SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 7

Möllemann,

der Antisemitismus und die Linke

In der Debatte über das jüdische Volk, Antisemitismus und Israel sollten zwei Maximen Grundlage einer linken, sozialistischen Politik sein:
Erstens müssen wir uns immer wieder erneut die historisch einmaligen Verbrechen des NS-Regimes an der jüdischen Bevölkerung in Europa und die Tatsache bewusst machen, dass der Holocaust keine Angelegenheit einiger Top-Nazis war, sondern dass Hunderttausende Deutsche daran aktiv teilgenommen hatten (z.B. in der Reichswehr und bei der Reichsbahn). Grundlage für diese Verbrechen war nicht so sehr der fanatische Wille der NS-Führung zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung als vielmehr der abgrundtiefe Antisemitismus, der in der deutschen Bevölkerung seit vielen Jahrzehnten grassierte. Diese erste Maxime hat im übrigen nichts mit der Kollektivschuldthese zu tun. Sie mündet in der Erkenntnis, dass der Antisemitismus in unserem Land eine schreckliche Tradition und eine gefährliche Aktualität aufweist.
Die zweite Maxime muss lauten, dass eine Diskussion über Antisemitismus strikt zu trennen ist von der Debatte über Israel und aktuell über die Politik der Regierung Sharon. Letzteres heißt auch umgekehrt, dass jede Vermengung dieser beiden Themen, wie sie ganz offen der NRW-MdL Karsli und sein Mentor Möllemann betrieben, uns alarmieren und fragen lassen muss, inwieweit hier nicht eine Kritik an der israelischen Regierung genutzt wird zur Schürung des Antisemitismus. Die Kritik an der Politik Sharons ist nicht tabu, auch nicht solche aus deutschem Mund. Doch sie muss die erste Maxime mitdenken und sich jeder Vermengung enthalten. Karsli und Möllemann haben eben diese Vermengung vorgenommen und Vergleiche zwischen der israelischen Politik und der Nazi-Politik 1933—1945 vorgenommen. Solche Vergleiche sind sachlich unhaltbar und wirken wie Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus.
Zur aktuellen Politik Israels und zur Notwendigkeit einer linken Kritik an derselben wurde in der SoZ bereits viel und teilweise Zweideutiges, Mißverständliches und Falsches geäußert. Meine letzte Kolumne hatte ebenfalls dieses Thema. Hier soll von der ersten Maxime und der Debatte um Möllemann die Rede sein.
Möllemann hat nicht in erster Linie berechtigte Kritik an Israel vorgetragen. Er betrieb zuvörderst Antisemitismus und eine knallharte Strategie, die FDP zu "haiderisieren". Das wurde bereits dann deutlich, als er Karsli offen protegierte. Dieser hatte von der "zionistischen Weltverschwörung" gesprochen. Möllemanns Replik auf Michel Friedman, dieser trage Mitschuld am Antisemitismus, transportierte dann das jahrhundertealte Klischee und die Umkehrung der Wirklichkeit, wonach "der ewige Jude" schuld an der Judenverfolgung sei. Auch die Friedman zugeschriebenen Attribute der Gehässigkeit und Intoleranz, die ebenfalls in dem Zusammenhang, in den sie gestellt wurden — Förderung des Antisemitismus — zu kritisieren sind, entsprechen einem Stereotyp des Antisemitismus, wie ein solcher bereits in Shakesspeares Kaufmann von Venedig auftritt (über Shylock spricht der Herzog im IV.Aufzug, 1.Szene: "Es ist ein Unmensch, keines Mitleid‘s fähig / Kein Funk‘ Erbarmen wohnt in ihm").
Die von Möllemann & Co. kalkulierten Folgen traten umgehend zu Tage. Als Möllemann Mitte Juni eine Düsseldorfer Kneipentour veranstaltete, konnten TV-Reporter offenen Stammtisch-Antisemitismus einfangen, ohne dass Möllemann dem entgegengetreten wäre. Auf FDP-Homepages tummelten sich Neonazis. Auf NPD-Demonstrationen wurden Transparente pro Möllemann präsentiert. In NPD-Kreisen wird im übrigen das "Projekt 18" als Synonym für Adolf Hitler (Buchstabe 1 und 8 des Alphabets) gesehen — und dies im übrigen seit mehr als einem Jahrzehnt.
Ein Mann mit dem Pseudonym "Möllemann" gab bereits am 27.5. — ausgerechnet im ND — das Ziel von "Projekt 18" vor, als er dort von einer "Welle des erwachenden Selbstbewusstseins der Völker Europas" schrieb, in diesem Zusammenhang Pim Fortuyn erwähnte und programmtisch formulierte: "Es begann in Österreich". Der Artikel war im Nazi-Jargon überschrieben mit: "In die neue Zeit". Insider wissen, dass dieser Artikel (wie viele andere) von Möllemanns verdeckt agierendem Berater Fritz Goergens stammt. Der Mann war 1979 bis 1983 unter seinem damaligen Namen Fritz Fliszar FDP- Generalsekretär und betrieb in dieser Funktion die "Wende" weg von Kanzler Schmidt und hin zu den CDU-FDP-geführten Regierungen. Er legte 1992 als Vorsitzender der Friedrich Naumann-Stiftung ein rechtsradikal-neoliberales Programm vor — mit kompletten Entstaatlichungsforderungen im sozialen und Kulturbereich. Als er sich auch als Haider-Fan allzu offen outete, ließen ihn Lambsdorff und Genscher fallen. Seitdem arbeitet Goergens auf Beraterbasis für den Fallschirmspringer und für Container-Guido. Das "Projekt 18" ist ebenso eine Goergens-"Idee" wie der Gedanke, die FDP müsse Tabus brechen, was bekanntermaßen 1999 in einem FDP-Plakat mit Hitler-Konterfei mündete.
Alles Zufälle? Hier geht es eher um die einfachen Künste des Addierens. Da haben wir erstens die Geschichte der FDP, die bis Anfang der 70er Jahre einen nationalliberalen Flügel mit Nazi-Elementen hatte (Mende, Zogelmann, Starke u.a.). Zweitens sind spätestens seit 1990 die Sonderbedingungen, die die FDP im Parteienspektrum in Richtung Demokratie rücken ließen vorbei. Es gibt eine knallharte neoliberale Offensive, deren Vertreter rein sachlich und logisch gesehen in der Unternehmerpartei FDP ihre Heimat haben. Schließlich haben wir drittens die erwähnten Erfolge von Haider und der anderen rechtspopulistischen, neoliberalen Parteien.
Vor diesem Hintergrund ist deutlich, wohin das Guidomobil rollt bzw. erkennbar, wer es wohin lenkt.

Winfried Wolf


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