SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2002, Seite 23

Alicia Giménez-Bartlett, Gefährliche Riten

Zürich: Unionsverlag, 2002, 315 S., 9,90 Euro.

Manuel V. Montalbán war und ist der Schriftsteller, der mit seinen Romanen um den Detektiv Pepe Carvalho die gesellschaftlichen Umbrüche des nachfrankistischen Spanien aufgezeichnet hat. Ein wenig weht in seinem Barcelona noch die Solidarität der unterprivilegierten Schichten nach, ihre rebellische Grundstimmung und die Lust am Leben. Bei Pepe Carvalho selbst ist es nicht zuletzt die Lust am guten Essen. Wer allerdings seine Privilegien in das demokratische Spanien gerettet hat oder am frankistischen Regime einfach nur (?) reich geworden ist, kriegt von Pepe Carvalho sein Fett weg. Die Frontstellungen sind klar. Aber es gibt bei ihm auch schon die Verlierer der neuen Zeit, die Drogenabhängigen und jugendlichen Prostituierten, die nicht mehr eingebunden sind in fürsorgliche Gemeinschaften. Daraus entsteht die häufig resignative Grundstimmung seiner Geschichten, denn Carvalho wirkt wie ein Held aus vergangenen Zeiten.
Aus Pepe Carvalhos Generation stammt der Subinspektor Fermin Garzón, einer der beiden Protagonisten in Alicia Giménez-Bartletts Roman Gefährliche Riten, aber es gibt kein Nachwehen der "guten, alten Zeit" mehr. Man ist in den 90er Jahren angekommen. Es ist das wirtschaftlich prosperierende und gesellschaftlich kalte Spanien. Garzón ist nach vielen Dienstjahren aus Salamanca nach Barcelona versetzt worden und muss dort seine Fähigkeiten mit dem Aufspüren von Zigarettenschmugglern verbringen. Und nebenbei und dann vor allem muss er mit Petra Delicado zusammenarbeiten, einer ehemaligen Rechtsanwältin, die sich entschieden hat, zur Polizei zu gehen, und die dort ins Archiv verbannt wurde. Sie kriegen den Fall einer Vergewaltigung übertragen, die junge Frau wurde zusätzlich noch "gezeichnet". Die Anschläge häufen sich ebenso wie die Ratlosigkeit des unfreiwillig zusammenarbeitenden Teams. Beide haben eigentlich genug mit sich selber zu tun. Er scheut sich bei der Zusammenarbeit, weil er sie als Frau für ein Handicap bei der Untersuchung hält. Seine selbst auferlegte Rücksichtnahme auf die Kollegin verhindert den Einsatz seiner Erfahrungen, seine Informationen erzielende direkte Sprache. Die alte, auch noch einmal vom Frankismus geprägte Männerrolle kennt nur die schwache, in der Öffentlichkeit zu beschützende Frau.
Petra Delicado dagegen zickt herum: Es ist ihr erster Kriminalfall, sie ist die Chefin des Ermittlungsduos, jünger als ihr Kollege und ohne praktische Ermittlungskenntnisse. Sie ist aggressiv, provozierend und verletzend gegenüber Fermin Garzón , gegenüber den Vergewaltigungsopfern und vermeindlichen Tätern. Sie versteht das proletarische Milieu nicht, in dem die Fälle zunächst angesiedelt sind, sie könnte heulen über die Verletzbarkeit der Opfer und ihre Verstocktheit. Da aber die ganze Geschichte aus Delicados Perspektive erzählt wird, trifft ihre Wut auf das volle Einverständnis des Lesers und der Leserin.
Sie ist eine Kleinbürgerin, die sich gerade von ihrem zweiten Mann getrennt hat und mit dem Bezug eines frisch renovierten Hauses das neue Leben beginnen will, das ihr der Polizeijob nicht gegeben hat. Ihre beiden Ex hängen ihr immer noch nach. Der intellektuelle Nr.1 will eine Neue heiraten, braucht frische Unterschriften und macht alte Vorwürfe, der jugendliche Nr.2 hat die Trennung noch nicht verwunden und lungert andauernd in ihren Haus herum. Sie sucht: den Vergewaltiger, einen Mörder und einen neuen Weg für sich selber. Und das tut auch Garzón. Er war jahrelang verheiratet und wurde Witwer, ohne die Liebe kennengelernt zu haben. Als Polizist kennt er sich im Leben aus, sein privates Leben besteht aus Konventionen. Beide, beruflich und privat auf der Suche, beginnen ab einem bestimmten Moment, sich zu unterstützen. Sie lösen den Fall und sind bereit für neue Geschichten.
Gefährliche Riten ist der erste Band von dreien um Delicado und Garzón, die bislang im Unionsverlag erschienen sind, merkwürdigerweise wurde er als letzter veröffentlicht. Das spanische Fernsehen hat die Romane verfilmt, und es wäre mit Sicherheit ein erfreuliches Ereignis, wenn sie auch hier gezeigt würden.
Udo Bonn


LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang