SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 4

FAO-Kongress

Vernichtungsprogramm der Agrokonzerne

von GERHARD KLAS

Weltweit hungern 815 Millionen Menschen, darunter 300 Millionen Kinder. Täglich sterben 24000 Menschen, weil sie nicht genug zu essen haben. Diese Zahlen, von der Welternährungskonferenz FAO, die im Juni in Rom tagte, schmerzlich ins Bewusstsein gerufen, werden schnell wieder vergessen sein. Wie kaum eine andere Konferenz führt die der FAO vor Augen, wie schonungslos brutal die weltweite Wirtschaftsordnung ist (vgl. S.12). Da schaut niemand gerne länger als notwendig hin. Nach der veröffentlichten Empörung legt sich wieder Schweigen über die Sache, spätestens wenn allen klar ist, dass sich sowieso nichts ändert und sich die Situation bspw. in Afrika ständig verschlechtert.
Zwar scheinen sich alle einig zu sein, dass der Hunger bekämpft werden muss. Doch über den Weg scheiden sich die Geister. Die Moral endet dort, wo das Geschäft anfängt: Was für die einen in erster Linie ein humanitäres Anliegen ist, bedeutet für die anderen gigantische Profite. Zu den ersten gehören einige Regierungschefs der Dritten Welt und verschiedene NGOs, ebenso der Papst und viele andere, die in der Öffentlichkeit für die Moral zuständig sind. Diejenigen, die mit dem Hunger Geschäfte machen, sind v.a. die großen Agrar- und Lebensmittelkonzerne in der EU und den USA wie Unilever, Nestlé und die Cairns- Group. Nur wenige ihrer Vertreter oder Freunde aus der Politik haben sich auf der Konferenz in Rom zu Wort gemeldet. Denn die FAO galt bislang innerhalb der UNO als vergleichsweise kritisch.
Aber auch dort darf die Kritik nicht zu weit gehen. Das verbietet die Loyalität gegenüber den durch Abwesenheit glänzenden Regierungschefs aus den USA und der EU. Zwar forderte bereits zu Beginn der Konferenz UN- Generalsekretär Kofi Annan, was bei jeder Gelegenheit gefordert wird: EU und USA möchten doch bitte aufhören, ihre eigenen Agrarexporte finanziell zu unterstützen und stattdessen ihre eigenen Märkte für Produkte aus den sog. Entwicklungsländern zu öffnen. Doch die ständigen Appelle werden ständig überhört. Das Gegenteil passiert: US-Präsident Bush hat erst in diesem Monat den US- Landwirten weitere Finanzspritzen in Milliardenhöhe zugesagt. Und die EU schwört auf ihre Initiative "Everything but arms", bei der die 48 ärmsten Ländern der Dritten Welt "alles außer Waffen" in die EU exportieren dürfen. Doch ausgerechnet drei der wichtigsten Agrarprodukte, nämlich Bananen, Reis und Zucker, sind von der Initiative ausgeschlossen.
Auf etwa 10 Millionen Euro schätzen deutsche NGOs die jährlichen Mehreinnahmen der 48 ärmsten Länder durch "Everything but arms". Mit einer Milliarde US-Dollar unterstützen die Industrieländer ihre eigene Landwirtschaft, und zwar täglich.
Die Industrienationen verfügen aber auch über andere entscheidende Wettbewerbsvorteile. In der Dritten Welt fehlen zum Beispiel technische Hilfsmittel. Vor allem die hohe Auslandsverschuldung aber ist eine Fessel, aus der sie sich nicht so leicht lösen können. Anstatt für die Versorgung der eigenen Bevölkerung zur Verfügung zu stehen, wird gerade in den ärmsten Ländern viel fruchtbares Ackerland gebraucht, um Kaffee, Tee und andere Genussmittel für den Export nach Europa oder in die USA anzubauen. Denn der Schuldendienst kann weder in tansanischen Schillingen noch in rwandischen Francs bezahlt werden, sondern nur in harten US-Dollars oder Euro. Und die sind ohne Exporte schlecht zu bekommen.
Seit einiger Zeit gibt es neue Lösungsvorschläge. Life-Science-Konzerne bieten an, mit genetisch manipuliertem Saatgut und Pflanzen den Hunger zu bekämpfen. Die Gentechnologie soll dem Agrarsektor grenzenlose Produktivität bescheren. Ihr zentrales Argument: Der Hunger sei eine Folge der unzureichenden Produktion, die nur mit den Mitteln der Biotechnologie zu verbessern sei. Seriöse Wissenschaftler bestreiten dies. Sie sehen die Ursache für Hungersnöte in der ungerechten Verteilung der Lebensmittel auf dem Weltmarkt. "Es gibt keine Nahrungsmittelknappheit auf unserem Planeten", beteuert selbst Kofi Annan.
Damit die Konzerne ihre wohltätigen Geschäfte international umsetzen können, versuchen sie auch die Gremien der UNO von ihren Vorstellungen zu überzeugen, bspw. mit finanziellen Zuwendungen. Im Gegenzug stellt ihnen die UNO nun eine soziale und umweltpolitische Unbedenklichkeitsbescheinigung aus.
Der Hebel muss woanders angesetzt werden: Wenn die Auslandschulden der Länder des Südens einerseits, die Subventionen für Agrargüter aus den Industrieländern andererseits gestrichen würden, wären wichtige Voraussetzungen erfüllt, um weltweit die Ernährung zu sichern. Der Einsatz von Gentechnologie hätte sich dann — zumindest theoretisch — erledigt.


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