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Schröder klammerte Reizthemen wie die Steuer- und Finanzpolitik oder auch weitergehende Aussagen zur
Arbeitsmarktpolitik aus seiner Rede aus und konzentrierte seine Angriffe auf die Union u.a. darauf, sie wolle zurück zum "verstaubten und
antiquierten Familienbild aus der Kaiserzeit".
Schröder versprach auch die Sicherung der Arbeitnehmerrechte, einen starken
Sozialstaat und den Erhalt der Tarifautonomie letzteres war eine Breitseite gegen die Ankündigung der CDU/CSU, im Falle eines Wahlsiegs den
Betriebsparteien zu erlauben, in Krisenzeiten nach unten vom Tarif abzuweichen. Dies als den zentralen Unterschied zwischen "rot-grün" und
schwarz-gelb auszumachen, hatte Zwickel in Vorgesprächen empfohlen und niemand hat ihm die Frage gestellt, wie glaubwürdig das denn
sei, wo er doch selber zum Vorreiter von Öffnungsklauseln in Tarifverträgen geworden ist.
An anderer Stelle lag der Dissens mit der Bundesregierung offen zutage: Der DGB-
Bundeskongress forderte einstimmig einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Steuerpolitik und sprach sich auch eindeutig gegen die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe aus.
Am Ende von Schröders Rede aber freute sich der neue DGB-Chef: "Gerhard
Schröder hat sich auf den Weg zu uns gemacht, und er hat diesen Weg gefunden." Er verabschiedete er den Kanzler mit den Worten: "Weiter
so!" Am Rande des Kongresses wurde er sogar ungeachtet eines Dementis der Pressestelle mehrfach zitiert mit der Äußerung,
er könne sich auch eine Große Koalition vorstellen.
Sommers größte Herausforderung wird sein, wie er mit den Widersprüchen
zwischen den beiden Giganten im DGB, IG Metall und Ver.di, fertig wird, ob er in der Lage sein wird, den DGB als Dachorganisation mit einer nennenswerten
Aufgabenstellung zu erhalten.
Zwischen IG Metall und Ver.di gab es verschiedene Konflikte auf dem Kongress; hier sei nur
auf einen eingegangen, der das Elend der deutschen Gewerkschaftspolitik anschaulich auf den Punkt bringt. Es ging um die Frage des Mindestlohns.
IG BAU, ver.di und NGG hatten einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der DGB solle eine
Kampagne für ein Mindesteinkommen in Höhe von 1500 Euro durchführen. Der Antrag hatte über die gewerkschaftlichen Kreise
hinaus auch bei den Arbeitslosen Zustimmung ausgelöst, weil letztere sich über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Löhne und
dem zunehmenden Arbeitszwang für Erwerbslose durchaus im klaren sind. Die Antragsteller meinten nicht einen gesetzlichen Mindestlohn, sondern eine
politische Kampagne des DGB für eine untere Marge im Tarifgefüge. Gerade in ihrem Organisationsbereich gibt es viele Berufe, in denen die
Beschäftigten die Hälfte, wenn nicht weniger verdienen; aber auch im Metallhandwerk gibt es Niedriglohn, und im Textilbereich liegen die
Tarifeinkommen "bedrohlich niedrig" die Textilgewerkschaft ist heute Teil der IG Metall.
Aus den Reihen der IGM kam das Kontra. Deren Redner wollten zwar die Kampagne
unterstützen, aber die konkrete Zahl 1500 Euro draußen haben. Die Argumente waren teils hanebüchen, teils entlarvend.
Einige kritisierten, allen Beteuerungen zum Trotz würden dadurch dennoch Erwartungen
auf einen gesetzlichen Mindestlohn geweckt und damit Enttäuschungen bei den Mitgliedern produziert. Der Staat könnte in der Lage sein,
gesetzlich mehr durchzusetzen als die Gewerkschaft in ihren Tarifverhandlungen. "Dann kämen wir an einen Punkt, an dem die Tarifpolitik nicht
mehr der organisationspolitische Motor ist." Die Gewerkschaften sollten deshalb "bloß nicht ein Orientierungsdatum nennen, das uns selber
organisationspolitisch zum Verhängnis wird".
Andere fürchteten geradeheraus um die Glaubwürdigkeit ihrer Tarifpolitik:
"Ich glaube nicht, dass wir ausschließen können, dass wir in unseren Tarifkommissionen außerordentlich problematische Diskussionen
haben würden, wenn wir einerseits als DGB-Gewerkschaft eine solche Kampagne gemeinsam mit euch beschließen und andererseits eine
Tarifpolitik betreiben, wie wir sie in diesem Jahr praktisch gemacht haben. Wir haben ein neues Entgeltdifferenzierungssystem … durchgesetzt, nach dem wir
natürlich für große Teile der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie Einkommen unter 1500 Euro durchaus akzeptieren
müssen."
Ein Kollege aus Thüringen drückte sich weniger gewunden aus: "Wenn wir
denen (den Wachleuten) 1500 Euro nennen, dann stellen sie klipp und klar die Frage: Wann bekommen wir die, und wie wollen wir das durchsetzen?"
Die Kontroverse wurde so gelöst, dass der DGB-Bundesvorstand eine Kampagne ins
Leben ruft und den konkreten Betrag "nach intensiver Beratung" (Frank Bsirske) festlegt. Wenn sich bei der IG Metall nichts bewegt, wird es dazu
nicht kommen.
Angela Klein