SoZ Sozialistische Zeitung |
Als sich zu Beginn des 20.Jahrhunderts das Deutsche Reich ein Stück von der marokkanischen Küste einverleiben
wollte, geriet es in Konflikt mit Frankreich; die zwei daraus folgenden "Marokko-Krisen" waren ein Vorbote des Ersten Weltkriegs und der dabei
angestrebten "Neuaufteilung der Welt".
Hundert Jahre später, am vergangenen 17.Juli wiederholte sich europäische
Kolonialgeschichte als Farce. 13 marokkanische Soldaten hatten am 11.Juli die winzige Insel Leïla besetzt, ein unbewohntes Eiland 200 Meter vor der
marokkanischen Küste, das die Spanier "Perejil", Petersilien-Insel, nennen. Sie pflanzten darauf eine marokkanische Fahne. Die Insel war 42
Jahre zuvor von der spanischen Armee geräumt worden. Das wollte Spanien jetzt allerdings nicht als territorialen Verzicht verstanden wissen und besorgte
sich flugs eine Erklärung der Europäischen Kommission. Die bestand darauf, es handele sich um eine "Verletzung der Integrität des
spanischen Territoriums", die Besetzung durch marokkanische Soldaten sei deshalb unrechtmäßig. Der spanische Kriegsminister warf die
Propagandamaschine an, sprach von der nationalen Pflicht zur "Reconquista" und verglich die Landung der Spanier auf dem 300x400 Meter
großen Eiland mit der Landung in der Normandie.
Trotz der europäischen "Solidaritätserklärung" verurteilten
einzelne EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich und Großbritannien die spanische Militäraktion aus jeweils unterschiedlichen Gründen.
Großbritannien hat einen Disput mit Spanien wegen Gibraltar (das die Spanier gern für sich haben wollen); Frankreich hat selber noch ein paar
"Brosamen" seines alten Kolonialreichs in Afrika und anderswo verstreut. Auch Kommissionspräsident Romano Prodi zeigte sich besorgt und
forderte die Rückkehr zum Status quo ante und die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Spanien und Marokko. Aber er konnte sich nicht durchsetzen;
Spanien blieb unbeugsam. Der Hohe Rat der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik war gelähmt.
Die Lösung kam mal wieder von der anderen Seite des Großen Teichs: Das State
Department bestand auf dem sofortigen Rückzug der spanischen Truppen und auf der Wiederherstellung des Zustands vor dem 11.Juli. Washington
garantiert eine entsprechende Vereinbarung zwischen Spanien und Marokko.
Blamiert hat sich nicht nur Spanien, dessen Konfliktliste mit Marokko im letzten Jahr
länger und länger geworden ist: Ceuta und Melilla an der westafrikanischen Küste, "illegale" Migration, Kontrolle über die
Westsahara, Fischereirechte, Drogenhandel… Blamiert hat sich auch die EU, die wieder einmal alte nationale Kolonialansprüche bestätigt hat.
Für ihren Anspruch, zu einer imperialen Macht zu werden, die den USA Paroli bieten kann, erweisen sich die alten Kamellen eher als hinderlich.