SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 4

Warum die Sozialdemokratie abgewählt wird

Kolumne: Jakob Moneta

Albrecht Müller, der 1972 Wahlkampfberater von Bundeskanzler Willy Brandt war, versuchte zu ergründen, warum es nicht gut steht um Sozialdemokraten und um Grüne in Europa und weltweit. "Die Sozialdemokraten und Sozialisten haben in wenigen Jahren die Macht in Spanien und Portugal, in Italien und Österreich, in Dänemark und Norwegen, jetzt auch in Frankreich und in den Niederlanden verloren", stellt er fest.
Die Erklärung hierfür sieht Albrecht Müller darin, dass sich die Sozialdemokratie "als konzeptionelle und gestaltende Kraft (und sogar als analytische Kraft) verabschiedet hat". Die Hegemonie über das Denken und Gestalten liege bei den Konservativen. Auch in Europa gelte jetzt das wirtschaftsliberale Glaubensbekenntnis. Als "modern" gelte auch bei den Sozis und den Grünen, wer den Washington Consensus auswendig kennt: Privatisieren, Deregulieren, also rundum Entstaatlichen, Liberalisieren, Flexibilisieren. Diesem Götzen haben am Ende auch jene ihre Opfer gebracht, die anders anfingen.
"Die niederländischen Sozialdemokraten waren von den Modernisierern unter den europäischen Sozialdemokraten wie eine Monstranz herumgetragen und vorgezeigt worden, sie hatten ‚Reformen‘ am Sozialstaat betrieben, die von Neoliberalen und Modernisierern ähnlich innig gelobt worden waren. Was nun? Noch einen Zahn beim ‚Reformieren‘ zulegen?"
Die Modernisierer seien blind dafür, dass Millionen Menschen Orientierung suchen, und sie merkten gar nicht, wie modern die traditionellen Erkenntnisse der Sozialdemokratie ihre Werte und Konzeptionen sind und wie desavouiert und gescheitert die Wirtschaftsliberalen und Konservativen mit ihrer Ideologie sind.
Als Beispiel hierfür führt Albrecht Müller das in der Praxis erprobte und gescheiterte Modell an, das Millionen Menschen ins Unglück stürzte. So habe Russland zehn Jahre nach der Wende gerade mal 64% des Bruttoinlandsprodukts von 1989 erreicht, die Ukraine nur 33,5% und Moldawien nicht einmal ein Drittel.
"Die Linke könnte neue Orientierung geben", meint Müller abschließend, "wenn sie klar Position bezöge gegen das sich abzeichnende Wettrüsten zwischen Europa und den USA. Auch wenn Europa die Profilierung gegenüber den USA damit betreiben würde, dass dieser alte Kontinent den Frieden mit anderen Völkern und Religionen wie dem Islam sucht und nicht eine neu eingefärbte koloniale Vorherrschaft installiert."
Fragt sich nur, ob all dies ausreicht, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die keine Alternative zu den beschworenen Sachzwängen sehen, die angeblich der Globalisierung und Europäisierung entspringen.


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