SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 18

Feminismus in der neuen Geschlechterordnung

Vom Umbau des Kapitals zum Umbau der Identitäten

Eine kürzlich in den USA durchgeführte Meinungsumfrage — die zeigt, dass der Anteil der US- amerikanischen Frauen, die sich selbst als feministisch bezeichnen, seit den frühen 90er Jahren zurückgegangen ist — hat dazu geführt, dass wieder vermehrt vom Ende des Feminismus gesprochen wird. Doch laut derselben Umfrage hat eine überwältigende Mehrheit der Frauen von 18 bis 29 Jahren und eine solide Mehrheit der Frauen von 45 bis 64 Jahren eine "günstige" Meinung über die Frauenbewegung.
Ebenso wie diese Meinungsumfrage ist der Platz des Feminismus im politischen Leben der USA schwer zu beurteilen. Eine Möglichkeit zu verstehen, was mit dem Feminismus passiert ist und ein politisches Aktionsprogramm zu entwickeln, liegt darin, diese Periode als eine Zeit der Konsolidierung einer neuen Geschlechterordnung innerhalb einer tiefen Umstrukturierung der globalen kapitalistischen Ökonomie zu betrachten.
Mit Geschlechterordnung (gender order) meine ich die sozialen und kulturellen Konstruktionen von Geschlechteridentitäten sowie die institutionalisierten Verhältnisse von Macht und Privilegien, die um diese Identitäten herum organisiert werden. Der Feminismus der zweiten Welle [der Feminismus seit den 60er Jahren] war wahrhaft historisch — er bedeutete die Infragestellung und Überwindung eines verankerten Gewebes kulturell und per Gesetz sanktionierter Ausgrenzungspraktiken.
Ansichten über natürliche Geschlechtsunterschiede in Bezug auf Intellekt, Charakter oder Fähigkeiten sind, wenn nicht verschwunden, so doch grundlegend revidiert worden. An seine Stelle ist eine Geschlechterordnung getreten, die weniger einheitlich und stabil ist und sich weniger auf fixierte Geschlechteridentitäten stützt.
In einem gewissen Sinn ist diese neue Geschlechterordnung der Höhepunkt eines Jahrhunderte alten Kampfes von Frauen gegen vorkapitalistische Beschränkungen ihrer Fähigkeit, am kapitalistischen Markt und an der liberalen politischen Ordnung teilzunehmen. Alle Frauen in den heutigen USA genießen eine nie gekannte Freiheit in ihrem Wettbewerb mit den Männern um den Arbeitsplatz und im politischen System sowie um die Aushandlung der Bedingungen ihrer häuslichen und sexuellen Beziehungen.
Aber nur wenige Frauen waren in der Lage, günstige Bedingungen mit Unternehmern und männlichen Partnern auszuhandeln. Ihre diesbezügliche Fähigkeit beruht auf einem großen, schlecht bezahlten Reservoir anderer Frauen, die im sich rasch ausdehnenden Dienstleistungssektor beschäftigt sind.
Die Bedeutung der Arbeitsimmigrantinnen für die Kommerzialisierung sozialer Betreuung in den USA ist mit einem globalen Prozess "ursprünglicher Akkumulation" verbunden, mit einer Verdrängung von Bevölkerungen von ihrem Land, die die Frauen auf den Arbeitsmarkt und aus ihren Ländern treibt.
Die "Internationalisierung" von Betreuungsarbeit ist eines der Schlüsselprobleme der neuen Geschlechterordnung. Die weitgehend nichtweißen Frauen, die diese Arbeiten als Lohnarbeiterinnen machen, und die weiteren Millionen Frauen, die in Büros und Fabriken arbeiten, sind weitaus weniger in der Lage, Vorteile aus den neuen ökonomischen und politischen Zugangsmöglichkeiten von Frauen zu ziehen, als die Frauen aus der oberen Mittelschicht.
Die bloße Tatsache jedoch, dass Frauen mit mehr kulturellem Kapital und ökonomischen Ressourcen Erfolg haben, "beweist", dass Erfolg möglich ist. Die Probleme, die so viele Frauen aus der Arbeiterklasse erfahren, erscheinen deswegen als individuelle Probleme. Die Schranken, die Geschlechterdifferenz und Ungleichheit bei der Hausarbeit und auf dem Arbeitsmarkt reproduzieren, sind unsichtbar, weil sie außerhalb der frei eingegangenen Beziehungen "hinter dem Rücken der Frauen" Gestalt annehmen.
Diese Schranken entstehen aus der Tatsache, dass die Verantwortung dafür, dass die Befriedigung des menschlichen Fürsorgebedürfnisses noch immer in erster Linie dem privaten Familienhaushalt zugeschrieben wird. Familien nehmen marktwirtschaftliche Dienstleistungen in Anspruch, doch die schiere Menge an unbezahlter Arbeit, die Familien leisten müssen, ist noch immer enorm.
Die Verantwortung für die Fürsorge wirklich zu vergesellschaften — und die Fürsorge auf eine Weise zu belohnen, dass auch Männer sie als Familienarbeit und als Lohnarbeit tun — erfordert eine nachhaltige Neuverteilung des Reichtums, eine Änderung der Prioritäten und eine Ausdehnung der Regierungsausgaben sowie eine stärkere Regulierung der Unternehmenspraktiken. All diese Veränderungen würden mächtige kapitalistische Interessen direkt bedrohen.
Es ist keine Überraschung, dass hier Feministinnen jedes mal enttäuscht wurden, auch wenn sie weiter erfolgreich die Errungenschaften der zweiten Welle ausdehnen und verteidigen.
Es ist keine große Übertreibung, wenn man sagt, dass der liberale Feminismus in der US-Kultur und -Politik mittlerweile hegemonial ist. Natürlich werden seine Ideen weiter bekämpft, besonders von der religiösen Rechten, die den patriarchalischen Familienhaushalt wiederherstellen will.
Aber während die Sozialkonservativen sowohl feministischen Organisationen als auch denen, die für die Rechte der Schwulen eintreten, viel Ärger bereitet haben, haben sie doch keine endgültigen Siege errungen. Während sie eine sehr breite sozialkonservative Tagesordnung aufgestellt hat, hat die Rechte nur relativ machtlose Gruppen erfolgreich attackiert.
Beispielsweise haben sie für Teenager, ländliche Frauen und arme Frauen den Zugang zu Abtreibungen beschnitten und die öffentlichen Schulen gezwungen, in die Sexualerziehung die Wertschätzung der "Enthaltsamkeit" aufzunehmen. Aber sie konnten nicht die Uhr der sexuellen Revolution zurückdrehen.
In diesem besonderen Kampf sind sie nicht nur mit einer gut organisierten, finanzkräftigen und hartnäckigen politischen Lobby von Abtreibungsbefürwortern konfrontiert, sondern auch mit mächtigen Marktkräften, die eine alles durchdringende Kommerzialisierung und Vermarktung der weiblichen Sexualität betreiben.
Dasselbe kann man von der Bewegung gegen die Homosexualität sagen. Die Rechte war hier erfolgreicher, doch sie wird langsam zurückgedrängt, teils weil die etablierten Schwulenrechtsgruppen zunehmend politisches Profil zeigen, teils weil die Schwulenszene Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen hat, teils weil die etablierten Bürgerrechtsgruppen und Gewerkschaften dafür gewonnen wurden, die Rechte der Schwulen zu verteidigen.
Organisationen, die "Fraueninteressen" verteidigen und unterstützen, sind auf der politischen Bühne der USA weiter fest verankert. Feministische Organisationen haben eine legitime Stimme, können finanzielle Ressourcen ansammeln und die Politik beeinflussen, solange sie sich im Rahmen der Spielregeln des derzeit herrschenden politischen Diskurses bewegen. Von den Frauen erhalten sie breite Unterstützung, insoweit sie sich mehr auf die Chancengleichheit und individuelle Rechte konzentrieren anstatt auf die Gleichheit des Resultats oder die Rechte von Gruppen.
Die abnehmende Zahl von Frauen, die sich explizit mit dem Feminismus identifizieren, spiegelt die hochgradig selektive und begrenzte Einbeziehung von Ideen des Feminismus der zweiten Welle in die soziale Praxis und Kultur wider. Insoweit der Feminismus (im Vergleich zur "Frauenbewegung") einen politischen Aktivismus des "Das Geschlecht zuerst" und die Trennung von den Männern bedeutet, ist er Träger einer Herausforderung, die für viele Frauen entweder zu abschreckend oder zu weit von jenen Problemen entfernt ist, die ihr Alltagsleben prägen.
Es ist nicht die reaktionäre Rechte mit ihrer Politik des "Backlash", sondern vielmehr der Triumph des Neoliberalismus, der für den Feminismus die größte Herausforderung darstellt. Der Kult des Marktes und die Dämonisierung des Wohlfahrtstaats; die Behauptung, dass bezahlte Arbeit ein moralisches Gut ist; die Beschwörung von "Unabhängigkeit" als Eckstein des Erwachsenseins — dies alles steht im Zentrum dessen, was man, im Unterschied zur religiösen Rechten, die modernisierende Rechte nennen könnte.
Obgleich die "neue" Demokratische Partei dieser grundlegenden konservativen Botschaft seit Clinton eine etwas populistischere Färbung verleiht, haben die Demokraten sie im Wesentlichen übernommen. Die Dominanz der modernisierenden Rechten wird durch die Desorganisation und Schwäche der sozialen Kräfte ermöglicht, die die traditionelle Basis der Demokratischen Partei bilden. Eine hochgradig auf Wettbewerb ausgerichtete Ökonomie dominiert jetzt das gesellschaftliche Leben in den USA.
Wie in anderen bedeutenden Perioden kapitalistischer Umstrukturierung sind die Institutionen zur politischen und ökonomischen Verteidigung der Arbeiterklasse, die unter der alten Wirtschaftsordnung aufgebaut wurden und funktionierten (wenngleich nicht sehr gut), nun vollständig unfähig, auf die neuen Bedingungen zu antworten. Und genauso wie die alten Formen der Gewerkschaftsbewegung in der neuen Weltwirtschaftsordnung nicht mehr funktionieren werden, werden auch die alten Formen des Feminismus in der neuen Geschlechterordnung nicht funktionieren.
In den 60er und 70er Jahren konnte sich eine radikale feministische Bewegung entwickeln und bedeutende Erfolge erzielen — abseits einer Gewerkschaftsbewegung, die zum größten Teil bürokratisch und passiv war. Heute ist das Schicksal des Feminismus an das Schicksal der Gewerkschaftsbewegung und das anderer Formen des kollektiven Widerstands gegen das Kapital der Konzerne gebunden. Nur im Kontext einer breiten, militanten und durchschlagenden Bewegung, die fähig ist, dem Kapital reale Zugeständnisse abzuringen, kann der Feminismus hoffen, die Lebensprobleme der proletarischen Frauen anzusprechen.
Ein solch erneuerter Feminismus wird organisatorisch und politisch ganz anders aussehen, als jener der zweiten Welle. Historisch gesehen war der Feminismus eine Bewegung von und für Frauen, um die sexuelle Unterdrückung zu bekämpfen. Die Frage, wie die sexuelle Unterdrückung mit anderen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, gelangte nie ins Zentrum.
Innerhalb der zweiten Welle gab es bedeutende politische Strömungen, die von nichtweißen Feministinnen geführt wurden, die für eine Theorie und Praxis eintraten, welche die vielfachen, "sich überschneidenden" Formen von Unterdrückung widerspiegelten. Die Einsicht, dass eine nur oder in erster Linie auf das Geschlecht setzende Politik die Mehrheit der Frauen nicht mobilisieren kann und innerhalb der Bewegung nur die außer ihr vorhandenen Herrschaftsverhältnisse reproduzieren wird, ist entscheidend für eine feministische Praxis, die in der Lage ist, die neue Geschlechterordnung in Frage zu stellen.
Dies bedeutet, dass Organisationen, die auf der Geschlechterfrage basieren, Fragen von ethnischer und Klassenunterdrückung aufgreifen müssen. Beispielsweise haben Frauenorganisationen, die gegen die häusliche Gewalt von Männern kämpfen, eine wachsende Legitimität für ihre Sache dadurch erlangt, dass sie in ein enges Arbeitsverhältnis mit der Polizei, den Gerichten und dem Strafvollzugssystem getreten sind. Sie werden diese Verbindungen gefährden müssen, wenn sie Verbündete jener Basisbewegungen werden, die derzeit gegen das industrielle Gefängnissystem, die Todesstrafe und die Kriminalisierung der Armut durch den sog. Krieg gegen Drogen kämpfen.
Solche Überschneidungen bedeuteten aber auch, dass Frauen in Führungsrollen und Fragen sexueller Unterdrückung einen zentraleren Stellenwert in der antirassistischen und Gewerkschaftsbewegung haben müssen. Zu den entscheidenden Hinterlassenschaften des Feminismus der zweiten Welle gehört eine veränderte Haltung zur führenden politischen Rolle von Frauen.
Während der Sexismus die Frauen aus der Linken der 60er Jahre vertrieben hat, teilen sich heute Frauen und Männer die Führung in vielen Basisbewegungen und in den Gewerkschaften. Frauenstrukturen und -netzwerke sind oft eine wirksame Strategie für die Integration feministischer Perspektiven in Organisationen. Farbige Frauen beginnen Voreingenommenheiten von Bürgerrechtsorganisationen in Frage zu stellen.
Schwule und Lesben haben ihre Gewerkschaften überzeugt, dass diese sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen und sich an Kampagnen dafür beteiligen. Und feministische Gewerkschafterinnen haben ihre Gewerkschaften gezwungen, für das Recht auf Abtreibung einzutreten.
Sicher, unsere Bewegungen sind schwach und in der Defensive. Aber die Errungenschaften der feministischen, antirassistischen und Schwulenbefreiungsbewegung haben Möglichkeiten für den Aufbau von Bündnissen eröffnet, die in der Geschichte ohne Beispiel sind.
In den letzten zwei Jahren hat die weltweite Bewegung gegen den globalen Kapitalismus der Linken neue Energie und Hoffnung geschöpft. Und die Allianz aus Umwelt- und Arbeiterbewegung birgt ein enormes, radikales Potenzial. Aber wir sollten sicherstellen, dass Rassismus und sexuelle Unterdrückung auch innerhalb dieser Bewegung eine zentrale Rolle spielen — die Inhaftierung armer Nichtweißer, die Verweigerung von Sozialhilfe an alleinerziehende Mütter, die Kürzungen im öffentlichen Sektor und die Missachtung unseres Menschenrechts auf Fürsorge. Wir sollten nicht vergessen, dass diese das Gesicht der "Strukturanpassung" in den USA prägen.

Johanna Brenner

Johanna Brenner ist Autorin von Women and the Politics of Class (Monthly Review Press 2000). Der vorliegende Beitrag wurde leicht gekürzt entnommen aus: Against the Current (Detroit, USA), Nr.97, März/April 2002 (www.solidarity-us.org) (Übersetzung: hgm). 1995 veröffentlichte die SoZ als (mittlerweile vergriffene) Beilage Johanna Brenners Text "Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Die US-amerikanische Frauenbewegung in den 90er Jahren".



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