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Albrecht Müller, der 1972 Wahlkampfberater von Bundeskanzler Willy Brandt war, versuchte zu ergründen, warum
es nicht gut steht um Sozialdemokraten und um Grüne in Europa und weltweit. "Die Sozialdemokraten und Sozialisten haben in wenigen Jahren die
Macht in Spanien und Portugal, in Italien und Österreich, in Dänemark und Norwegen, jetzt auch in Frankreich und in den Niederlanden
verloren", stellt er fest.
Die Erklärung hierfür sieht Albrecht Müller darin, dass sich die
Sozialdemokratie "als konzeptionelle und gestaltende Kraft (und sogar als analytische Kraft) verabschiedet hat". Die Hegemonie über das
Denken und Gestalten liege bei den Konservativen. Auch in Europa gelte jetzt das wirtschaftsliberale Glaubensbekenntnis. Als "modern" gelte auch
bei den Sozis und den Grünen, wer den Washington Consensus auswendig kennt: Privatisieren, Deregulieren, also rundum Entstaatlichen, Liberalisieren,
Flexibilisieren. Diesem Götzen haben am Ende auch jene ihre Opfer gebracht, die anders anfingen.
"Die niederländischen Sozialdemokraten waren von den Modernisierern unter den
europäischen Sozialdemokraten wie eine Monstranz herumgetragen und vorgezeigt worden, sie hatten ‚Reformen am Sozialstaat betrieben, die von
Neoliberalen und Modernisierern ähnlich innig gelobt worden waren. Was nun? Noch einen Zahn beim ‚Reformieren zulegen?"
Die Modernisierer seien blind dafür, dass Millionen Menschen Orientierung suchen, und
sie merkten gar nicht, wie modern die traditionellen Erkenntnisse der Sozialdemokratie ihre Werte und Konzeptionen sind und wie desavouiert und gescheitert
die Wirtschaftsliberalen und Konservativen mit ihrer Ideologie sind.
Als Beispiel hierfür führt Albrecht Müller das in der Praxis erprobte und
gescheiterte Modell an, das Millionen Menschen ins Unglück stürzte. So habe Russland zehn Jahre nach der Wende gerade mal 64% des
Bruttoinlandsprodukts von 1989 erreicht, die Ukraine nur 33,5% und Moldawien nicht einmal ein Drittel.
"Die Linke könnte neue Orientierung geben", meint Müller
abschließend, "wenn sie klar Position bezöge gegen das sich abzeichnende Wettrüsten zwischen Europa und den USA. Auch wenn
Europa die Profilierung gegenüber den USA damit betreiben würde, dass dieser alte Kontinent den Frieden mit anderen Völkern und
Religionen wie dem Islam sucht und nicht eine neu eingefärbte koloniale Vorherrschaft installiert."
Fragt sich nur, ob all dies ausreicht, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die keine
Alternative zu den beschworenen Sachzwängen sehen, die angeblich der Globalisierung und Europäisierung entspringen.