SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 10

Bauleute im Streik

Mit Mindestlohn gegen Lohndumping

Nicht die starke IG Metall mit ihrer boomenden Automobilindustrie fordert bei der diesjährigen Tarifrunde die Arbeitgeber heraus, sondern die kleine IG BAU, deren Industrie sich trotz der enormen Bautätigkeit in Ostdeutschland in den letzten zehn Jahren im Niedergang be?ndet. Der Streik, den sie am 17.6. begonnen hat, geht an die Substanz — die Forderungen der Bauunternehmer auch.

Die IG BAU hat sich für ihren ersten flächendeckenden Streik seit über 50 Jahren ein historisches Datum ausgesucht: Am 17.Juni 1953 streikten die Ostberliner Bauarbeiter gegen die Anhebung der Leistungsnormen. Der Streik wurde mit Panzern niedergewalzt; aber danach musste die SED-Führung eine vorsichtige liberale Öffnung zulassen. In der DDR wurde der Streik zum Symbol einer reaktionären bis faschistischen Unterwanderung des "Arbeiter- und Bauernstaats" und die Bauarbeiter selbst zur fünften Kolonne des kapitalistischen Westens erklärt.
Im Westteil der Republik war man froh, ein proletarisches Aushängeschild für den Kalten Krieg zu haben; angeführt von der Springer-Presse wurden die Bauleute zu Helden und es wurde ihnen sogar ein Feiertag gewidmet — der einzige Nationalfeiertag, den es in der BRD gab (der 8.Mai, der Jahrestag der Kapitulation der Nazis, wird nur im französischen Nachbarland gefeiert). Nach dem Fall der Mauer haben die Proleten ausgedient, der Feiertag wurde abgeschafft, man hat jetzt den 3.Oktober; und die Helden von einst sind arme Schweine geblieben, die man auspresst bis aufs Blut.
In Westdeutschland gehörte der Antikommunismus zur offziellen Ideologie auch der Gewerkschaften. Die IG Bau tat sich durch besonderen Eifer in der Kommunistenjagd hervor. Ihr Vorsitzender in den 50er und 60er Jahren, Georg Leber, schreckte dabei auch vor schmutzigen und satzungswidrigen Methoden nicht zurück. 1955 löste er kurzerhand den Bezirk Nordrhein auf und entließ alle Hauptamtlichen, weil der Einfluss der KPD zu groß war. Heute wehen auf den bestreikten Baustellen rote Fahnen. So ändern sich die Zeiten.
98,63% haben für den Streik gestimmt — und dennoch ist das nicht mehr als ein Drittel der Bauarbeiter, weil die IG BAU nur 340000 Mitglieder im Bauhauptgewerbe zählt, von insgesamt 850000 Beschäftigten. Nur noch im Bereich Nahrung und Gaststätten ist die Spaltung der Belegschaften so vielfältig wie hier: gewerkschaftlich Organisierte und Nichtorganisierte, Ost und West, unzählige Nationalitäten, tarifgebundene und nicht tarifgebundene Unternehmen, Legale und sog. Illegale. Dass die IG BAU es vermocht hat, all diese unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen in einem Arbeitskampf zu vereinen, ist eine Leistung für sich.
Der Streik erfasst nicht nur die Gewerkschaftsmitglieder oder tarifgebundenen Unternehmen. In tarifungebundenen Bauunternehmen hat er sogar schon einige Tage vorher, am 11.Juni, begonnen. Die Kollegen ziehen von Baustelle zu Baustelle und nehmen die Leute mit.
Ein erstes Streikziel wurde schon erreicht: In Bremen erstreikte die IG BAU für den Arbeitgeberverband ein neues Mitglied. Nach einer Woche Streik hat sich die Firma Marcus Bau verbindlich verpflichtet, Mitglied im Bauarbeitgeberverband zu werden und die Beschäftigten künftig tarifgerecht zu entlohnen; bisher wurden sie deutlich unter Tarif bezahlt.
18000 Bauarbeiter auf über 1200 Baustellen in zwölf Bundesländern waren am 20.Juni im Streik — das Potenzial an streikbereiten Mitgliedern sei damit längst nicht erschöpft, erklären Streikführer. Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind die nächsten Bundesländer auf der Liste.
Lohnforderungen spielen auch in diesem Arbeitskampf eine zentrale Rolle, aber anders als bei den vorhergehenden Tarifrunden von Chemie und Metall. 4,5% mehr für alle — Arbeiter, Angestellte, Azubis — fordert die Gewerkschaft. Die Erhöhung der Ausbildungsvergütung ist voller Bestandteil des Streiks und nicht ein Anhängsel unter ferner liefen wie sonst bei Tarifrunden.
Die von den Unternehmern angebotenen 3% (2,1% ab April nächsten Jahres) weist der Vorsitzende Klaus Wiesehügel als pure Augenwischerei von sich: die 3% gelten erst ab September, dazwischen liegen fünf Nullmonate, die reale Erhöhung beträgt deshalb im ersten Jahre gerade mal 1,75%.
Aber die Prozente machen es nicht allein; auf dem Bau stimmt das ganze Tarifgefüge nicht mehr, seit Subunternehmer auf die Baustellen gedrungen sind und die Leute 10% unter Tarif bezahlen oder mit Illegalen ihr Geld machen, die in Containern schlafen und für 3 Euro die Stunde arbeiten. Deshalb spielt die Forderung nach Anhebung der Mindestlöhne in Ost und West eine zentrale Rolle.
Im Osten liegt der Mindestlohn derzeit bei 8,63 Euro, im Westen bei 9,80 Euro. Der Hauptverband der Bauindustrie hat darauf gehofft, die Mobilisierung im Osten werden nicht gelingen. "Die sind viel mehr an sicheren Arbeitsplätzen interessiert, als an höheren Löhnen." Aber das Märchen nimmt ihm keiner mehr ab.
"Wenn an dem Arbeitgeberargument, niedrige Löhne würden Arbeitsplätze schaffen, etwas dran wäre, hätten wir in Sachsen Vollbeschäftigung", kontert Streikleiter Peter Schulze aus Magdeburg. Der Streik der IG BAU ist vielleicht der erste gesamtdeutsche Streik, der diesen Namen verdient. Kein ostdeutsches Bundesland ist ausgenommen, und hier wie anderswo werden in erster Linie die "sensiblen" Baustellen bestreikt wie der Autobahnbau in der Uckermark oder an der A4 bei Erfurt, oder dort, wo unter Termindruck gearbeitet wird und den Unternehmen hohe Konventionalstrafen wenn nicht gar Schadenersatz drohen, wenn der Termin nicht gehalten werden kann.
Was die Bauleute so richtig aufgebracht hat, ist dass die Unternehmer ihre eigenen Tarifforderungen aufgestellt haben, die lauten: Der Sonnabend soll zum Regelarbeitstag werden, Überstundenzuschläge sollen wegfallen, bei Urlaub, Auswärtsarbeit und Fahrgeld soll drastisch gekürzt werden. "Ich arbeite die meiste Zeit auswärts", erzählt ein Kollege aus Hamburg der Streikzeitung der IG BAU, Grundstein. Da treffen mich Kürzung bei Auslösung und Fahrgeld besonders hart. Wenn ich mit dem gleichen Geld nach Hause komme wie ein Kollege, der nur in Hamburg arbeitet, kann ich das meiner Familie nicht mehr erklären."
Ein anderer sieht das Ende der Fahnenstange erreicht: "Erst wurde der Akkord runtergeschraubt, dann die Haustarife. Jetzt soll womöglich der Sonnabend zu einem normalen Arbeitstag werden. Das mache ich nicht länger mit…"
Ginge es nach dem unternehmernahen ifo-Institut, müssten die Löhne am Bau noch viel stärker gedrückt werden. Der Bau sei eine "schrumpfende Branche", erklärt Institutsleiter Hans-Werner Sinn; in Deutschland seien hier die Löhne generell zu hoch, die Beschäftigten dürften bestenfalls einen Inflationsausgleich bekommen.
Das geht selbst einigen Unternehmern zu weit. Ihr Verhandlungsführer Thomas Bauer plädiert für höhere Mindestlöhne in Deutschland, die dann auch die ausländische Konkurrenz zahlen müssten. Aber es geht nicht nur gegen die. Auch dass ostdeutsche Unternehmen 25% der Bauaufträge im Westen erledigen, weil sie niedrigere Lohnkosten haben, stinkt ihm gewaltig.
Gegenüber dem Handelsblatt (6.Juni) erklärt er: "Die ruinöse Konkurrenz am Bau muss ein Ende haben. Wir brauchen fairen Wettbewerb zwischen Ost- und Westbetrieben. Dies wollen wir durch einen gestaffelten Mindestlohn schaffen, den die IG BAU fordert. Künftig sollen Firmen — auch die, die nicht dem Flächentarif unterliegen — für Facharbeiter einen Mindestlohn zahlen, der oberhalb des gängigen gesetzlichen Mindestlohns liegt. Das werden die Ostarbeitgeber sicher nicht mit Freude mittragen."
Die Vorstellungen der Gewerkschaft trifft das nicht; sie fordert einen Mindestlohn für unqualifizierte Arbeiter und die Entlohnung der Facharbeiter nach ihrer Qualifikation. Außerdem gibt es den gesetzlichen Mindestlohn, auf den sich Bauer beruft, nicht, es sei denn, man versteht die Sozialhilfe darunter.
Facharbeitertätigkeit demnächst gegen Sozialhilfe? Am anderen Ende zerren die Ostunternehmer. Sie wollen von einem Mindestlohn gar nichts wissen. An dem Punkt haben sie die Schlichtungsverhandlungen platzen lassen. Dafür haben sie den Streik bekommen.
Das Unternehmerlager ist tief gespalten. Eine Reihe von Ostfirmen haben sich zu einem neuen Verband zusammengeschlossen. "Der neue Verband schadet der Wirtschaft", sagt Bauer unmissverständlich. "Er will eine Revolution, die in einer so feingliedrigen Marktwirtschaft wie der unseren nur Schaden anrichten würde. Wir dürfen den Flächentarif nicht abschaffen, sondern müssen ihn reformieren. Nötig ist vor allem, den Betriebsparteien mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu geben." Was wird damit umschrieben?

Angela Klein


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