SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 4

Weiter, weg...

Roma-Protestkarawane seit zwei Monaten unterwegs

Seit zwei Monaten zieht eine Protestkarawane durch Deutschland. Sie protestiert gegen die drohende Abschiebung von mehreren 10000 Roma und Aschkali nach Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien, in den Kosovo oder nach Montenegro. Die Karawane startete am 27. April in Essen, sie kampierte in Düsseldorf, Gelsenkirchen, Hamburg, sie demonstrierte in Bremerhaven, Berlin, Hannover, sie protestierte in Münster, Dortmund, Wuppertal und Köln
Zwei Monate lang durch ein Deutschland zu ziehen, das gerade eine wenig ausländerfreundliche Zuwanderungsbegrenzungsdebatte hinter sich hat und einen wahrscheinlich ausländerfeindlichen Wahlkampf vor sich, nötigt Respekt ab. Zwei Monate lang auf deutschen Straßen und Plätzen für das Anliegen von Roma zu werben, ist eine herkuleische Leistung. Seit zwei Monaten Politik und Behörden von einer Massenabschiebung abhalten zu wollen, das kann man nur mit dem Mute der Verzweiflung durchhalten.
Alle in Ex-Jugoslawien tätigen Hilfsorganisationen warnen vor einer gewaltsamen Rückführung von Minderheiten, besonders von Roma und Aschkali. Auch der UNHCR und selbst die UN-Verwaltung für den Kosovo befürworten nur die freiwillige Rückkehr von Minderheiten und auch nur dann, wenn jeder einzelne genau über die Risiken informiert worden ist. Denn in den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten sind gewaltsame Übergriffe gegen Minderheiten immer noch an der Tagesordnung, besonders Roma sind aus dem sozialen und wirtschaftlichen Leben herausgedrängt, ihre Häuser von der Mehrheitsbevölkerung besetzt. Dennoch hat die Innenministerkonferenz am 6. Juni beschlossen, mit der Abschiebung von Roma könne begonnen werden — und zahlreiche Ausländerbehörden haben offensichtlich nur auf diesen Startschuss gewartet. Ab sofort fliegt allein von Düsseldorf aus zweiwöchentlich eine Abschiebe-Maschine nach Belgrad.
Für die Menschen, die meist seit 10 und mehr Jahren in Deutschland leben, ist die beschlossene Politik vernichtend. Hermina Rasiti, um ein Beispiel unter vielen zu nennen, ist eine junge Frau von 25 Jahren. Sie ist seit elf Jahren in Deutschland, hat ihren Schulabschluss hier gemacht, danach eine Ausbildung. Arbeiten kann sie nicht, weil sie keine Arbeitserlaubnis kriegt, das gehört zu den Widerlichkeiten der deutschen Ausländerpolitik, die Flüchtlinge erst in die Sozialhilfe treibt, um sie danach besser beschimpfen und schließlich "gut begründet" abschieben zu können. Hermina Rasiti hat zwei Kinder, ihre Familie lebt hier. Als ich sie zu drohenden Abschiebung frage, sagt sie: "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich da irgendwann zurück muss. Ich war damals 14 Jahre alt, als ich hergekommen bin. Praktisch ein Kind noch. Ich habe meine Kinder hier geboren, geheiratet, Schule, Ausbildung. Alles, wie jeder normale Mensch hier."
Was ist schon normal? Dass vermutliche 60000 Roma und Aschkali in den nächsten Monaten weggeschafft werden aus Deutschland. Das ist wohl deutschnormal. Was die Organisatoren der Protestkarawane (www.fluechtlingsinfo-berlin.de) dagegen setzen, in aller Verzweiflung, in aller Wut, in aller Konsequenz wäre dann auch "normal".
Dzoni Sichelschmidt, Mitte 30, kündigt für den Fall an, dass ihr Protest nicht zum Erfolg führt, weder auf nationaler Ebene noch auf EU-Ebene, sie würden selber gehen. Als eine Karawane der Ausgestoßenen, zu Fuß durch dieses Deutschland und mit allen 600 oder 700 Roma, die bislang diese Aktion tragen, mit Frauen, mit Kindern, mit alten Menschen. Zu Fuß würden sie das Land verlassen, dass ihnen zumutet, sich einer erneuten Deportation auszuliefern, die sie sicherlich nicht in deutsche Konzentrationslager treibt, aber doch in rassistischen Terror und wirtschaftliches Elend. Sie würden sich nicht mit Polizeigewalt außer Landes jagen, ihr Selbstwertgefühl nicht auf diese Weise zerstören lassen, sie würden selber gehen, sagt Dzoni Sichelschmidt.
Auch wenn nicht anzunehmen ist, dass ein solcher Marsch den verantwortlichen Politikern die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, allein die Ankündigung dieser Aktion sollte allen jenen die Zornesröte ins Gesicht treiben — und solchen Zorn in solidarische Energie verwandeln — denen die deutsche Abschiebemaschinerie als Zerstörungswerk erkennbar geworden ist.
Albrecht Kieser

Albrecht Kieser, Jg. 1949, arbeitet als Journalist im Rheinischen JournalistInnenbüro und engagiert sich bei "Kein Mensch ist illegal", Köln.




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