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Nachdem die rot-grüne Koalition jahrelang die Migrationspolitik aus Angst vor populistischer Ausnutzung durch das
konservative Lager aber auch des eigenen rechten Flügels ausgesessen hat, peitschte sie das mit heißer Nadel gestrickte
"Zuwanderungsgesetz" im Juni dieses Jahres wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode im Bundesrat durch. Allerdings nicht weil sie einen
umfassenden Politikansatz für notwendig hielt, der vor allem die Fluchtursachen in den Vordergrund rücken müsste, sondern wieder einmal
aus Furcht um Wählerstimmen: Die CDU/CSU droht mit dem Zuwanderungsthema im anstehenden Bundestagswahlkampf.
Der Grundstein für eine Fortführung der Kantherschen Abwehrstrategie
wurde bereits im rot-grünen Koalitionsvertrag gelegt: "Bekämpfung illegaler Einwanderung insbesondere Schleuserkriminalität
gerechte Lastenverteilung unter Berücksichtigung der Kommissionsvorschläge, nachhaltige Bekämpfung der Fluchtursachen"
lautete die Parole. Die Politik der Koalitionäre verfolgt dabei eine Doppelstrategie, die auf Grenzabschottung und Selektion auf bundesdeutscher und EU-
Ebene einerseits und gezieltes Aushungern unerbetener "Gäste" auf der nationalen Ebene andererseits setzt.
Mit der Neureglung des sog. Staatsangehörigkeitsrechts im Mai 1999 gelang zwar
teilweise die Ablösung der am "deutschen Blut" orientierten Definition von Staatsangehörigkeit (ius sanguis), aber der Bezug zum
Nationalstaat an sich und das "Bekenntnis" zum Verfassungspatriotismus durch Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft blieb
konstituierendes Element.
Die "erfolgreiche" Instrumentalisierung des Themas doppelte
Staatsbürgerschaft durch die Hessen-CDU unter ihrem Spitzenkandidaten Koch zeigte Sozialdemokraten und Grünen, wie hoch der Preis für
eine andere Migrationspolitik ist: Es droht der Machtverlust. Das Risiko wollte Rot-Grün dann doch nicht eingehen.
Rot-Grün ging in der Folge auf Nummer Sicher und verband das Thema
"Zuwanderung" eng mit den wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik ein Vorgehen, das dem neoliberalen, grünen Motor der
Koalition sehr entgegenkam. Die "Green Card" avancierte zum ersten Vorzeigeprojekt dieser Neuorientierung. Sie sollte ab August 2000 IT-
Fachkräften aus aller Welt den Weg ins gelobte Land ebnen.
"Humankapital" aus der Dritten Welt sollte die Lücken in der deutschen
Wirtschaft und Gesellschaft füllen, die zum einen nicht bereit ist, in Bildung und Ausbildung zu investieren, aber zum anderen die Ressourcen anderer
Länder anzapft Neokolonialismus par excellence. Dass dieser Ansatz letztlich scheiterte und im ersten Jahr lediglich knapp 8500 Anträge
gestellt wurden, statt der erwarteten ersten Welle von 20000 Fachkräften, spricht Bände: Hochqualifizierte finden in der Bundesrepublik nicht das
für sie geeignete Umfeld.
Das Green-Card-Debakel, die demografische Entwicklung und der Ruf der Konservativen nach mehr "Integrationsbereitschaft" gipfeln im Sommer
2001 in einer populistischen Welle, auf die die SPD reagieren musste. Nach drei (!) Jahren Rot-Grün konnte sich die SPD-Bundestagsfraktion am 6.Juli
2001 zu einem Eckpunktepapier "Steuerung, Integration, innerer Friede" durchringen. Der Name ist Programm: Der innere Frieden soll durch eine
Ausgrenzungsstrategie geschaffen werden, die "der inländischen Erwerbsbevölkerung" mit Vorrang Arbeitsplätze anbietet. Die
Scheinheiligkeit dieser Argumentation wird angesichts der katastrophalen Bilanz der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung mit 4 Millionen offiziell registrierten
Arbeitssuchenden überdeutlich.
Als Allheilmittel dienen Druck und Zuwanderungsbegrenzung: Gegen die deutschen
Arbeitssuchenden führt die Koalition die Ergebnisse der Hartz-Kommission im Wesentlichen Kürzung der finanziellen Mittel,
Niedriglohnsektor und Flexibilisierung ins Feld, den "Ausländern", die vor allem "aus wirtschaftlichen Gründen"
ihre Heimat verlassen, empfiehlt Rot-Grün den Weg über die "Hilfe zur Selbsthilfe" angesichts stets geringerer Mittel für
die Entwicklungshilfe eine weitere Lebenslüge dieser Regierung.
Diese Vorgehensweise fügt sich reibungslos in die Binnenstrategie des neoliberalen
Umbaus der deutschen Gesellschaft ein: Neben der "Reform" des Arbeitsmarkts und deren Verquickung mit der Zuwanderungsfrage wird der Abbau
der sozialen Sicherungssysteme betrieben. Darin sind wiederum auch MigrantInnen eingebunden, z.B. über die Möglichkeit zur Abschiebung von
Sozialhilfeempfängern.
Rot-Grün forciert die Bildung einer Zwei-Klassen-Gesundheitspolitik, von der sog.
Illegale vollkommen ausgeschlossen sind und Asylsuchende und Flüchtlinge nur über eine Minimalversorgung partizipieren. Die durch PISA
aufgezeigten Defizite des Bildungssystems, die zur "Verschlechterung" der deutschen Position im internationalen Wettbewerb beitragen, wird auf die
schlechten Deutschkenntnisse der Migranten geschoben Zwangsintegrationskurse und Selektion nach Qualifizierungsstand sind die Folge.
Verschärft wird die Politik der Zuwanderungsbegrenzung noch durch die der
"Inneren Sicherheit" nicht erst seit dem 11.September. So wurden etwa im Jahre 1999 die Aufgaben der NATO um die
Terrorismusbekämpfung erweitert, beim EU-Gipfel von Sevilla im Juni dieses Jahres der Aufbau einer europäischen Grenzpolizei beschlossen.
Grundtenor aller Maßnahmen dieser Art ist die rigorose Einschränkung von
Grundrechten vor allem für Migrantinnen und Migranten. Die rot-grün geführte Bundesrepublik erwies sich dabei neben Spanien und
Großbritannien als Schrittmacher verschärfter Grenzkontrollen, der Einrichtung von Datenbanken (Eurodac), der Erfassung biometrischer Daten und
einer engen Vernetzung bei der Bekämpfung der "Schleuserkriminalität".
In der Bundesrepublik findet diese Strategie in Vereinsverboten, der Rasterfahndung und einer
verschärften Überwachung der östlichen Landesgrenzen seinen Niederschlag. Aber auch verbal fährt vor allem Innenminister Schily
stärkere Geschütze auf: "Law and Order" seien sozialdemokratische Werte gewesen, verkündete er und forderte eine
größere Anstrengung der MigrantInnen in punkto "Assimilation". Die Emanzipation der MigrantInnen bleibt hierbei auf der Strecke.
Die Binnenstrategie des neoliberalen Umbaus und die nach "außen" gerichtete Abschottungsstrategie finden im Zuwanderungsgesetz vom Juni
dieses Jahres ihren Ausdruck. Die Geschwindigkeit, mit der dieses Gesetzesvorhaben durchgezogen wurde, macht die Arbeit der am 4.Juli 2000 von Schily
eingesetzten "Zuwanderungskommission" (Süssmuth-Kommission) zur Farce.
Die Süssmuth-Kommission stellte ihr Ergebnis am 12.Juli 2001 acht Tage nach
der Veröffentlichung des SPD-Eckpunktepapiers und nur drei Wochen vor dem Referentenentwurf aus dem Innenministerium vor. Fatal am
Kommissionsbericht selbst ist die erneute Vermischung von Zuwanderung und Asyl bei der Frage nach einer Begrenzung der Migration. Als positiv zu bewerten
ist hingegen, dass die Frage der sog. Illegalen nicht ausgeklammert wird.
Im Zuwanderungsgesetz war davon jedoch keine Rede mehr. Dabei sind es je nach
Schätzung zwischen 500000 und einer Millionen Menschen, die gegenwärtig in der Illegalität leben. Auf dem Feld der Asylgewährung
hat Rot-Grün durch die Aufnahme nichtstaatlicher Verfolgungsgründe zumindest an internationale Standards anknüpfen können. In
vielen EU-Staaten stellen geschlechtsspezifische oder andere nichtstaatliche Gründe bereits einen festen Bestandteil der Asylgesetzgebung dar.
Die Zuwanderungspolitik von Rot-Grün ist nicht, wie von den Grünen behauptet,
"demokratisch und sozial", sondern orientiert sich an Wirtschaftsinteressen und "Sparzwängen". Die wirtschaftspolitische
Sprecherin der Grünen-Fraktion, Margarete Wolf, brachte es im Februar 2002, einen Tag vor der Beschlussfassung des Bundestags, auf den Punkt. Sie bat
ihre Kollegen, "im Interesse des deutschen Mittelstands und angesichts des Fachkräftemangels" um Zustimmung zum Zuwanderungsgesetz.
Im selben Atemzug fordert sie eine Reform der Bundesanstalt für Arbeit und die Abkehr von den "kostenträchtigen
Vorruhestandsregelungen".
Deutlicher kann die Verzahnung von sog. Arbeitsmarktreformen und einer "Deutsche-
zuerst"-Mentalität nicht gemacht werden. Diese Konzeption kommt auch im Zuwanderungsgesetz voll zum Tragen: Ein Investor mit einer Million
Euro und der Möglichkeit, zehn Arbeitsplätze zu schaffen, erhält die Aufenthaltsgenehmigung, während ein Migrant, der
möglicherweise jahrelang in der Bundesrepublik gelebt hat, ausgewiesen werden kann, sobald er zum "Sozialhilfeempfänger" wird.
Die Beibehaltung des novellierten im Klartext: verschärften
Asylbewerberleistungsgesetzes stellt in diesem Zusammenhang nur eine von vielen weiteren Komponenten der rot-grünen Aushungerungsstrategie dar.
Die Stimmungsmache gegen die "drohende Zuwanderungswelle" ist kein neues
Phänomen, vielmehr schwappen in schöner Regelmäßigkeit ausländerfeindliche Ergüsse der politischen Elite über
das Land. Die Durchdringung aller Politikfelder und -ebenen stellt indes eine neue Qualität unter Rot-Grün dar. Diese Entwicklung ist
um so paradoxer, als die aktuellen Zahlen eine andere Sprache sprechen: Die Bundesrepublik gehört zwar mit 976000 Flüchtlingen (Stand 1.Januar
2001) zu den Hauptaufnahmeländern, aber das Problem liegt ganz woanders.
Ein Blick auf die Verteilung nach "Herkunftsländern" macht deutlich, dass
ein Drittel aller Flüchtlinge weltweit aus einer Gruppe von nur zehn afrikanischen und asiatischen Staaten kommt, wobei ein Sechstel allein aus
Afghanistan stammt. Der Hauptanteil der Flüchtlinge befindet sich in den afrikanischen oder asiatischen Nachbarländern oder zählt zur
Gruppe der "internally displaced persons" der Gruppe der Flüchtlinge, die ihre Länder erst gar nicht verlassen. Die Belastung in
diesen Regionen ist ungleich höher als die künstlich herbei geredete in der Bundesrepublik.
Die Zahl der Asylsuchenden in der Bundesrepublik hat nach Angaben der UNO mit etwa
79000 Anträgen im Jahr 2000 den tiefsten Stand seit über einem Jahrzehnt erreicht. In der Folge des Jugoslawienkriegs schnellte die Zahl zwar auf
über 430000 im Jahr 1992, aber die geringe Anerkennungsquote, die zurzeit bei knapp 3% liegt, macht den populistischen Umgang mit der Bewerberzahl
deutlich. Diese niedrige Anerkennungsquote bei einer gleichzeitig relativ hohen Zahl an "Geduldeten", die nicht in ihre Heimatländer
zurückgeschoben werden dürfen, weist vielmehr auf eine zu rigorose Handhabung des Asylrechts hin.
Die Hauptursache für Flucht und Asyl nämlich Krieg, der zu einem
erheblichen Teil auf geostrategischen Zielsetzungen der "entwickelten" Länder und deren Interesse an Waffenexporten beruht wird
nicht thematisiert. Ebenso dient das Scheinargument "Wirtschaftsflüchtlinge" das die globalisierte Ökonomie und die daraus
resultierende Armut als berechtigte Fluchtursache negiert als Parole im Krieg gegen die Migrantinnen und Migranten. Die "Neue
Weltordnung" nach dem Ende des Kalten Krieges entlässt ihre Kinder.
Dirk Krüger