SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 4

‘Terrorismusbekämpfung‘

Faustrecht global

von MANUEL KELLNER

Eine skandalöse Entscheidung der EU stößt in Deutschland nicht auf Proteste und kaum auf kritische Stellungnahmen: Sowohl die (der Fatah Yasser Arafats nahe stehenden) El-Aqsa-Brigaden, die PFLP und die FLP Palästinas wie auch die kolumbianischen bewaffneten Gruppen FARC und ELN sind auf die EU-Liste der "terroristischen Organisationen" gesetzt worden. In der heutigen Logik des weltweiten "Krieges gegen den Terrorismus" sind sie damit vogelfrei und mit dem Segen der EU Zielscheibe beliebiger Vernichtungsschläge.
Der politisch gewollt inflationäre Gebrauch des Begriffs "Terrorismus" zur Stigmatisierung politisch missliebiger Widerstandsbewegungen darf nicht widerspruchslos hingenommen werden. Was die palästinensischen Organisationen betrifft, so gehören sie eben — ganz unabhängig von Urteilen über ihre jeweiligen Aktionsformen — zu einer breiten Widerstandsbewegung gegen die militärische Besatzungs- und die kolonistische Siedlungspolitik Israels in Palästina. Und in Kolumbien ist es wegen der ständigen Anschläge von Paramilitärs und reaktionären, von Kapitalisten und Großgrundbesitzern ausgehaltenen Todesschwadronen lebensgefährlich, normale gewerkschaftliche Arbeit zu machen oder sozialistische, feministische oder egal wie emanzipatorisch orientierte Positionen zu vertreten. Es ist absurd, Menschen zu "Terroristen" zu stempeln, die sich in einer solchen Situation für die Teilnahme am bewaffneten Kampf entscheiden. Auch dies gilt unabhängig von der Bewertung der Strategie dieser oder jener Organisation.
Zum genannten Vorgang, passt die Drohung der US-Regierung, sich aus der UNO zurückzuziehen, falls Angehörige der US-Streitkräfte vor den geplanten Internationalen Strafgerichtshof zitiert werden könnten, um sich wegen Anklagen in Sachen Kriegsverbrechen zu verantworten. Das stempelt nicht nur die Verhandlungen vor dem Haager Tribunal insbesondere gegen Milo?sevi´c zu politischer Willkürjustiz. Wie die kapitalistische Wirtschaftsordnung, besonders in ihrer neoliberalen Ausprägung, bedeutet die weltpolitische Handlungsweise der USA und überhaupt der reichen Industrieländer nichts anderes als die Beanspruchung des Rechts des Stärkeren. Wer andere nach Belieben verurteilen und vernichten will, für sich selbst aber absolute Immunität und Straffreiheit beansprucht, provoziert geradezu, seinerseits von seinen Feinden für vogelfrei erklärt zu werden.


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