SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 12

Welternährungsgipfel in Rom

Die WTO-Richtlinien wurden übernommen

13.Juni 2002. Silvio Berlusconi hält die mit diplomatischen Phrasen überladene Schlussrede des Welternährungsgipfels in Rom. Sein weniger diplomatischer Tipp an die FAO: Sie solle von ihm lernen, wie ein Unternehmer alle zehn Jahre das Personal um 30% reduzieren und dadurch die Produktivität um 10% steigern könne. Berlusconi präsentiert damit ohne Umschweife die Quintessenz des Gipfels: Profit.

Eine kurze Rückblende ins Jahr 1996. Als wesentliches Ziel setzen sich die Staats- und Regierungschefs auf dem ersten Ernährungsgipfel in Rom, die Zahl der unter Hunger leidenden Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Die Zahlen werden gebetsmühlenartig heruntergeleiert, ein Toter alle 3,6 Sekunden, 1000 Tote in der Stunde… Die Statistik des Jahres 1996 weist 840 Millionen Menschen aus, die unter Hunger leiden — auf 400 Millionen sollte ihre Zahl gesenkt werden.
Die Entwicklung der letzten fünf Jahre spricht aber eine andere Sprache. Die neueste Armutsstudie der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) stellt fest: "Sollten sich die gegenwärtigen Trends in der Politik nicht ändern, wird die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen, bis zum Jahr 2015 auf 420 Millionen steigen."
Die Gipfel-Offiziellen haben schnell ihre gewohnten Erklärungen parat: Korruption, Protektionismus, zu geringe Liberalisierungen der Märkte, zu geringe Exportorientierung, die Chancen der gentechnisch veränderten Pflanzen werden verkannt, schlechte Regierungsführung. Das Ergebnis des Welternährungsgipfels in Rom ist ernüchternd, eine Abschlusserklärung, die den neoliberalen Zeitgeist widerspiegelt.
Nachdem sich das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) bereits in seinem letzten Entwicklungsbericht in die Riege der Modernisierungs- und Fortschrittsgläubigen eingereiht hat, sucht auch die — als relativ kritische geltende — Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) mit ihrer Abschlusserklärung Anschluss an diese Positionen. Die "Internationale Allianz gegen den Hunger" basiert auf den Ergebnissen des WTO-Gipfels in Doha und einer "verantwortlichen Nutzung der Biotechnologie".
Ideologische Vorreiter stehen Gewehr bei Fuß. Mark Cackler, Weltbankfunktionär und — ein Indiz für den Stellenwert des Gipfels — stellvertretend für den Vize-Chef der Abteilung für Nachhaltige Entwicklung —, umreißt die Vorstellung seiner Organisation, die von der Notwendigkeit einer "hochproduktiven Landwirtschaft" ausgeht. Die Antwort darauf, wie sich diese Form der Agrarwirtschaft mit der Förderung der Kleinbauern, der nachhaltigen Entwicklung oder der Lösung sozialer Probleme vertragen soll, bleibt er schuldig.
Aber Cackler weiß sich in guter Gesellschaft: Die US-Landwirtschaftsministerin Ann M. Veneman verdeutlicht unmissverständlich die amerikanische Rezeptur. Auch sie hält eine "Wachstumsstrategie, um die Armen zu erreichen" für geeignet im Kampf gegen den Hunger — eine Formulierung, die fatal an die "Trickle-down"-Visionen vergangener Zeiten erinnert. Marktorientierte Politik, Good Governance, Rechtsstaatlichkeit und ein breites Wirtschaftswachstum sind die Zutaten, die private Initiative, Investition und Handel voranbringen sollen.
Die Vorschläge missachten allerdings den Fehlschlag der "Grünen Revolution", die vor 25 Jahren über Produktionssteigerungen für den Export — mit Hilfe eines massiven Einsatzes an Insektiziden und Pestiziden — Devisen erbringen und damit den Nahrungsmittelimport ermöglichen sollte.
Dass die Agrarministerin dennoch bei dem Rezept bleibt, ist verständlich, profitieren doch insbesondere US-amerikanische Konzerne von dieser Strategie — Monsanto hat bis zum Jahr 2001 94% des angepflanzten, gentechnisch veränderten Saatguts verkauft.
Die vertikale Konzentration dieses Marktes ist einmalig: Fünf (!) Konzerne kontrollieren 100% des gentechnisch veränderten Saatguts, die zehn größten beherrschen 84% des Welthandels der Agrochemie, 60% der Tiermedizin, 48% der pharmazeutischen Produkte und 30% des Welthandels mit Saatgut.
Die Pervertierung des Systems wird durch Zwangsmaßnahmen gegen die Länder des Südens auf die Spitze getrieben: Diese müssen Importe in der Höhe von 5% aller Gütergruppen im Nahrungsmittelbereich zulassen. Die massive Förderung von Nahrungsmitteln für den Export (cash crops) zur Devisenerwirtschaftung für die Schuldentilgung führt zu der paradoxen Situation, dass Malawi, ein Land, das dringend 3,2 Millionen Tonnen an Nahrungsmitteln benötigt, gezwungen war, 167000 Tonnen Getreide zu exportieren.
Neben der Schuldenstreichung stellt die Landverteilung in den Ländern des Südens ein Kernproblem dar — allerdings zeigt das Beispiel Zimbabwes, dass die simple Anordnung einer solchen Umverteilung nicht ausreicht, der Bedarf an Nahrungsmittelimporten des südafrikanischen Landes ist noch weiter gestiegen.
Das südliche Afrika insgesamt benötigt sofort 4 Millionen Tonnen Mais, um Hungerkatastrophen wie in Äthiopien 1984 oder in Somalia 1991 zu verhindern. Die Privatisierung kommunaler Ressourcen wie Land, Wasser und — über den Umweg der Patentierung von Pflanzen und anderen Organismen — der natürlichen Ressourcen insgesamt, entzieht der einheimischen Bevölkerung die Grundlagen für eine selbstbestimmte, sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung.
In seiner Erklärung "Nahrungssouveränität: Ein Recht für alle" machte das "Forum für Nahrungssouveränität", an dem sich fast 700 NGOs und soziale Bewegungen beteiligen, seine Enttäuschung über das Ergebnis des Gipfels deutlich. Es ist überzeugt, dass der Aktionsplan von 1996 deshalb scheiterte, weil "die Politiken, die zu Hunger führen, Politiken sind, die im Süden wirtschaftliche Liberalisierung und die Einebnung kultureller Vielfalt unterstützen". Nur durch Nahrungssouveränität — also durch "das Recht der Völker, Gemeinschaften und Länder, eine eigene Landwirtschafts-, Arbeits-, Fischerei-, Nahrungs- und Bodenpolitik zu definieren, die ökologisch, sozial, ökonomisch und kulturell den jeweiligen Umständen angepasst ist" — könne der Hunger wirksam bekämpft werden.
Ihre Forderungen an die Regierungsvertreter, die dem Gipfel in einem vierminütigen Beitrag von der malaysischen Sprecherin Sarogeni Rengam vorgetragen wurden, sind eindeutig: Die Priorität muss bei der "Nahrungsproduktion für den heimischen und lokalen Markt" liegen.
Entsprechend unterscheiden sich die Rezepte des Forums fundamental von den offiziellen: faire Preise statt Exportdumping, Zugang zu den Ressourcen — Land, Wasser, Wälder und Fischereigebiete —, die Anerkennung und Förderung der Rolle der Frauen, Kontrolle der Produktionsressourcen durch die Kommunen, Schutz des Saatguts und ein Moratorium für genetisch veränderte Pflanzen sowie öffentliche Investitionen.
Solche "Berührungspunkte" zwischen den offiziellen Konsultationen und dem Forum gehören mittlerweile zum Gipfelritual: 35 Vertreter von NGOs und sozialen Bewegungen waren zu einem "Dialog" mit den Regierungsvertretern zugelassen — eine Entwicklung, die sehr unterschiedlich beurteilt wird.
Nach den fünf Vertretern, die 1996 erlaubt waren, könnte dies ein Zeichen wachsender Anerkennung, aber auch eins der stärkeren Einbindung sein. Bekanntlich lag die "Erklärung" des Gipfels — genau wie bei der Konferenz in Monterrey über Entwicklungsfinanzierung — bereits vor Beginn des Spektakels vor. Die Glaubwürdigkeit einer Beteiligung von Vertretern der NGOs und der sozialen Bewegungen bleibt damit auf der Strecke.
Den Protest trugen die Gipfelkritiker auch auf die Straße. Unter dem Slogan "Land und Würde" zogen am 8.Juni 40000 DemonstrantInnen durch Rom. Wesentlicher Punkt des Protestes war das "Recht auf Nahrung" und die eigene Produktion von Nahrung, ganz im Gegensatz zum Gipfeljargon, der von einem "Recht auf Zugang zu Nahrung" ausgeht. Der Unterschied ist wesentlich, die Kritiker lehnen einen Kampf gegen den Hunger, der über Nahrungsimporte erfolgt, ab.
Diese Importe seien erstens eng mit der IWF-Strategie der Strukturanpassungsprogramme verbunden, die den Export von "cash crops" fordern, damit subventionierte Nahrung aus anderen Ländern zur Versorgung der Bevölkerung eingekauft werden kann, und treibe zweitens die weitere Liberalisierung der Agrarmärkte voran.
Einen weiteren Streitpunkt bildet der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen. Während die Gipfelteilnehmer, internationalen Organisationen und natürlich die multinationalen Konzerne hier eine große Chance wittern, sehen die DemonstrantInnen eine Bedrohung der Biodiversität, ungeklärte Risiken für die menschliche Gesundheit und die Tier- und Pflanzenwelt sowie eine gewaltige Abhängigkeit der Nahrungsproduktion des Südens von einigen wenigen Staaten und Konzernen des Nordens.
Anschauungsunterricht gab es gleich vor Ort. Etwa vierzig Menschen besetzten ein Feld mit gentechnisch veränderten Pflanzen, ein Vorgehen — wie wir nicht erst seit der Verurteilung des Sprechers der französischen Confédération Paysanne, José Bové, wissen —, das ungehaltene Reaktionen bei den Regierenden hervorruft.

Dirk Krüger


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