SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 10

‘Die Streiks waren ein guter Anfang‘

Streik in der Bauwirtschaft

Im Juni hat die IG BAU (Bauen, Agrar, Umwelt) im Bauhauptgewerbe ihren ersten flächendeckenden Streik seit 1949 geführt. Was geht in einer Gewerkschaft, die früher einmal zu den kämpferischsten gehörte, vor, dass sie 50 Jahre nichts von sich hören ließ und jetzt ein respektables Ergebnis vorlegt? Die SoZ sprach mit KLAUS SCHILP, Bauarbeiter in Rente und Delegierter des Bezirksverbands Düsseldorf.

Wie bewertest du den Streik?
Klaus Schilp: Das Wichtigste ist, dass der Streik überhaupt stattgefunden hat. Seit 1949 hat es im Bauhauptgewerbe keinen Streik mehr gegeben. Das lag daran, dass der damalige Gewerkschaftsvorsitzende, Georg Leber, seit den 50er Jahren eine massive Kommunistenhatz betrieben hat. Die ging soweit, dass er 1956 (dem Jahr des KPD-Verbots) eigenmächtig den Bezirksverband Nordrhein aufgelöst hat, weil der Geschäftsführer dort Mitglied der KPD war. Er hat dann von sich aus einen neuen Geschäftsführer eingesetzt, obwohl das satzungswidrig war. [Erst auf dem letzten Gewerkschaftstag der IG BAU im September 2001 unter dem neuen Vorsitzenden Klaus Wiesehügel wurde die Satzung dahingehend geändert, dass der Geschäftsführer eines Bezirks vom Vorstand eingesetzt wird und auch versetzt werden kann. Der Bezirksverband Düsseldorf war dagegen.]
Leber hat in den 50er Jahren auch dafür gesorgt, dass das Ziel "Überführung der Bauwirtschaft in Gemeineigentum" aus der Satzung der damaligen IG Bau gestrichen wurde. Aber das war nur die eine Seite, die entsprach dem, dass damals alle Gewerkschaften in der BRD auf antikommunistischem Kurs waren.
Leber hat für die Bauarbeiter aber auch etwas Positives durchgesetzt, das waren die Sozialkassen. Das ist ungemein wichtig, dadurch haben die Bauarbeiter Anspruch auf eine Zusatzversorgung. Die Unternehmer — und zwar sie allein — müssen 20% vom Bruttolohn in die Kasse abführen; daraus bekommen wir Urlaubsgeld, Ausbildungsvergütung, Rente. Auch das Schlechtwettergeld wird vom Urlaubslohn genommen, sofern es nicht vorher angespart wurde oder vom Unternehmer vorgestreckt wird. Das ist zusätzlich zu den normalen Sozialversicherungsbeiträgen, die alle abhängig Beschäftigten paritätisch an die gesetzliche Sozialversicherung abführen. Besonders wichtig ist das Schlechtwettergeld: Früher haben die Baufirmen im Winter, wenn auf dem Bau nichts los war, die Arbeiter einfach entlassen; wir mussten dann zum Arbeitsamt, stempeln gehen. Durch das Schlechtwettergeld bleiben wir bei der Firma angestellt; das finden auch Bauunternehmer vorteilhaft.
Diese Sozialkassen waren aber auch eine "goldene Fessel"; die Gewerkschaftsführer haben damit immer begründet, warum sie bei Tarifverhandlungen zurückhaltend und gefügig sind, immer hatten sie Angst, die Unternehmer stellen sonst die Sozialkassen wieder in Frage. Das haben die trotzdem getan, auch in der letzten Tarifverhandlung haben sie wieder damit gedroht.

Was waren denn die wichtigsten Ergebnisse des Streiks?
Die Durchsetzung eines Mindestlohns für Facharbeiter — bisher gab es einen Mindestlohn nur für Hilfsarbeiter und den hätten die Unternehmer auch gern für die Facharbeiter fortgeschrieben; ein Haftungsgesetz für Subunternehmer ab 1 Million Euro Bausumme (der Unternehmer haftet dafür, dass sein Subunternehmer die Tarife einhält — das gilt aber nicht mehr für den Subunternehmer des Subunternehmers); eine Anhebung der Löhne auch im Osten — das wollten die Ostunternehmer nicht, die meinten, dann gehe ihnen ihr "Wettbewerbsvorteil" verloren. Und: die Angriffe der Unternehmer auf den Rahmentarifvertrag konnten abgewehrt werden. Auch die ostdeutschen Unternehmen sind jetzt verpflichtet, an die Sozialkassen abzuführen. Negativ an dem Ergebnis war, dass es keine Lohnangleichung Ost-West gegeben hat.

Am Mindestlohn waren doch auch die Unternehmer interessiert, zumindest im Westen. Warum eigentlich?
Es gibt im Bauhauptgewerbe einen gnadenlosen Konkurrenzkampf, der bewirkt, dass gerade die kleinen Firmen unter Kostenniveau arbeiten. Man muss sich vorstellen, dass 70000 Bauunternehmen mit 5—20 Leuten arbeiten. Gerade mittlere Betriebe gehen derzeit Pleite, weil die Preise in den Keller rutschen.
Die goldenen Jahre für den Bau, das waren die Jahre des Wirtschaftswunders; 1966 hat es den ersten Einbruch auf dem Bau gegeben — der Rückgang der Produktion war in dem Bereich am gravierendsten. Damals fingen die Unternehmen an, den Konkurrenzdruck auf die Arbeiter abzuwälzen und die Löhne zu drücken.
In den 90er Jahren hat es mit der Übernahme der DDR einen Bauboom gegeben, der sich aber nicht auf die Preise auswirkte, weil auch die Konkurrenz stieg. Die Unternehmen bekämpfen sich bis aufs Messer und fechten den Krieg zunehmend mit Vertragsarbeitern aus Osteuropa, mit ausländischen Subunternehmen oder auch mit sog. "Illegalen" aus. Für die letzten beiden gelten die Sozialkassen nicht; solche Arbeiter sind schon für 3 Euro die Stunde zu haben, und die Unternehmer verdienen nochmal an der Miete für die Containerunterkünfte.
Heute ist der Bauboom im Osten zusammengebrochen. Es gibt keine Arbeit, die Leute wandern ab, besonders die Jungen, die Plattenbauten werden nicht mehr saniert, nur noch abgerissen, weil sie nicht mehr zu vermieten sind. Hinzu kommt, dass der soziale Wohnungsbau praktisch eingestellt wurde — eine Folge der Sparpolitik. Besonders die Sparhaushalte in den Kommunen machen sich bemerkbar: Abwasser, Straßenbau, Schwimmbäder — an allem wird gespart, soziale Einrichtungen werden geschlossen, Geld für Renovierung gibt es nicht mehr… Gebaut werden nur noch Büros, Banken, Prachtbauten, auch Einfamilienhäuser… aber das bringt nicht die Masse an Aufträgen.
1995 waren die Auftragsbücher noch voll, und die Unternehmen sind trotzdem pleite gegangen. Heute fehlen die Aufträge. Jetzt verzichten sogar Architekten auf 7,7% Gehalt, weil die Auftragslage so schlecht ist…
Die Unternehmer haben ein Interesse am Mindestlohn, damit sie eine Kalkulationsbasis haben; aber sie wollen ihn natürlich so niedrig wie möglich. Ein Mindestlohn für Facharbeiter, der höher liegt als der für Hilfsarbeiter, der konnte erst im Streik durchgesetzt werden.
Es ist erstaunlich, dass ihr bei der schlechten Konjunkturlage überhaupt solche Verbesserungen durchsetzen konntet — und dass die Gewerkschaftsführung den Streik gewagt hat.
Das hat mehrere Gründe. Die Gewerkschaftsführung steht natürlich unter Druck. Die Zahl der Bauarbeiter geht stark zurück: Anfang der 90er Jahre waren wir noch 1,5 Millionen, davon ein Drittel organisiert; heute sind wir unter 1 Million und organisiert sind etwa 300000. Wenn das so weiter geht, werden wir von der IG Metall geschluckt. Wiesehügel hat die IG BAU auf einen anderen Kurs gebracht, das muss man sagen.
Und außerdem gab es einen Überraschungseffekt: Die Unternehmer haben nicht damit gerechnet, dass wir streiken würden. Noch im März haben sie gemeint, die Bauarbeiter könnten und wollten nicht streiken.
Die Gewerkschaft wiederum hat bewiesen, dass sie streiken kann. Die hat nahtlos an die alten Kampfmethoden angeschlossen.

Wie ist das möglich, da liegen ganze Generationen dazwischen?
Es gibt gar keine andere Möglichkeit, Baustellen zu bestreiken. Es werden immer Gruppen gebildet, die von Baustelle zu Baustelle fahren, mit den Kollegen reden und die Baustelle schließen; ein paar Leute bleiben als Streikposten da. Früher machten wir das mit Motorrädern, heute mit Bussen und Kleinbussen. Trotzdem haben sich in diesem Streik auch gezeigt, wo die Probleme liegen. Früher lag die Streikleitung in der Hand von Fachschaften (Berufsgruppen); die am besten organisierten Fachschaften waren die der Putzer, Stukkateure und Fliesenleger. Die der Fliesenleger ist die einzige, die übrig geblieben ist; die anderen Fachverbände sind zusammengebrochen. Diesen Streik hier, den haben die Hauptamtlichen organisiert. Das haben sie gut gemacht, und es liegt trotzdem ein Problem darin…

Das hat funktioniert?
Das hat gut funktioniert. Wir hatten unser Streikzelt vor dem Gewerkschaftshaus, da kamen wir immer zusammen, von hier aus wurde der Baustellenbesuch organisiert. Da war meistens auch ein Polizist dabei, der war aber sehr zurückhaltend.
Ein Problem war, dass die ausländischen Kollegen in ihrer Mehrzahl nicht in den Streik einbezogen waren — wenigstens in Düsseldorf war das so. Da mussten wir dann manchmal die Baustelle besetzen, damit es keine Streikbrecherarbeiten gab. Einmal haben wir mit 50 Leuten die Fabrikhalle einer Isolierfirma besetzt, weil ungarische Kollegen weiterarbeiten wollten. Der Hausherr hat dann die Polizei gerufen, die kam mit fünf Motorrädern und hat uns aufgefordert, die Baustelle zu verlassen, aber dann hinzugefügt: "Wie schnell Sie das tun, das kann ich nicht beeinflussen…"
Vor die Baustelle von Holzmann auf der Kaiserswerther Straße sind wir mit 400 Leuten gezogen. Das Tor war verschlossen; wir standen etwas rum, dann gab es einen gemeinsamen Schubs und wir waren drin. Als erstes wurden die Versorgungsanlagen stillgelegt, die Etagen besetzt, die arbeitenden Kollegen — das waren Polen — runtergeholt. Ein paar haben sich dem Streik angeschlossen; die anderen sind so gegangen. Die Bauführung hatte dann eine Einsicht…
Wahrscheinlich hätte unser Streik keinen Erfolg gehabt, wenn die Unternehmer sich einig gewesen wären und der Streik sie nicht unvorbereitet getroffen hätte…

Warum?
Sie haben keine Gegenmaßnahmen vorbereitet, z.B. massiven Streikbruch durch Anheuerung von Kollegen aus dem Ausland; sie konnten deshalb die Baustellen nicht weiterbetreiben. Aber die Gewerkschaft, auch das hat der Streik bewiesen, ist nicht in der Lage gewesen, die ausländischen Kollegen einzubeziehen. Das ist eine große Schwäche. Immerhin arbeiten 300000 ausländische Arbeiter auf den Baustellen, darunter knapp 100000 Vertragsarbeiter.
Diese Kollegen — d.h. solche, die nicht schon lange in Deutschland leben — sind nicht Mitglied bei uns, oft haben sie kurze Verträge. Dann kriegen sie kein Streikgeld. Es ist bei uns so geregelt, dass man Streikgeld bekommen kann, wenn man drei Monate rückwirkend Gewerkschaftsmitglied geworden ist und es 1—2 Jahre bleibt. Diese Bedingungen erfüllen viele ausländische Kollegen nicht, weil ihre Verträge zu kurz sind. Wenn sie aber kein Streikgeld bekommen, können sie nicht leben; wovon sollen sie die Containermiete und ihren Lebensunterhalt zahlen!
Es ist also ein echtes Problem. Man müsste es so regeln, dass im Streik ein zentrales Gremium eingerichtet wird, in dem Vertreter der Baugewerkschaften aus den verschiedenen Ländern sitzen (in denen die Bauleute Mitglied sein können), so dass für alle gleichermaßen Streikgeld gezahlt werden kann. Sonst ist unsere Streikfähigkeit in Frage gestellt.

Wie ist die Stimmung heute in der IG BAU?
Es hat sich manches geändert. Der Klaus Wiesehügel ist zwar Bundestagsabgeordneter der SPD, aber er legt sich immer wieder an. Zu Riesters Rentenplan hat er eine Alternative vorgelegt, der man zustimmen kann (er hat allerdings nicht dafür mobilisiert); er hat jetzt den Mindestlohn für die Facharbeiter durchgesetzt; er hat die Zeitung Grundstein erheblich verbessert; er mischt sich in die Globalisierungsdiskussion ein… Damit hat er die Situation der Gewerkschaft schon verbessert.
Nach dem Streik gibt es jetzt eine Welle von Neueintritten; im Bezirksverband Düsseldorf haben wir 700 Eintritte auf insgesamt 11000 Mitglieder. Die Frage ist, wie die neuen Mitglieder aufgefangen werden können, es gibt ja kaum ein lebendiges Gewerkschaftsleben mehr.
Aber auch in der Mitgliedschaft hat sich die Stimmung verändert. Bei den jungen Sekretären und Geschäftsführern ist die SPD-Hörigkeit heute nicht mehr so groß wie noch in meiner Generation. Auf einer Delegiertenkonferenz in Düsseldorf haben vor kurzem ein Vertreter des Hauptvorstands der IG BAU und auch ein Vertreter des DGB die Schröder- Politik offen angegriffen — da bahnt sich eine Loslösung von der SPD an. Sie können ja jetzt nicht mehr auf das Schreckgespenst DDR verweisen. Und die Argumentation, dass Billigjobs Arbeitsplätze schaffen, zieht nicht mehr.
Man muss sehen, die Gewerkschaften haben in diesem Jahr trotz einer SPD-Regierung gestreikt. Das gab es seit 1974 nicht mehr. Andererseits waren wir nicht isoliert. Hätte die IG Metall nicht vorgelegt mit einem 4%-Abschluss, wären wir mit unserer 4,5%-Forderung nicht weit gekommen. Und in der Bevölkerung gab es Sympathie für unseren Streik; da lautet das geflügelte Wort: Euro ist Teuro. Es ändert sich was…



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