SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 2

Kein anderes Israel

Betr.: W.Wolf, "Israel und der Internationalismus", SoZ 6/02

Indem er kritiklos Ulrike Meinhof zitiert, schließt sich Winfried Wolf der Riege derer an, die die Anerkennung des Existenzrechts Israels für ein linkes Essential ausgeben und implizit jede entgegengesetzte Position als antisemitisch denunzieren.
Da aber die Anerkennung des Existenzrechts Israels keineswegs identisch ist mit der Anerkennung des Lebensrechts von Juden auf dem Boden Palästinas, sondern einen durch seinen zionistischen, und das heißt in diesem konkreten Fall unvermeidlich kolonialistischen Charakter gekennzeichneten bürgerlichen Staat betrifft, bedeutet die Ablehnung dieses Staates keineswegs Antisemitismus.
Wenn sie auch in der Minderheit sind, so gibt es doch nicht wenige Juden, die diesen völkischen Staat ablehnen, einige aus religiösen Gründen, andere aus Gründen ihrer revolutionär-sozialistischen Überzeugung und andere aus verschiedenen sonstigen Gründen. Israel als zionistischen Staat abzulehnen — und ein anderes Israel gibt es nicht — hat nicht notwendigerweise mit dem Wunsch zu tun, "die Juden" ins Meer zu werfen. Die Auflösung des zionistischen Israel ist vielmehr eine Voraussetzung nicht nur für die nationale Befreiung der Palästinenser, sondern auch für die soziale Befreiung der jüdischen Arbeiterklasse in Israel. […]
Der binationale Staat übrigens, für den Michel Warschawski in der SoZ 2/2002 warb, mag einst den Namen Israel tragen. Mit dem heutigen Staat Israel wäre er aber wesensmäßig nicht verwandt; er würde diesen nicht reformieren, sondern ersetzen.
Anton Holberg, Bonn

Umbau der FDP, SoZ und Antisemitismus

Betr.: C.Jünke, "Karsli, Möllemann und der Zustand der Republik", SoZ 6/02


Anhand der Möllemann-Karsli Geschichte möchte die SoZ davor warnen, sich mit einem "aufgeblähten Antisemitismusbegriff" in eine "herrschaftskonforme Sackgasse" namens "Antisemitismusfalle" zu begeben. Der erste Argumentationsstrang ist die Verteidigung Möllemanns: Er habe in der Sache Recht, das heißt wohl, Krieg gegen das "übermächtige Aggressive" sei gerechtfertigt. Möllemann sei dabei gar kein Antisemit, sondern verteidige sich lediglich, da sei ihm der "spielerische Umgang" mit Klischees nachgesehen.
Zweiter Schritt ist die Konstruktion der Verfolgung Möllemanns, es fällt gar das Wort "massive Pogromstimmung". Das kann ich nur als Provokation lesen. Ich freue mich, wenn ein Antisemit in öffentlicher Position als solcher bezeichnet wird. Darüber hinaus solche Kritik als Verfolgung darzustellen, ist ein typisches Muster des sekundären Antisemitismus; auch die Benutzung des Wortes "Pogrom" zeigt dort hin.
So wird im Kommentar die Chance verpasst, den wahrscheinlichen Umbau der FDP zur rechtspopulistischen Partei kritisch zu beleuchten. […]
Die SoZ geht der Taktik Möllemanns auf den Leim: als widerständiges Opfer medialer Angriffe inszeniert, will er Punkte sammeln bei rechtem Wahlvolk. Als quasi ausgewiesene Kämpferin gegen jede Form von Unterdrückung sollte die SoZ klar Stellung beziehen können gegen Antisemitismus jeder Art. Doch viele Linke mit antizionistischem Hintergrund haben in der Geschichte mit Karsli, Möllemann und Co. ein Problem: Deren Antisemitismus zu erkennen und zu kritisieren fällt schwer, weil er sich mit eigenen Antisemitismen überschneidet.
Lorenz Brandlmeier, Köln

Möllemann —der Tabubrecher?

Jürgen Möllemann strapaziert antisemitische Klischees, das beschreibt Ihr ganz richtig. Das sollte aber kein Grund für Euch sein, dasselbe zu tun. Denn zum Antisemitismus gehört auch die Lüge, es gäbe ein Tabu, Israel zu kritisieren — ein solches gibt und gab es nicht. In Deutschland ist es generell nicht gerade üblich, nichtkommunistische Regierungen, die es mit Frieden und Menschenrechten nicht so genau nehmen, zu kritisieren. Gemessen daran kriegt Israel wirklich reichlich Kritik ab.
Die öffentliche Aufregung begann nicht nach Möllemanns Äußerungen über den Palästina-Konflikt, die so neu ja nicht waren, sondern nach seinen antisemitischen Ausfällen gegen Michel Friedman. Seid Ihr wirklich so naiv, zu glauben, dem Vollprofi Möllemann wäre dies "im Zorn" herausgerutscht — wiederholt und mitten im Wahlkampf? Dass Ihr es auch noch für nötig haltet, ihn vor Hildegard Hamm-Brücher, eine der letzten "Bürgerliberalen" in der FDP, in Schutz zu nehmen, das ist für eine sozialistische Zeitung schon sehr merkwürdig.
In vielen europäischen Ländern nimmt der Einfluss rechter und rechtsextremer Parteien zu. In jedem Land sieht das anders aus, und ich sehe keinen Grund dafür, dass es nach Österreich, Italien, Frankreich und Holland nicht auch eine deutsche Variante geben kann. Bei allen Unterschieden besteht wohl eine Gemeinsamkeit darin, dass Neoliberalismus, Fremdenfeindlichkeit und Populismus eine Koalition eingehen. Die SoZ sollte sich lieber damit befassen, als den ultra-neoliberalen Spaßvogel Möllemann zu unterstützen. […]
Gitti Götz, Bonn

Kalt kalkulierte neue Außenpolitik

In den letzten Wochen habe ich mir die Mühe gemacht, die Diskussionsforen der FDP durchzuforsten. Das Ergebnis zeigt, dass der gute Christoph vollständig daneben liegt. Einhelliger Tenor war, dass man doch endlich mal sagen dürfen müsse, dass die Israelis eine üble Politik machen und dass im Übrigen die Juden endlich mal aufhören müssten, den Deutschen Auschwitz vorzuhalten.
Auch im Gegensatz zu Christophs Einschätzung war die Kritik an Israel in der BRD ja nicht verboten, sondern wurde oft genug geübt, ohne dass es entsprechende Kommentare seitens der jüdischen Gemeinde gab. Auf dieser Ebene stimmt lediglich, dass sich zum Teil die im bürgerlichen Lager geübte Gleichsetzung zwischen Unterstützung des Staates Israel und "Wiedergutmachung" rächt, wenn ein dezidiert bürgerlicher Politiker diese aufgibt, um sich ohne wenn und aber auf die Seite von Fatah, Dschihad und Hamas zu stellen — und auf die hinter ihnen stehenden Regime.
Genau hier hätte auch Christoph stutzig werden müssen. Welche Logik liegt der Politik von Möllemann zu Grunde, wenn er mit diesen Regimen kollaboriert (in seiner Deutsch-arabischen Gesellschaft), die keinen Deut besser sind als die israelische Regierung in den besetzen Gebieten, aber nur die Juden schilt…?
Nein, liebe FreundInnen, hier wird eine kalt kalkulierte neue deutsche Außenpolitik angerührt, die vom Amoklauf der USA im Nahen Osten profitieren will — wenn dabei dann noch rechte Stimmen für das "Projekt 18" abfallen, um so besser. […]
Zugleich ist auf der Ebene der Politik und veröffentlichten Meinung auch der "normale", latente Antisemitismus geächtet, "tabuisiert". Weil er nicht offen geäußert wird, sucht sich der latente Antisemitismus seine Ausdrucksweisen, die — auch das nicht erst heute typisch — eben verdeckt funktionieren. Aber sie funktionieren und Möllemanns "missverständliche" Äußerungen werden dann auch treffsicher nur zu gut verstanden. […]
Sascha Möbius, per E-Mail

Die Trotzkifalle

Wer in der SoZ-Redaktion hat schon mal gehört, dass es eine mittlerweile ziemlich fundierte Antisemitismusforschung gibt? Und wie viele SoZ- RedakteurInnen haben wie viele Bücher zum modernen Antisemitismus gelesen? Wie "bekämpft" die SoZ "alle Formen" von Antisemitismus, wie es im neuen Redaktionsstatut steht, wenn sie keinen blassen Schimmer davon hat?
Dass man persönlich nichts gegen Juden hat, Juden und Jüdinnen zu Genossinnen, vielleicht sogar zu Freunden zählt und dass Trotzki und seine MitstreiterInnen selbst antisemitisch bekämpft wurden, mag einen (meist zu Recht) vor dem Vorwurf des Antisemitismus schützen. Um ihn bekämpfen zu können, reicht das aber noch lange nicht, es reicht nicht einmal zu verhindern, ihm ungewollt Vorschub zu leisten.
Dies ist aber eine der unverzichtbaren Aufgaben jedes und jeder Linken auf der Welt, und natürlich besonders im Land der Kinder und Enkel der willigen Vollstrecker und der kleinen Gemeinde der Shoah-Überlebenden und ihren Nachfahren, deren letzte Sicherheit in der Existenz des Staates Israel besteht. Ob subjektiv oder objektiv — wer will das mit Sicherheit beantworten?
Und wer garantiert die Existenz Israels? Die heutige deutsche Linke mit Sicherheit nicht, sowenig wie die arabische oder (anti)globale, die in Porto Allegre viel völkischen Scheiß beschlossen hat, wovon man in der SoZ leider auch nichts erfahren hat. Ich kündige mein SoZ-Abo, bis die Redaktion ihre Hausaufgaben der Elementarstufe gemacht hat, und widerrufe bei lesbarem Erfolg. Die Gründe werden Euch nach ein bisschen Nach- und Aufarbeitung — soweit es sich "nur" um Ignoranz, wie ich vermute, und nicht um tieferliegende Ressentiments handelt — sicher leicht verständlich sein. […]
Angelika Prömm, Köln

Politische und moralische Verirrung

Westerwelle hat bestätigt, dass er im Trüben, d.h. im braunen Sumpf fischen will. Möllemann hat erklärt, dass er einen Fehler gemacht habe, aber nicht vor Friedmann zu Kreuze kriechen wolle — was dieser übrigens weder verlangt hat noch erwartet. Haider hat für Möllemann gesprochen. Und Jünke?
Jünke stellt in Frage, ob Möllemann "einen Ausweg aus dieser Sackgasse (der durch die ‚Antisemitismusfalle‘ geprägten Diskussionskultur, d.A.) weisen kann". Da hat er wohl Recht, doch macht Jünke da nicht ein bisschen zu viel Stimmung gegen Möllemann, zu einem Zeitpunkt, zu dem dieser "massiven Pogromstimmungen" ausgesetzt, zur "Zielscheibe der Hetzjagd" gemacht worden ist? […]
Was in Jünke nach seinem informativen und mit behutsamer Wortwahl geschriebenen Beitrag in der Mai-Ausgabe der SoZ gefahren ist, ist mir ein Rätsel. Dass Jünke jetzt meint, Möllemann, der Haider lobt und unterstützt, gegen "massive Pogromstimmungen" (!) in Schutz nehmen zu müssen, deutet bei Jünke auf eine Verirrung politischen und moralischen Denkens in Richtung antisemitischer Klischees hin, die mit dem Anspruch einer bzw. der Sozialistischen Zeitung nicht vereinbar sind:
So "bekämpft (die SoZ) alle Formen ausgrenzender Diskriminierung (Chauvinismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus usw.) in der bürgerlichen Gesellschaft wie auch innerhalb linker Organisationsformen" (Zitat aus dem Redaktionsstatut).
M.E. gehört Möllemann mit seiner Position eher in die FPÖ als in die FDP und Jünke mit seinem Beitrag eher in die "Junge (alte) Freiheit" als in die SoZ.
Stephan Stöcker, Hamburg

Editorial

Als wir die letzte Nummer im Druck hatten und eine erste Diskussion über die nächste Ausgabe — diese — führten, war uns schon klar, dass mit dem Kommentar unseres Redakteurs Christoph Jünke nicht das einzig mögliche, schon gar nicht das letzte Wort zum Möllemann-Streit gesprochen wurde. Insofern haben uns die auf dieser Seite dokumentierten Briefe von Leserinnen und Lesern nicht überrascht. Anders als manche offensichtlich noch denken, verstehen wir uns nicht als monolithische Strömungszeitung, in der ein redaktioneller Kommentar — auch der des verantwortlichen Redakteurs — die Meinung der Gesamtredaktion wiedergibt. So kam es, dass wir uns auch in dieser Ausgabe mit der in der bürgerlichen Presse mittlerweile weitgehend abgebrochenen Debatte beschäftigen — aus durchaus unterschiedlichem Blickwinkel (S.7 & 8).
Die ursprünglich geplanten Elemente einer Bilanz von vier Jahren rosarot/olivgrün haben wir deswegen auf die nächste Nummer verschoben. Geblieben ist jedoch die zupackende Bilanz von Arno Klönne (S.3) sowie die Thematisierung der partiell erfolgreichen Studierendenproteste gegen den neoliberalen Umbau der Hochschulen (S.5 & 6). Im Kontext umfangreicher Streikbewegungen auch in Deutschland (S.10) sowie des Generalstreiks in Spanien (S.11) und der andauernden Angriffe auf den Gesundheitssektor (ebenda) ergibt sich nicht nur ein Panorama der nächsten Angriffszentren, sondern auch der möglichen Widerstandslinien. Wie sich DGB und IG Metall dazu verhalten, lässt sich auf S.9 nachlesen.
Breiter streut sich das Themenspektrum international. Vom Welternährungsgipfel in Rom (S.4 & 12) und der Privatisierung der Wasserversorgung im afrikanischen Tansania (S.13) über die Wahlergebnisse in Frankreich (S.14) und die innenpolitische Lage in Russland (S.15) zum zunehmenden Einfluss des christlichen Fundamentalismus auf US-Politik (S.17) und den Perspektiven Palästinas (S.16) zieht sich jener Faden, dessen innerer Zusammenhang einmal mehr die Durchsetzung neoliberaler Interessen und der "Krieg gegen den Terror" ist.
Mit Johanna Brenner (S.18) fragen wir nach den Herausforderungen der internationalen Umstrukturierung des Kapitals für emanzipativen Widerstand — hier am Beispiel des Feminismus. Wir gehen der Frage nach, was uns Peter Weiss‘ Ästhetik des Widerstands auch heute noch zu sagen hat (S.19) und erinnern aus aktuellem Anlass an die oftmals verdrängte subversive Geschichte jenes mittlerweile ziemlich auf den Hund gekommenen Fußballsports (S.24).
Rezensionen und Berichte aus der linken Bewegungskultur (S.21 & 22) runden das Bild für diesmal ab.
Anders als in den Jahren zuvor, verzichtet die SoZ mit ihrer Umstellung zur Monatszeitung auch auf ihre kollektiven Sommerferien. Auch im August wird es deswegen eine normale Ausgabe geben — wie gewohnt: informierend, engagiert und kontrovers.
Wer möchte, dass dies auch weiterhin möglich bleibt, den bitten wir dringend, die vor wenigen Wochen von uns erhaltene Post wieder hervorzukramen und uns mit finanziellen Spenden reichlich zu unterstützen. Wie man uns sonst noch unterstützen kann, auch das konnten Abonnentinnen und Abonnenten dem Sommerspendenbrief entnehmen. Außerdem befand sich in ihm eine SoZ-Umfrage, die wir uns freuen würden, zahlreich auswerten zu können.
Eure Redaktion

Wie Konkret einmal SoZ las

Als wir in SoZ 5/02 Anton Holbergs Kritik am "‚antideutschen‘ Prozionismus" des Konkret-Herausgebers Gremliza veröffentlichten, rechneten wir fest mit der Hamburger Retourkutsche. Doch an Holbergs Kritik der "Amalgam-Küche" Gremlizas hatten dieser und seine streitbaren Mannen offensichtlich nichts auszusetzen. Sie zitierten (in Nr. 6/02) stattdessen aus unserem Interview mit Peter von Oertzen, in dem dieser sich auch über Ebermann/Trampert und Gremliza auslässt. Sie kommentierten u.a. mit den Sätzen: "Der alte Trotzkist Peter von Oertzen hat seinen Söhnen und Töchtern noch einmal den Feind im eigenen Lager gezeigt." Dass sie gleich zu Beginn die SoZ sinnentstellend, weil erläuternde Halbsätze ohne Auslassungszeichen weglassend, zitierten, wundert uns weniger (wenn es auch umgekehrt sicherlich ein willkommener Grund zur Klage gegen uns gewesen wäre). Aber wenigstens hätten sie erwähnen können, dass es sich beim inkriminierten Interview um ein Interview mit der SoZ handelte. Na ja, nehmen wir es als klassische Ehrerbietung!


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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