ sollte sich lieber damit befassen, als den ultra-neoliberalen Spaßvogel Möllemann zu
unterstützen. […]
Gitti Götz, Bonn
In den letzten Wochen habe ich mir die Mühe gemacht, die Diskussionsforen der FDP durchzuforsten. Das Ergebnis zeigt, dass der gute Christoph
vollständig daneben liegt. Einhelliger Tenor war, dass man doch endlich mal sagen dürfen müsse, dass die Israelis eine üble Politik
machen und dass im Übrigen die Juden endlich mal aufhören müssten, den Deutschen Auschwitz vorzuhalten.
Auch im Gegensatz zu Christophs Einschätzung war die Kritik an Israel in der BRD ja
nicht verboten, sondern wurde oft genug geübt, ohne dass es entsprechende Kommentare seitens der jüdischen Gemeinde gab. Auf dieser Ebene
stimmt lediglich, dass sich zum Teil die im bürgerlichen Lager geübte Gleichsetzung zwischen Unterstützung des Staates Israel und
"Wiedergutmachung" rächt, wenn ein dezidiert bürgerlicher Politiker diese aufgibt, um sich ohne wenn und aber auf die Seite von Fatah,
Dschihad und Hamas zu stellen und auf die hinter ihnen stehenden Regime.
Genau hier hätte auch Christoph stutzig werden müssen. Welche Logik liegt der
Politik von Möllemann zu Grunde, wenn er mit diesen Regimen kollaboriert (in seiner Deutsch-arabischen Gesellschaft), die keinen Deut besser sind als
die israelische Regierung in den besetzen Gebieten, aber nur die Juden schilt…?
Nein, liebe FreundInnen, hier wird eine kalt kalkulierte neue deutsche Außenpolitik
angerührt, die vom Amoklauf der USA im Nahen Osten profitieren will wenn dabei dann noch rechte Stimmen für das "Projekt
18" abfallen, um so besser. […]
Zugleich ist auf der Ebene der Politik und veröffentlichten Meinung auch der
"normale", latente Antisemitismus geächtet, "tabuisiert". Weil er nicht offen geäußert wird, sucht sich der latente
Antisemitismus seine Ausdrucksweisen, die auch das nicht erst heute typisch eben verdeckt funktionieren. Aber sie funktionieren und
Möllemanns "missverständliche" Äußerungen werden dann auch treffsicher nur zu gut verstanden. […]
Sascha Möbius, per E-Mail
Wer in der SoZ-Redaktion hat schon mal gehört, dass es eine mittlerweile ziemlich fundierte Antisemitismusforschung gibt? Und wie viele SoZ-
RedakteurInnen haben wie viele Bücher zum modernen Antisemitismus gelesen? Wie "bekämpft" die SoZ "alle Formen"
von Antisemitismus, wie es im neuen Redaktionsstatut steht, wenn sie keinen blassen Schimmer davon hat?
Dass man persönlich nichts gegen Juden hat, Juden und Jüdinnen zu Genossinnen,
vielleicht sogar zu Freunden zählt und dass Trotzki und seine MitstreiterInnen selbst antisemitisch bekämpft wurden, mag einen (meist zu Recht)
vor dem Vorwurf des Antisemitismus schützen. Um ihn bekämpfen zu können, reicht das aber noch lange nicht, es reicht nicht einmal zu
verhindern, ihm ungewollt Vorschub zu leisten.
Dies ist aber eine der unverzichtbaren Aufgaben jedes und jeder Linken auf der Welt, und
natürlich besonders im Land der Kinder und Enkel der willigen Vollstrecker und der kleinen Gemeinde der Shoah-Überlebenden und ihren
Nachfahren, deren letzte Sicherheit in der Existenz des Staates Israel besteht. Ob subjektiv oder objektiv wer will das mit Sicherheit beantworten?
Und wer garantiert die Existenz Israels? Die heutige deutsche Linke mit Sicherheit nicht,
sowenig wie die arabische oder (anti)globale, die in Porto Allegre viel völkischen Scheiß beschlossen hat, wovon man in der SoZ leider auch nichts
erfahren hat. Ich kündige mein SoZ-Abo, bis die Redaktion ihre Hausaufgaben der Elementarstufe gemacht hat, und widerrufe bei lesbarem Erfolg. Die
Gründe werden Euch nach ein bisschen Nach- und Aufarbeitung soweit es sich "nur" um Ignoranz, wie ich vermute, und nicht um
tieferliegende Ressentiments handelt sicher leicht verständlich sein. […]
Angelika Prömm, Köln
Westerwelle hat bestätigt, dass er im Trüben, d.h. im braunen Sumpf fischen will. Möllemann hat erklärt, dass er einen Fehler gemacht
habe, aber nicht vor Friedmann zu Kreuze kriechen wolle was dieser übrigens weder verlangt hat noch erwartet. Haider hat für
Möllemann gesprochen. Und Jünke?
Jünke stellt in Frage, ob Möllemann "einen Ausweg aus dieser Sackgasse
(der durch die ‚Antisemitismusfalle geprägten Diskussionskultur, d.A.) weisen kann". Da hat er wohl Recht, doch macht Jünke da
nicht ein bisschen zu viel Stimmung gegen Möllemann, zu einem Zeitpunkt, zu dem dieser "massiven Pogromstimmungen" ausgesetzt, zur
"Zielscheibe der Hetzjagd" gemacht worden ist? […]
Was in Jünke nach seinem informativen und mit behutsamer Wortwahl geschriebenen
Beitrag in der Mai-Ausgabe der SoZ gefahren ist, ist mir ein Rätsel. Dass Jünke jetzt meint, Möllemann, der Haider lobt und
unterstützt, gegen "massive Pogromstimmungen" (!) in Schutz nehmen zu müssen, deutet bei Jünke auf eine Verirrung politischen
und moralischen Denkens in Richtung antisemitischer Klischees hin, die mit dem Anspruch einer bzw. der Sozialistischen Zeitung nicht vereinbar sind:
So "bekämpft (die SoZ) alle Formen ausgrenzender Diskriminierung
(Chauvinismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus usw.) in der bürgerlichen Gesellschaft wie auch innerhalb linker Organisationsformen" (Zitat
aus dem Redaktionsstatut).
M.E. gehört Möllemann mit seiner Position eher in die FPÖ als in die FDP
und Jünke mit seinem Beitrag eher in die "Junge (alte) Freiheit" als in die SoZ.
Stephan Stöcker, Hamburg
Als wir die letzte Nummer im Druck hatten und eine erste Diskussion über die nächste Ausgabe diese führten, war uns schon
klar, dass mit dem Kommentar unseres Redakteurs Christoph Jünke nicht das einzig mögliche, schon gar nicht das letzte Wort zum
Möllemann-Streit gesprochen wurde. Insofern haben uns die auf dieser Seite dokumentierten Briefe von Leserinnen und Lesern nicht überrascht.
Anders als manche offensichtlich noch denken, verstehen wir uns nicht als monolithische Strömungszeitung, in der ein redaktioneller Kommentar
auch der des verantwortlichen Redakteurs die Meinung der Gesamtredaktion wiedergibt. So kam es, dass wir uns auch in dieser Ausgabe mit der in der
bürgerlichen Presse mittlerweile weitgehend abgebrochenen Debatte beschäftigen aus durchaus unterschiedlichem Blickwinkel (S.7 &
8).
Die ursprünglich geplanten Elemente einer Bilanz von vier Jahren
rosarot/olivgrün haben wir deswegen auf die nächste Nummer verschoben. Geblieben ist jedoch die zupackende Bilanz von Arno Klönne
(S.3) sowie die Thematisierung der partiell erfolgreichen Studierendenproteste gegen den neoliberalen Umbau der Hochschulen (S.5 & 6). Im Kontext
umfangreicher Streikbewegungen auch in Deutschland (S.10) sowie des Generalstreiks in Spanien (S.11) und der andauernden Angriffe auf den
Gesundheitssektor (ebenda) ergibt sich nicht nur ein Panorama der nächsten Angriffszentren, sondern auch der möglichen Widerstandslinien. Wie
sich DGB und IG Metall dazu verhalten, lässt sich auf S.9 nachlesen.
Breiter streut sich das Themenspektrum international. Vom Welternährungsgipfel in
Rom (S.4 & 12) und der Privatisierung der Wasserversorgung im afrikanischen Tansania (S.13) über die Wahlergebnisse in Frankreich (S.14) und die
innenpolitische Lage in Russland (S.15) zum zunehmenden Einfluss des christlichen Fundamentalismus auf US-Politik (S.17) und den Perspektiven
Palästinas (S.16) zieht sich jener Faden, dessen innerer Zusammenhang einmal mehr die Durchsetzung neoliberaler Interessen und der "Krieg gegen
den Terror" ist.
Mit Johanna Brenner (S.18) fragen wir nach den Herausforderungen der internationalen
Umstrukturierung des Kapitals für emanzipativen Widerstand hier am Beispiel des Feminismus. Wir gehen der Frage nach, was uns Peter
Weiss Ästhetik des Widerstands auch heute noch zu sagen hat (S.19) und erinnern aus aktuellem Anlass an die oftmals verdrängte subversive
Geschichte jenes mittlerweile ziemlich auf den Hund gekommenen Fußballsports (S.24).
Rezensionen und Berichte aus der linken Bewegungskultur (S.21 & 22) runden das Bild
für diesmal ab.
Anders als in den Jahren zuvor, verzichtet die SoZ mit ihrer Umstellung zur Monatszeitung
auch auf ihre kollektiven Sommerferien. Auch im August wird es deswegen eine normale Ausgabe geben wie gewohnt: informierend, engagiert und
kontrovers.
Wer möchte, dass dies auch weiterhin möglich bleibt, den bitten wir dringend, die
vor wenigen Wochen von uns erhaltene Post wieder hervorzukramen und uns mit finanziellen Spenden reichlich zu unterstützen. Wie man uns sonst noch
unterstützen kann, auch das konnten Abonnentinnen und Abonnenten dem Sommerspendenbrief entnehmen. Außerdem befand sich in ihm eine
SoZ-Umfrage, die wir uns freuen würden, zahlreich auswerten zu können.
Eure Redaktion
Als wir in SoZ 5/02 Anton Holbergs Kritik am "‚antideutschen Prozionismus" des Konkret-Herausgebers Gremliza veröffentlichten,
rechneten wir fest mit der Hamburger Retourkutsche. Doch an Holbergs Kritik der "Amalgam-Küche" Gremlizas hatten dieser und seine
streitbaren Mannen offensichtlich nichts auszusetzen. Sie zitierten (in Nr. 6/02) stattdessen aus unserem Interview mit Peter von Oertzen, in dem dieser sich auch
über Ebermann/Trampert und Gremliza auslässt. Sie kommentierten u.a. mit den Sätzen: "Der alte Trotzkist Peter von Oertzen hat
seinen Söhnen und Töchtern noch einmal den Feind im eigenen Lager gezeigt." Dass sie gleich zu Beginn die SoZ sinnentstellend, weil
erläuternde Halbsätze ohne Auslassungszeichen weglassend, zitierten, wundert uns weniger (wenn es auch umgekehrt sicherlich ein willkommener
Grund zur Klage gegen uns gewesen wäre). Aber wenigstens hätten sie erwähnen können, dass es sich beim inkriminierten Interview
um ein Interview mit der SoZ handelte. Na ja, nehmen wir es als klassische Ehrerbietung!