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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 4

Der Kräuter-Krieg

Dritte Marokko-Krise

von ANGELA KLEIN

Als sich zu Beginn des 20.Jahrhunderts das Deutsche Reich ein Stück von der marokkanischen Küste einverleiben wollte, geriet es in Konflikt mit Frankreich; die zwei daraus folgenden "Marokko-Krisen" waren ein Vorbote des Ersten Weltkriegs und der dabei angestrebten "Neuaufteilung der Welt".
Hundert Jahre später, am vergangenen 17.Juli wiederholte sich europäische Kolonialgeschichte als Farce. 13 marokkanische Soldaten hatten am 11.Juli die winzige Insel Leïla besetzt, ein unbewohntes Eiland 200 Meter vor der marokkanischen Küste, das die Spanier "Perejil", Petersilien-Insel, nennen. Sie pflanzten darauf eine marokkanische Fahne. Die Insel war 42 Jahre zuvor von der spanischen Armee geräumt worden. Das wollte Spanien jetzt allerdings nicht als territorialen Verzicht verstanden wissen und besorgte sich flugs eine Erklärung der Europäischen Kommission. Die bestand darauf, es handele sich um eine "Verletzung der Integrität des spanischen Territoriums", die Besetzung durch marokkanische Soldaten sei deshalb unrechtmäßig. Der spanische Kriegsminister warf die Propagandamaschine an, sprach von der nationalen Pflicht zur "Reconquista" und verglich die Landung der Spanier auf dem 300x400 Meter großen Eiland mit der Landung in der Normandie.
Trotz der europäischen "Solidaritätserklärung" verurteilten einzelne EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich und Großbritannien die spanische Militäraktion — aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Großbritannien hat einen Disput mit Spanien wegen Gibraltar (das die Spanier gern für sich haben wollen); Frankreich hat selber noch ein paar "Brosamen" seines alten Kolonialreichs in Afrika und anderswo verstreut. Auch Kommissionspräsident Romano Prodi zeigte sich besorgt und forderte die Rückkehr zum Status quo ante und die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Spanien und Marokko. Aber er konnte sich nicht durchsetzen; Spanien blieb unbeugsam. Der Hohe Rat der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik war gelähmt.
Die Lösung kam mal wieder von der anderen Seite des Großen Teichs: Das State Department bestand auf dem sofortigen Rückzug der spanischen Truppen und auf der Wiederherstellung des Zustands vor dem 11.Juli. Washington garantiert eine entsprechende Vereinbarung zwischen Spanien und Marokko.
Blamiert hat sich nicht nur Spanien, dessen Konfliktliste mit Marokko im letzten Jahr länger und länger geworden ist: Ceuta und Melilla an der westafrikanischen Küste, "illegale" Migration, Kontrolle über die Westsahara, Fischereirechte, Drogenhandel… Blamiert hat sich auch die EU, die wieder einmal alte nationale Kolonialansprüche bestätigt hat. Für ihren Anspruch, zu einer imperialen Macht zu werden, die den USA Paroli bieten kann, erweisen sich die alten Kamellen eher als hinderlich.



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