SoZ Sozialistische Zeitung |
Es gibt Situationen, da legt eine Debatte erst die Sicht auf eine andere frei wie verschachtelte russische Puppen. Der
Streit um Möllemann hat angefangen als provokative Kritik an der israelischen Führung; geendet ist er als Skandalprojekt 18. Man muss dem
Zentralrat der Juden dankbar sein für seine Polemik und die Erkenntnis, die sie hervorgebracht hat auch wenn man seine Positionen nicht im
Mindesten teilt. Aber Antisemitismus und die Debatte darum war und ist ein sensibler Indikator für gesellschaftspolitische Veränderungen.
Das FDP-Führungsduo Westerwelle/Möllemann will die FDP zur Kandidatin für den in Deutschland seit längerem vakanten Posten
einer rechtspopulistischen Partei mit Massenanhang machen. Daran gibt es nach den Äußerungen der beiden in den vergangenen Wochen keinen
Zweifel mehr, spätestens seit Westerwelle im Stern zu den in Deutschland notwendigen "Tabubrüchen" ausschließlich die
Wiederherstellung "nationaler Werte" gezählt hat (17.6.).
Als Möllemann auf dem Mannheimer Parteitag der FDP vor einem Jahr mit dem Projekt
"18+" herauskam, schien es aus der Luft gegriffen und man machte sich im allgemeinen darüber lustig bis die FDP bei
Landtagswahlen wieder bedeutende Wahlsiege errang. Nach Möllemanns jüngsten Erläuterungen muss man sagen: Das Projekt ist realistisch
und das ist das schlimmste Urteil, das man darüber fällen kann. Warum?
In der letzten Kolumne, die das Neue Deutschland ihm gewährt hat, führte er aus:
Die Zahl der Nichtwähler steigt in Deutschland rapide an; die soziale Unzufriedenheit hat auch unter "rot-grün" massiv zugenommen;
das Land ist gespalten und mindestens für ein Drittel davon gilt: no future. Das politische Pro?l von SPD und CDU ist kaum zu unterscheiden, die Parteien
haben keine Tuchfühlung mehr mit der Bevölkerung alles zusammengenommen ein vorteilhafter Nährboden für eine breite
populistische Partei. Nach Lage der Dinge hat sie Spielraum nur auf der Rechten. Es lag bislang nur an der Zerrissenheit der rechtsextremen Gruppen, dass sie
den Sprung zu einer kleinbürgerlichen Partei mit Massenanhang, die diese Situation nutzt, nicht schaffen konnten.
Die FDP könnte in die Lücke springen das setzt allerdings voraus, dass sie
sich ändert: im Führungspersonal, in der Mitgliederstruktur, im Programm. Dass sie ihr Profil völlig verändern kann, hat sie schon
einmal unter Beweis gestellt, als sie vom nationalliberalen Kurs eines Erich Mende Ende der 60er Jahre zur neuen Ostpolitik und zum politischen Liberalismus in
der Innenpolitik umschwenkte. Der Grund dafür liegt in ihrer sozialen Basis: Die FDP ist eine Partei mit einer kleinbürgerlichen und
mittelständischen Mitgliedschaft, die die Interessen des Großkapitals bedient. Darin liegt ein Widerspruch; die Befindlichkeiten beider fallen
durchaus nicht immer zusammen, vor allem dann nicht, wenn der Mittelstand unter wachsenden ökonomischen Druck gerät. Hier liegt ihre weiche
Flanke, ihre Anfälligkeit für Radikalisierungen im Kleinbürgertum. Was Möllemann von sich gibt, bringt eher
Stimmungsschwankungen in der kleinen und mittleren Geschäftswelt zum Ausdruck, als Interessen des Großkapitals (der Bundesverband der
deutschen Industrie hat signalisiert, dass er die von ihm ausgelöste Debatte nicht gebrauchen kann).
Welcher Satz bewiese das besser als das so penetrant wiederholte: "Man wird in Deutschland doch noch sagen dürfen, dass…?" Da macht sich
einer zum Anwalt der Stammtische. Mit einem Aufbegehren unterdrückter Meinungen hat das wenig zu tun.
Die deutschen Medien und viele deutsche Politiker haben sich durchaus kritisch mit Israels
Politik in den besetzten Gebieten auseinandergesetzt und sind dafür vom Allgemeinen Jüdischen Wochenblatt oder in Michael Friedmans Talkshows
heftig kritisiert worden. Sicher, man findet auch die Hetzposition der Springerpresse, auf die das Wort vom Antisemitismus als Totschlagargument
uneingeschränkt zutrifft. Aber sie prägt nicht den Mainstream der aktuellen deutschen Politik, und die Auseinandersetzung um Deutschlands
Verhältnis zu den USA (denn darum geht es in der Hauptsache) geht quer durch die Parteien.
Deutsche Außenpolitik lässt sich heute am ehesten beschreiben als Festhalten an
der Gefolgschaft zu den USA bei wiederholten, meist wenig chancenreichen Ausbruchsversuchen. Die objektiv widersprüchliche Situation, in der sich
Deutschland (und die EU) befinden, lässt wenig Raum für Glaubenskriege des Typs: "Deutschland am Scheideweg: pro oder contra
Israel?" Zu einem guten Teil werden da Ersatzdebatten geführt die ihren politischen Zweck nicht weniger erfüllen , wo sich
unlösbare innen- und außenpolitische Probleme in ideologischen Scheingefechten entladen, weil die Probleme unlösbar sind.
Auch Möllemann führt eine Ersatzdebatte. Wenn es ihm um die Mobilisierung von
Solidarität für die Palästinenser ginge, würde er sich nicht effekthascherisch einer Wortwahl bedienen, die das dumpfe Bild einer
"amerikanisch-zionistischen Weltverschwörung" nahelegt. Die Wortwahl verrät sich dadurch, dass er wenn auch in der Kritik
Israel, die israelische Regierung und die Juden in eins setzt. Damit macht er spiegelbildlich dasselbe wie die philosemitische Presse auch, die sich mit
eben diesem Argument jede Kritik an Israel verbietet. Auf palästinensischer Seite findet man das kaum, die sucht eher nach Bündnispartnern unter
israelischen und nichtisraelischen Juden. Ihrer Sache ist Möllemann deshalb auch überhaupt nicht hilfreich, im Gegenteil.
Man kann bei solchen Debatten die Äußerungen nicht von der Person lösen,
die sie getätigt, und von dem politischen Hintersinn, den sie verfolgt. Der Drang, den Stammtisch zu mobilisieren, macht deutlicher als jede semantische
Untersuchung, worum es Möllemann geht: Darum, einen Blitzableiter aufzup?anzen, der aufgestautes Unbehagen auf Ersatzgegner leitet. Das aber ist die
klassische Funktion des Antisemitismus in Deutschland, die hat Möllemann reaktiviert und insofern hat er antisemitische Vorurteile bedient. Und sein
Nachtreten gegen Friedman signalisiert unzweideutig, dass er sich auch weiterhin vorbehält sie zu bedienen. Man würde den Antisemitismus und
seine reaktionäre Funktion in einem imperialistischen Land gründlich missverstehen, reduzierte man ihn auf offene Judenfeindschaft.
Eine dritte Dimension der Debatte ist derzeit wohl die ernsteste. Sie betrifft die Ethnisierung von Kon?ikten, die sich in anderen Regionen abspielen, und ihre
Instrumentalisierung für die hiesige Politik.
Eine fundamentalistische Entwicklung in den jüdischen Gemeinden Europas ist kaum zu
bestreiten. Den in Europa lebenden Juden soll nicht das Land, in dem sie leben, sondern Israel als ihre ausdrückliche Heimat gelten, und zwar eine
Großmacht Israel, das die arabischen Nachbarn möglichst im Staub vor sich sieht. Der Gründungsmythos, wonach der Staat Israel die einzige
Fluchtburg vor den Naziverbrechen gewesen sei, spielt dabei eine zentrale Rolle. Ob er historischen Bestand hat, spielt kaum eine Rolle. Das hängt nicht
von historischen Tatsachen ab, sondern davon, ob Juden sich in Europa sicher fühlen können und selbstverständlicher Bestandteil seiner
Bürgerschaften sind mithin in ihrer individuellen Identität wahrgenommen und nicht zu Juden gestempelt werden.
Der Gründungsmythos wird um so lebendiger und das Vorhaben, es
mögen sich alle Juden auf der Welt mit dem Staat Israel identifizieren, um so erfolgreicher , je mehr sich jüdische Menschen in Europa
bedroht fühlen. Es bedroht sie aber nicht die Kritik an der israelischen Staats- und Regierungsführung, sondern es bedrohen sie die deutschen (und
europäischen) Verhältnisse.
Die Tendenz, Juden kollektiv verantwortlich zu machen für die Politik des Staates Israel
(und für die Politik, die imperialistische Staaten mit der jüdischen Geschichte treiben) findet sich auch in moslemischen Gemeinden. Das ist nicht
weniger reaktionär, liest sich aber vor dem Hintergrund der Geschichte ihrer Herkunftsländer anders. Der Vergleich zwischen den Verbrechen der
israelischen Regierung und den Methoden der Nazi-Diktatur oder das Wort von der zionistischen Weltverschwörung werden nicht dadurch richtig, dass sie
von einem Syrer wie Karsli kommen. Und wenn er sich in deutsche Politik einmischen will, muss man von ihm verlangen, dass er den geschichtlichen
Hintergrund des Landes versteht, zu dem er als Politiker spricht. Dennoch mag man Karsli nicht auf eine Stufe mit Möllemann stellen, aber man man wird
ihm entgegenhalten müssen, dass er dem deutschen Rechtsextremismus damit in die Hände spielt und die arabische Gemeinde gefährdet.
Angela Klein