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Auch die seit einem Jahr bestehende Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat sich auf eine aktive
Tarifauseinandersetzung in den verschiedenen Branchen vorbereitet. In keinem Bereich wurde ein Tarifabschluss erreicht, ohne dass vorher nicht zumindest
massive Warnstreiks nötig gewesen wären.
Die Abschlüsse in der Druckindustrie und bei der Post wurden in letzter Minute erreicht,
bevor es zu Urabstimmungen über Streiks kam. Materiell blieben sie unterhalb der erwünschten 4%.
In der Metallindustrie gibt es zwar auch keine echten 4%, aber die Abschlüsse bei Ver.di
haben nirgendwo eine 4 vor dem Komma stehen. In der Druckindustrie wurden 3,4% abgeschlossen, bei der Post gab es gar einen Abschluss für zwei
Jahre mit 3,5% ab dem 1.Juni und nochmals 3,2% ein Jahr später.
In der Versicherungsbranche eröffneten die Unternehmer die diesjährige
Tarifrunde mit einer politischen Forderung: Ver.di möge erklären, dass sie sich von der geplanten Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze
im Zuge der nach der Bundestagswahl zu erwartenden Gesundheitsreform distanziere. Ansonsten wären sie nicht bereit, mit Ver.di über einen neuen
Tarifvertrag zu verhandeln. Sie drohten, mit dem gelben Verband DVV Tarifverhandlungen zu führen.
Nachdem der Fachgruppenvorstand Versicherungen dieser Erpressung nachgegeben hatte,
konnten die Verhandlungen beginnen.
Trotzdem waren die lieben "Arbeitgeber" nicht bereit, einen Tarifabschluss auf
"friedlichem" Weg zu finden. Es bedurfte einer für die Versicherungsbranche kräftigen Mobilisierung, an den Warnstreiks nahmen
mehrere tausend Beschäftigte teil, um in der Nacht vom 20. auf den 21.Juni zu einem Abschluss zu kommen. Bei einer Laufzeit bis zum 30.9.2003 wurde
eine Erhöhung von 3,5% vereinbart.
Wie in den anderen Bereichen auch, forderte Ver.di bei den Banken 6,5%. Aber auch hier
stellten die Unternehmer eigene Forderungenauf. Die Einkommen der Beschäftigten sollten zu zwei Dritteln festgeschrieben werden, das andere Drittel
sollte variabel sein. Ohne eine solche "Neugestaltung" würde es keinen Abschluss geben. Darauf konnte Ver.di natürlich nicht eingehen,
sollte nicht aller Kredit bei den Beschäftigten verspielt werden.
Aber auch eine Reihe von Warnstreiks konnten die Unternehmer nicht von ihrem Vorhaben
abbringen. Es blieb nichts anderes übrig, als die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und Urabstimmungen über Streiks
einzuleiten.
Am 20.6. fanden die ersten Streiks statt. Im Ruhrgebiet folgten 4000 Beschäftigte dem
Streikaufruf der Gewerkschaft. Das Kalkül der Unternehmer, durch eine vorläufige Erhöhung der Einkommen um 3,1% die Luft aus der
Tarifrunde rauszulassen, ist zumindest erst einmal nicht aufgegangen.
Auch im Einzelhandel sind die Unternehmer mit eigenen Forderungen in die Tarifrunde
gegangen. Trotz der bescheidenen Einkommen wollen sie eine neue Niedriglohngruppe im Tarifvertrag verankern. Die 6,5%-Forderung von Ver.di sei sowieso
überhöht und würde die wirtschaftliche Lage des Einzelhandels überhaupt nicht berücksichtigen. Eigentlich sei eine Nullrunde
angesagt.
In den ersten Verhandlungen boten sie für 2002 1,7% an und für 2003 einen
Ausgleich für die Preissteigerungen. Die Einzelhandelsunternehmer geben mal wieder die Rolle der Krauter der Republik, die um jeden Cent bis aufs
Messer feilschen.
Die Einzelhandelsbeschäftigten sind aber auch in diesem Jahr wieder in der Lage, sich
gegen diese Politik der Bosse zu wehren. Die Streikaufrufe werden oft sehr gut befolgt. Besonders bei Karstadt sind die Beschäftigten verbittert, hat doch
der Vorstand sämtliche übertariflichen Leistungen gekündigt.
Bis zum 22.Juni beteiligten sich über 20000 Beschäftigte an den Streiks. Ob aber
die Kraft ausreicht, um auch im Einzelhandel ein Ergebnis von 3,5% zu erreichen, bleibt abzuwarten.
Helmut Born